Buddha und der Tsunami-Hund

 

Vierzehn Tage auf Sri Lanka

 

 

 

Mittwoch 09.01.2013

Abflugzeit 14:35. Aber es beginnt mit einer Verspätung von etwas über drei Stunden - schon in Hamburg: wir stehen auf der Landebahn, rollen zurück, es scheint ein Softwareproblem mit dem Starten der Flugzeugmotoren zu geben. Na ja, darum sollen sie sich mal lieber kümmern, das klingt so, als wenn es uns durchaus zugute käme, wenn das geklärt wäre. Und dann geht es ja doch noch los. In Dubai erhalten wir für die Unannehmlichkeiten der längeren Wartezeit auf den nächstmöglichen Flug nach Colombo (unseren Anschluss haben wir natürlich verpasst) einen Gutschein für eine Kantine, so muss man es wohl nennen, wo wir ein im Plastiktablett zusammengeschweißtes Frühstück erhalten, wie es auch zu einigen der eher dem Billigsegment zugehörigen Fluggesellschaften passen würde. Jugendherbergsniveau bei Emirates. Mit fünf Stunden Verspätung geht es dann von Dubai nach Colombo.

 

Donnerstag 10.01.2013

Ankunft Colombo 13:55 statt um 8:30, dadurch fällt die Stadtrundfahrt durch Colombo weg, weil nach Gepäckentgegennahme und Geldwechsel usw. die Fahrt in die Stadt vom Flughafen aus direkt in die rush hour geführt hätte. Dann hätten wir fünf Stunden gebraucht, um einmal durch Colombo zu kommen. Die Verkehrsinfrastruktur ist noch nicht mit dem Verkehr mitgewachsen. Also direkt ins Hotel Tamarind Tree bei Negombo. Es regnet. Der Regen ist sehr warm, aber das feuchtwarme Klima ist schweißtreibend. Eigentlich gibt es auf Sri Lanka im Januar keine Niederschläge.

 

Schwimmen im Pool bei Regen: mehr von oben nass oder von unten? Der Pool mit dem Park und den Bungalows, in denen jeweils drei Appartments sind, liegt idyllisch und ruhig im Regen. Das Zimmer riecht nach Mottenpulver, insbesondere der Schrank. Martin sagt, er freut sich immer, wenn er das riecht, weil es dann keine Kakerlaken gibt, sonst wären die immer da. Beruhigend. Hier wird für uns gesorgt. Der Zwei-Personen-Regenschirm an der Tür des Appartments trägt dessen Nummer. Als wir vom Essen abends zurück wollen, ist „unser“ Schirm weg. Aber es steht noch einer da, ohne Nummer, den nehmen wir.

 

In der Abenddämmerung kurzer Spaziergang durch die Umgebung des Hotels: kleine Läden, Tuk-Tuks, Werkstätten, Happy New Year 2013. In diesen Sträuchern mit weißen Blüten sammeln sich die Grillen zum großen Orchester. Es regnet. Der Schweiß läuft in kleinen Bächen den Rücken herab.

Freitag, 11.01.2013

Im Grunde der erste Tag, an dem wir im Lande ankommen. Die Fahrt in der Morgensonne durch Straßendörfer und die grüne Fruchtbarkeit wird von mir aufgesaugt: Viel Farbe an den Häusern (wenn sie nicht gerade verfallen und verschimmeln): orange, türkis, Brauntöne, rosa abgesetzt... und alles am Fundament mit einem Rand von dunkel- nach hellocker, hier hat alles unter Wasser gestanden, man sieht es den Häusern noch an. Die Seen sind größer als vorgesehen, Schlammschicht auf Gärten und im Dschungel. Der Verkehr ist mächtig, nicht zuletzt durch die Schulbusse, die Schule fängt um 8:30 an. Schuluniformen, stolze Eltern, Antreten in Reih und Glied. Es gibt viel zu lernen: das singhalesische Alphabet hat 56 Buchstaben. Das scheint viel. Das tamilische aber hat 270 Buchstaben. So viele ergeben sich durch Kombinationen von Konsonanten und den "unselbständigen Vokalzeichen". Setzt sich denn gar keiner für deren Selbständigkeit ein?

 

Das Elefantenwaisenhaus von Pinnawala ist eine Mischung aus Zoo und Pflegestation. Heute fehlt das gewohnte Bad im Fluss, das die Elefanten normalerweise zweimal täglich genießen: der Fluss führt zu viel Wasser, und die Strömung wäre für die kleinen Elefanten zu gefährlich. Der blinde alte Elefant (Vorzeigeobjekt für die Fürsorglichkeit) stirbt während unseres Besuchs (wohl an Altersschwäche). Da liegt er und die Touristen stehen drum rum, es wird noch mehr fotografiert als vorher. Gemischte Gefühle. Zu viele Ketten, zu viel anbinden, da wirkt beinahe das Elefantenhaus bei Hagenbeck artgerechter. Handelt es sich hier wirklich um eine Fürsorge- und Wissenschafts-Station oder um eine Touristenattraktion mit saftigen Eintrittspreisen? Drei große, schöne und scheinbar renditestarke Restaurants liegen am Ufer über der Stelle, an der die Elefanten normalerweise baden. Guter Blick ist von hier garantiert. Die Straße vom Waisenhaus zum Fluss ist besetzt mit zahllosen Souvenirshops. Come here, have a look, nice price... Auf jeden Fall wird mit der Fürsorge auch gutes Geld verdient. Die Souvenirhändler scheinen allerdings am unteren Ende der Verdienstskala zu stehen. Entsprechend offensiv versuchen sie sich in die Wahrnehmung der Touristen zu boxen. Um diese Straße zum Fluss unbeschadet zu überstehen, hilft eine dicke Haut, wie die von den Elefanten, die hier normalerweise jeden Tag durchtraben, und die auch nicht belästigt werden.

 

Ankunft im Palm Garden Village Hotel bei Anuradhapura. Wieder ein Bungalow-Hotel, großzügige Anlage, Schilder an den Bäumen mit den lateinischen und singhalesischen Namen, das Restaurant mit Dach aber an der Seite offen, luftig. Buffet, großartig, aber nicht mehr erinnerbar – es gibt verwechselbaren Luxus. Nicht verwechselbar hingegen ist der See hinter dem Hotel mit der vielfältigen und piepsend-gluckernd-scheppernden Vogelwelt, der angelegte Weg läuft in sumpfigen Dschungel aus. Die wilden Elefanten waren noch gestern da, sieht man an der frischen Losung auf dem Weg, heute ist keiner von ihnen zu sehen. Wo der Weg aufhört, gibt es einen kleinen Schrein für Ganesha, den Elefantenköpfigen.

 

Sonnabend, 12.01.2013

Vormittags Spaziergang in der heiligen Atmosphäre der Stupa und des Bodhi-Tempels von Anuradhapura. Leuchtend orangene Mönche von 8 bis 80 Jahren, ein älterer Mönch knipst mit dem Smartphone die Stupa.. Stupas sind Kuppeln von wenigen Metern Höhe bis zwanzig, dreißig Meter hoch, aber sie sind angefüllt mit Erdreich, man kann nicht rein, man geht drumherum. Sadu, sadu, sadu singen die Eltern der frisch in den Orden aufgenommenen kleinen Jungen: heilig, heilig, heilig. Gelebter Glauben, freundlich, offen, bedingungslos, fremd. Die Affen fordern die Blumen, die doch für Buddha gedacht sind. Und kriegen sie, so hartnäckig treten sie auf.

 

Viele der vielleicht acht-, neunjährigen Jungen im leuchtenden Orangerot sehen nicht sehr glücklich aus. Klar, in jedem Fall ist so ein einschneidendes Ereignis zwiespältig: weg von den Eltern, in ein strenges Korsett aus Demut, Gebet und Studium gepresst, was da wohl auf mich zukommt? Aber bei den meisten dürfte es keine Wahl gegeben haben: entweder waren sie so arm, dass eine Zukunft als Mönch Entlastung für die vielköpfige Familie bedeutet, oder sie hatten ein schlechtes Horoskop. Die Astrologen sind auch uns schon aufgefallen: oft kleine, schmächtige Männlein, aber immer mit einer bedeutsamen College-Mappe unter dem Arm, bieten sie auch Touristen an, ihr Horoskop zu schreiben. In einer buddhistischen Familie gehört das Horoskop dazu. Geschichten kursieren, wie das zutraf: da wurde das Baby als hochbegabt und ruhig beschrieben, mit einer erfolgversprechenden Laufbahn, und siehe, so kam es. Was aber, wenn das Horoskop einen hibbligen Unnussel voraussagt, der nur Pech hat und in seinem Leben nichts zustande bringen wird? Dann muss er Mönch werden, sagt Kumara, unser einheimischer Reiseassistent. Muss? Ja natürlich, Kumara hat da keinen Zweifel, es ist der einzige Weg für so einen bemitleidenswerten Menschen. Man kann vorsichtshalber darauf verzichten, ein Horoskop erstellen zu lassen. Dann entgeht man dem Risiko, Zwangsmönch werden zu müssen. Aber man entgeht nicht seinem Schicksal als hibbliger Unnussel mit viel Pech am Hacken. Wer will das schon?

 

Das Horoskop ist aber auch wichtig für die Festlegung eines guten Zeitpunktes. Kaum ein buddhistisches Paar würde darauf verzichten, den Hochzeitstermin nach dem Ratschlag eines Horoskops festzulegen. Was ist ein guter Zeitpunkt, was ein schlechter? Frag das Horoskop. Mir bleibt es eines der buddhistischen Rätsel. Allerdings bin ich nicht sicher, wie eng die Verknüpfung der traditionellen Horoskope mit dem Buddhismus ist – auch hinduistische Menschen vertrauen auf Horoskope. Ich lese gerade einen Roman aus dem Indien der siebziger Jahre, und da wird eine große Wahlveranstaltung von Indira Gandhi terminiert nach Befragung der Sterne. Es ist ein ungünstiger Termin, mittags, es ist sehr heiß, die autoritär zwangszusammengetriebenen Zuschauer leiden unter der Hitze, aber was kann man machen gegen die Sterne und ihre Ratschläge?

Der Buddhismus ist sehr präsent im Leben der Lanki. Nicht nur die Tempel überall und die Statuen der zum Teil zwei, drei Meter hohen Buddhas (oder auch mal zwanzig, dreißig oder gar fünfzig Meter, wo es ganz besonders heilig zugeht). Wir sitzen im Bus und starten zur Weiterfahrt nach einer Besichtigung, da stoppt der Bus wieder: der Fahrer springt aus dem Wagen, macht dem Tempel an der Straße eine kleine Aufwartung und steckt eine Spende in den Kasten. Und schon geht es weiter.

 

Der Tsunami hat vor acht Jahren 45.000 Menschenleben auf Sri Lanka gekostet. Die Folgen sind besonders an der Küste zwischen Galle und Colombo für uns noch gut sichtbar: zerstörte Häuser, deren Wiederaufbau (zumindest an dieser Stelle) nicht lohnte, viele neue Häuser etwas weiter im Land wurden seitdem errichtet. Kumara stellt Verbindungen her zu dem Tsunami zweihundert vor Christi (für Buddhisten sind solche Zusammenhänge über mehr als zweitausend Jahre irgendwie kein Problem). Er berichtet auch von der 2004-Welle, dass sie in einem Dorf alle Häuser niedergerissen hat. Als einziges stehen geblieben ist die Buddha-Statue. Natürlich wird sie seitdem besonders verehrt, was man ja verstehen kann.

 

Nachmittags rocken wir den Tempel von Dambulla. Es ist der Höhlentempel, aber auf englisch heißt er Rock Temple. Der „größte Buddha der Welt“ ist vergoldet und 30 Meter hoch, rechts daneben die „erste buddhistische Radiostation von Sri Lanka“. In den Höhlen sehen wir Buddhas in allen möglichen Positionen (es gibt ca. zehn mögliche), wir können sie kaum unterscheiden, aber der Nirwana-Buddha („nicht schlafend – im Nirwana!“) und der lehrende oder der mitleidsvoll auf das Elend der Welt blickende sind für den Gläubigen sofort erkennbar. Der Nirwana-Buddha liegt. Der anschließende Spaziergang durch die bebaute Straßenkreuzung Dambulla ist absolut erkenntnisfrei und verzichtbar. Wenn die Zukunft Sri Lankas in dieser tendenziell immer gesichtsloser werdenden Fassaden-Welt liegt, verfliegt der Zauber. Aber es gibt warmes Wasser und vielleicht sogar eine Kanalisation.

 

Später finde ich heraus, dass in der Nähe unseres abschließenden Bade-Urlaubs-Hotels seit einigen Jahren ein noch größerer Buddha steht oder vielmehr sitzt. Aber er hat eine andere Haltung, nicht die lehrende, sondern die geerdete zur Stabilisierung gegen die verführerischen Geister und Dämonen.

 

Ankunft im Chaaya Village Hotel bei Habarana, erneut eine Bungalow-Anlage. Es sol edel sein, gefällt uns aber nicht so wie die anderen. Das Zimmer ist unzureichend möbliert, riecht nach Mückenspray und man kann keinen Durchzug machen. Das Buffet ist opulent, vielfältig und beliebig. Chapati und Roti, Wok-Gemüse und Salat werden für jeden Gast frisch zubereitet. Das Bier kostet fast doppelt so viel wie im vorigen Hotel. Damit erreicht es fast europäisches Preisniveau, das erscheint uns nun schon unerhört. Das Bier heißt Lions (ich habe noch kein anderes gesehen, es heißt überall Lions) und ist aus Sri Lanka, serviert wird es in der praktischen 0,625-Liter-Flasche für 500 Lanka Rupien, das sind drei Euro. 

 

Der Luxus dieser Hotelanlage passt nicht nach Sri Lanka, finde ich. Wir verbringen unseren Urlaub eh im goldenen Käfig – aber er muss ja nicht noch mit Smaragden verziert sein.

 

Sonntag, 13.01.2013

Weckruf um halb sechs über die Telefonanlage des Hotels, damit wir rechtzeitig auf den Felsen kommen, ehe es voll und heißt wird: Sigiriya heißt der Berg, auf dem die Felsenburg eines der ersten sri-lankischen Könige stand. 200 Meter steigen wir hoch auf Treppen, Stufe um Stufe, das ist deutlich mehr als man bewältigen muss, um auf den Kölner Dom zu gelangen, nur hier sind über 30 Grad. Oben weht allerdings ein wohliger Wind, und die Ziegelmauerreste sind wunderbar zu beschauen, fein ziselierte Ruinen, und ein Becken mit Seerosen wie aus dem Himmel gefallen. Der Blick etwas diesig, aber die Bergketten im Hintergrund wie Scherenschnitte über dem wuchernden Grün der Landschaft sind beeindruckend. In der Ferne sieht man eine ziemlich riesige Buddha-Statue im Dschungel, vielleicht noch eine größte Statue, aber in der Haltung „Buddha blickt auf das Leid der Welt“?

 

Nach dem obligatorischen Mittags-Buffet (erstmals erschleiche ich mir einen viertelstündigen Spaziergang durch das umliegende Dorf) dann die zweite Kaiser-Stadt Pollonaruwa mit den Buddha-Statuen aus dem Granit des Hügels geschlagen, metergroße Figuren, schmucklos und zeitlos schön. Sind auch erst knapp tausend Jahre alt. Die erste Königsstadt Anurhadapuira war bei Angriffen von außen weitgehend zerstört worden, da haben sie eine neue gebaut. Die Tempelstadt (von der Ruinen und Trümmer übnrig sind) entstand um 1000 nach Christus und bedeckt Quadratkilometer, ein riesiges Gebiet. Die berühmtesten Buddhas (vier an der Zahl) sind aus dem Granit herausgehauen und somit diebstahlssicher (weil mit der Insel unlösbar verbunden), auch die Größe von sechs, acht oder zehn Metern würde einen Abtransport behindern. Der alte Mann, der so etwas wie ein autorisierter Führer der Anlage zu sein scheint, den keiner bestellt hat und der unaufdringlich auf den Lotos unter den Fußsohlen des Nirwana-Buddhas hinweist, lässt sich gern fotografieren – er sei schon in Büchern auf der ganzen Welt abgebildet. Eine kleine Reinkarnation? Ein freundlicher, hagerer kleiner Mann.

 

Zweite Nacht im Chaaya Village, und wieder keine Zeit an den See zu gehen, der hinter der Hotelanlage beginnt. Seen gib t es hier in bemerkenswerter Anzahl: es sind durchweg künstlich angelegte Wasserreservoirs, die der Bewässerung z.B. der Reisfelder dienen. Sie sind viele Jahrhunderte alt, die Kultivierung des Landes hat begonnen, als bei uns daran noch niemand dachte.

 

Montag, 14.01.2013

Gewürzgarten und Ayurveda-Verkaufsshow samt Massage: wir erhalten eine ausgesprochen fachkundige Führung durch einen Mann, dessen Vater und Sohn (so sagt er) Medizin studiert haben (ob traditionelle Allopathie oder Ayurvedische Verfahren, erfahren wir nicht). Dann springen plötzlich ein paar kräftige Burschen aus dem Gebüsch und zwingen uns im luftigen Vortrags-Unterstand eine Nackenmassage auf (die wir als busgestresste Touristen allesamt gut brauchen können, die aber auch nicht länger anhält als alle Wellness-Wohltaten sonstwo). Der Verkaufsraum wartet – und die Kasse klingelt. Eine routinierte und eindrucksvolle Show.

 

Weiter nach Kandy: Das Hotel liegt am wohlhabenden Berghang über der Stadt, fußläufig ist das Zentrum zu erreichen. Wir dürfen mal wieder allein los und spazieren durch die Stadt, am See entlang, in die Gassen. Eine muslimische Trauerprozession kreuzt unseren Weg. Es wirkt wie oft bei Muslimen: emotional aufgeputscht, latent aggressiv oder zumindest angespannt. Viel mehr Ruhe finden wir in dem kleinen Stadtteiltempel, der selbstgemalt und zusammengestoppelt und liebevoll genutzt wirkt. Ein hinduistischer und zwei Buddhatempel, gemeinsam in einem kleinen Gebäudekomplex. In der Nähe besetzt Kentucky Fried Chicken ein großes eher klassizistisch wirkendes Gebäude (wohl von den Engländern erbaut). Danach wieder Zusammentreffen mit der Reisegruppe an der Red-Cross-Hall, zwei aus unserer Gruppe sitzen vor einer Imbissbude mit Samosas und Kuchen plus Cola und unterhalten sich mit einem Sri Lanker, der fließend deutsch spricht. Hinterher klagen sie über die Unfähigkeit, an diesem schönen See neben den weit sich erstreckenden Tempelanlagen ein vernünftiges Kaffee einzurichten, wo man schön sitzen kann Es gibt hier eben leider kein Baur au Lac.

 

Für uns ist reserviert bei der Vorstellung der Kandy-Dancers mit Masken und Feuerzauber. Die Trommeln sind laut, was mich nicht stört, aber das Blasinstrument mit Blatt wie eine frühe Klarinette oder ein sehr quäkiges Sopran-Saxophon ist durchdrinmgender als unsere Ohren es sich normalerweise zumuten. Die Ayurveden hatten doch da noch was gegen Tinnitus...

 

Der Zahntempel von Kandy ist eines der zentralen buddhistischen Heiligtümer – was für ein Spektakel um die Zahnfee... Das System, in dem die Menschenmassen durch den Tempel geschleust werden, ist mir absolut undurchsichtig., Wir stehen und warten, Menschenströme ziehen an uns vorbei – zum Teil weißgekleidet (also gläubige Buddhisten, denen wir gern den Vortritt lassen), zum Teil Touristen wie wir, wo wollen die hin, drängeln die sich vor, es wird immer enger, und das monotone Trommeln (ergänzt durch die eben schon bei den Kandy-Tänzern erlittene Schalmei) versetzt mich in eine leichte Trance, unterschwebt von einer gewissen Gereiztheit. Warum überlassen wir Schaulustigen denn den Gläubigen nicht einfach ihren Tempel? Na ja, der Eintritt ist wichtig für die Tempelunterhaltung, auch wenn für Weltkulturerbestätten wie diese auch internationale Mittel fließen. Der Mond hängt wie eine Barke im Himmel – exakt so, wie ich es wenige Wochen zuvor über der Altmark gesehen habe, auf einer Kleine-Straßen-Rückfahrt von Magdeburg nach Buchholz. Kein Wunder, dass er genauso aussieht: es ist derselbe Mond.

 

Dienstag, 15.01.2013

Im von den Engländern angelegten Botanischen Garten von Kandy finden wir eine Oase in Grün und Ruhe, mit den riesigen Kauri Pines und Ficus-Bäumen , unter deren größeren eine ansehnliche Hochzeitsgesellschaft beschattet tafeln könnte. Flughunde in Massen. Neben den Royal Gardens in Kew bei London und dem Garten auf Mauritius ist es der dritte bedeutende botanische Garten, den die Briten angelegt haben. Und davon verstehen sie etwas.

 

Besichtigung der Teefabrik Mackwood von 1841, die nur an ihre Londoner Ladenlokale direkt liefert, sonst nur nach Colombo zum Weiterverarbeiten bzw. Packen. Tee ist hier seit hundertfünfzig Jahren die wesentliche ökonomische Grundlage, seitdem die Kaffeepflanzen einer Krankheit zum Opfer fielen. Der Tee wird gepflückt, die obersten drei Blätter, wird gesiebt, fermentiert, getrocknet („gewhithert“),, und innerhalb von 24 Stunden ist er fertig Ein Naturprodukt, ohne Chemie, ohne Zusätze, Broken Orange Pekoe. Es gehen Gerüchte, dass einigen speziellen Spitzentees mit ihren eigenen Wirkweisen Penicillin oder Schmerzmittel zugesetzt werden, weil das einem so gut tut und man dann immer wieder diesen Tee trinkt, bis man abhängig ist. Ob das ein moderner Mythos ist wie die Vogelspinne im Bananenbündel auf dem Hamburger Fischmarkt kann ich nicht beurteilen, aber es klingt nicht weit davon entfernt, finde ich. Allerdings fällt mir auch die Nachricht ein, dass in Indonesien die Produzenten traditioneller muslimischer Suppe für das Neujahrsfest statt dem vorgeschrieben halal-Rindfleisch Schwein zugesetzt haben. Das Rindfleisch aus Australien ist wegen gesenkter Exportquoten nach Klagen über die verheerenden Bedingungen in indonesischen Schlachthöfen im Preis massiv angestiegen. Wenn ein Muslim (bewusst oder unbewusst) Schwein isst, werden seine Gebete vierzig Tage nicht erhört. Ob es ähnliche Gefahren bei Penicillin im Tee gibt, weiß ich nicht.

 

Die Teepflückerinnen sind Tamilen. Sie sind arm und verdienen nach Aussage der Teefabrik-Führerin ungefähr fünf Euro am Tag, was aber wahrscheinlich überhaupt nicht stimmt – tatsächlich dürfte es deutlich weniger sein. Sie sind rechtlos, besitzlos und chancenlos. Die Firma Mackwood hingegen gehört nicht zu den Hungerleidern. Irgendwas ist immer noch schief in der Sozialistischen Demokratischen Republik Sri Lanka.

 

Abends Spaziergang durch Nurawa Eliyah, einem fast 2000 m hoch liegenden und milde warmen Städtchen. Ich stromere vor dem Abendessen noch eine Stunde durch die Stadt. Den Markt hatten wir schon beim Ankommen gesehen und waren einmal durchgegangen, jetzt interessieren mich die Viertel abseits des Zentrums. Das Polizeirevier, eine Universität, schmucke Bungalows wechseln ab mit Wellblechhütten knapp oberhalb des Slum-Niveaus und kleinen Häuschen, in deren nicht verfallener Hälfte eine größere Familie Platz finden muss. Im Garten arbeiten Mutter und Tochter mit Hacken und lockern den Boden. Die ungefähr fünfzehnjährige Tochter stochert lustlos in der Krume mit einer Hand, in der anderen hält sie das Handy am Ohr. Schon vor drei Jahren in Indien war ich überrascht, wie allgegenwärtig das Handy ist (und wie ununterbrochen es benutzt wird, ob auf dem Fahrrad beim Transport einer meterlangen Last oder eben bei der Gartenarbeit). Die Lanka sind da noch ein bisschen weiter. Mönche, in sattes Orange gewandet, fotografieren mit Smartphones und iPads, Der Tuktuk-Fahrer hat bei seinem mörderischen Schlangenlinien-Kurs durch den Abendverkehr von Nureliya natürlich das Handy am Ohr. Und der Postler hinterm Thresen sieht den Verkauf einiger Briefmarken an lästige Touristen noch lange keinen Grund, das Handy wegzulegen. Telefonieren kostet hier nicht viel. Trotzdem sind viele der Menschen, die ich mit Handy als verlängertem Körperteil entdecke, nicht reich. Fürs Handy reicht's irgendwie doch noch. Ein Handymuffel wie ich kann da nur staunen.

Wir wohnen im Hill Club Hotel, einem 1876 von einem englischen Privatmann gegründeten Club, der erst seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts auch Frauen zulässt (es gibt einen Ladies Entrance, aber heutzutage dürfen sogar die Frauen vorn rein). Snooker Billard- sowie Carom-Tische, ein Papierkorb aus einem Elefantenfuß, alles was Kolonisatoren so schick fanden und was uns heute ein Schmunzeln entlockt oder ein beklommenes Wegsehen. Der Service im Restaurant ist der langsamste, den wir je erlebt haben, und das Essen ist europäisiert und langweilig – aber die Servietten werden den Herren und Damen von den Kellnern umgelegt, und die Herren kommen sowieso nur mit Krawatte und Jackett ins Restaurant. Die Einfallslosigkeit der europäischen Küche am Abend wird nur übertroffen von dem armseligen englischen Frühstück am Morgen danach. Dafür sind die Zimmer alte Tradition mit knarzenden Fußböden, und abends gibt es eine kuschlige Wärmflasche im Bett. Wir werden nicht per Telefonautomaten geweckt, sondern durch Klopfen an der Tür. Das war nett. Ansonsten war der Snobismus votr dem Hintergrund einer langsam in der Erinnerung verblassenden Kolonialkultur verzichtbar.

 

Mittwoch, 16.01.2013

Fahrt von Nurawa Eliya (kurz. Nureliya) zur Safari im Uda Walawe Nationalpark : Elefanten, Elefanten, Elefanten – im Rudel, als Single, mit kleinen Babys (das jüngste ca. 2 Monate) und alten Ladys. Wasserbüffel in der Abendsonne im See, Pfauen ohne Ende (nur schlägt leider keiner ein Rad), eine Wildkatze und ein Krokodil (das wir alle nicht sehen können, nur der guide – erst auf der Ausschnittvergrößerung meines auf Verdacht geschossenen Fotos habe ich den Beweis: es war tatsächlich ein Krokodil, und zwar nicht zu klein). Ungefähr 500 wilde Elefanten leben hier im Nationalpark, und von den Jeeps der Safari-Touristen lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Als eine Herde mit ungefähr fünfzehn Tieren vorbeizieht, höre ich die typische akustische Aura wilder Elefanten: ein tiefes Brummen erinnert entfernt an die Bisons des Yellowstone-Nationalparks. Es klingt so, dass man sich dieser Truppe nicht unbedingt zu sehr nähert, wenn es nicht sein muss. Besonders unser Reiseleiter ist besorgt. Er ist über zwanzig Jahre in einem indischen Bergdorf mit der Präsenz von Elefanten aufgewachsen, und das Erlebnis einer fünf Meter an der Schutzlosigkeit ihrer Hütte vorbeiwandernden Elefantenherde ist ihm noch sehr gegenwärtig.

 

Ein Fischadler startet von seinem Baum über das Wasser, um einen Fisch zu fangen. Kurze Zeit später kehrt er zurück und tut, als wenn nichts wäre: die Tour war vergeblich. Auch ein Adler muss mir Frustrationen fertig werden. Als wir wenig später und hundert Meter weiter vergeblich das Krokodil zu erkennen versuchen, kommt er uns nach und baumt in der Nähe auf: dieses Mal hat er einen Fisch im Schnabel. Das wollte er denn doch noch mal klarstellen, dass er letztendlich ein erfolgreicher Typ ist. Stolz wie die Katze, die eine Maus auf dem Küchentisch präsentiert. Dieses Mal sind wir die loser, unsere Trophäe in Gestalt der Krokodilsbeobachtung entgeht uns.

 

Donnerstag, 17.01.2013

Die Weiterfahrt führt von Embilipitia nach Galle an der Südküste mit Stadtrundgang durch die portugiesisch-holländisch-englische Altstadt. Die Stadt hat eine Festungsanlage, die von den Holländern perfektioniert wurde, aber die Altstadt wirkt eher wie von den Portugiesen gestaltet. Auch die Farben (das helle Blau vor allem) wirken portugiesisch. Die Portugiesen waren vor den Holländern hier gewesen, noch heute gibt es Sri Lankische Familien, die Perreira heißen oder Carvalho, ansonsten aber in der Regel sich äußerlich von ihren singhalesischen Nachbarn nicht unterscheiden.

 

Nach Mittagsbuffet auf einem Ponton am Rande einer Flussmündung gelangen wir zum Hotel Induruwa Beach Resort. Das erste Bad im Indischen Ozean.

 

Freitag, 18.01.2013

Ein Tag im Zimmer mit Toast, Reis mit Salz und warmem Wasser (aus gegebenem Anlass). Mit Laptop und Lightroom und tausend Fotos, die übrig bleiben, nachdem ich ca. 400 weitere gelöscht habe.

 

Sonnabend, 19.01.2013

Sonntag, 20.01.2013

Montag, 21.01.2013

Vom Hotel aus gehe ich an der Hauptstraße ein paar hundert Meter bis zur nächsten Abzweigung ins Landesinnere. Die Straße ist asphaltiert, führt also nicht direkt in die Vergangenheit der staubigen Feldwege, sondern einfach in die dörfliche Gegenwart Sri Lankas. Auf der ganzen Strecke bis Gonagala Pura treffe ich keine Touristen mehr – nur alte und junge Sri Lankis, mit Regenschirm gegen die Sonne, zu Fuß, oder auf dem Fahrrad, mit dem Moped oder Tuktuk. Kaum Privatwagen, wenige kleine Laster. Die Lieferung für den Lebensmittelkiosk kommt in einer großen Holzkiste auf dem Gepäckträger eines Mopeds. Der Fischmann sowie der Klempner mit seiner halben Werkstatt kommen auch auf dem Motorroller. „Hello“ sagen scheu die älteren Kinder, die kleineren winken unbekümmerter und fragen „Bonbon?“. Erwachsene lächeln mit weißen Zahnreihen. In Gonagala gibt es ein Krankenhaus (so ein leichter Lambarene-Touch liegt in der Luft), ein Kloster und eine „Geschäftsstraße“ mit drei Gemüseständen, einer Sparkasse und den unbenutztren Markthallen – ansonsten nur Dutzend von verstreut im dichten Wald liegende Häuschen, die es aber überall hier gibt, ob da nun ein Dorf ist oder nicht. Eine Schmiedewerkstatt unter freiem Himmel baut alles, was man für Haus und Hof braucht. Mehrere Schneidereien nebeneinander machen sich Konkurrenz. Eine unerwartete Geschäftsidee hier mitten im beschaulichen Dorfleben ist, Lautsprecheranlagen samt Verstärker für Veranstaltungen, Bands und (vermute ich) Hochzeiten zu vermieten. Als Werbung demonstriert eine Lautsprecherwand (zwei Meter hoch) den Super Sound, schmachtende lankische Schlager wummern durch den Wald. Gonagala Pura hat sogar Markthallen: zwei langgestreckte Dächer, unter denen die Holztische zusammengestellt sind, auf denen Obst und Gemüse präsentiert werden können. Praktische Idee: ein großer viereckiger Tisch, drei mal drei Meter, der in der Mitte eine quadratmetergroße Lücke aufweist, in der der Verkäufer steht und seine Reichtümer um sich ausbreitet. Leider ist am Wochenende natürlich kein Markt. Nur eine Kuh grast auf dem „Marktplatz“. Als ich das Gelände eines kleinen Tempels von hinten betrete und noch nicht ahne, dass ich den heiligen Bereich schon erreicht habe, kommt ein junger Mann von gegenüber und weist mich freundlich darauf hin, dass ich die Schuhe ausziehen müsse. Eigentlich weiß ich das ja, peinlich, peinlich. Aus der Stupa wächst schon hier und da ein kleines Büschlein, und wie alles, was hier nicht dauernd neu gestrichen wird, ist es an vielen Stellen schwarz – schimmelig, scheint es, obwohl es hier ja nicht regenwaldfeucht ist, nur grün und sonnig und trocken. Mauern scheinen aber schnell zu schimmeln in Sri Lanka. Zurück fahre ich nach zwei Stunden Wanderung mit dem Tuktuk.

 

Abends im Hotel bietet die Abend-Animation nach dem Zauberer und dem Schlangenbeschwörer der letzten Tage heute eine Disco an. Die besteht darin, dass am Pool zwei außerordentlich leistungsfähige und gute Lautsprecherboxen im Quadratmeterformat aufgebaut werden. Es gibt dann die Hits der neunziger und das Beste von heute, so würde es im deutschen Dudelfunk heißen, es bleibt aber keiner stehen und tanzen tut auch niemand. Wir sitzen etwas abseits unter den Palmen und können trotz der Love-Parade-Lautstärke der Boxen hier in unserer Ecke relativ normal miteinander sprechen. Aber wir hören auch alles, und als es dann eine halbe Stunde lang so etwas gibt wie „Stars on 45“, die Endlosschlaufe von Miniportionen alter Hits im immer gleichen Beat, da kennen wir jedes Stück (und zwar nach den ersten drei Tönen oder spätestens dem ersten Takt): Sha-La-La-Lee von den Small Faces, Doo-wah-diddy von Manfred Mann, Mendocino von Michael Holm, es ist alles sofort da. Das Gedächtnis funktioniert sehr zuverlässig. Das ist im Fall dieser Musikstücke harmlos. Tsunami und Kolonialismus sind im kollektiven Gedächtnis Sri Lankas auch fest verankert, das lastet mehr.

 

Der Tsunami taucht immer wieder auf. Die Masseurin im Hotel erzählt bei der Arbeit, sie habe glücklicherweise niemanden aus er Familie verloren bei der Katastrophe. Der Kellner, der ein bisschen deutsch spricht, berichtet über sein Leben: er hatte eine gute Arbeit in einem kleinen Hotel bei Bentota, aber der Tsunami hat es zerstört, und er hatte nichts mehr und musste dann diese Arbeit hier im Hotel annehmen, für kleines Geld, und unter den Gästen so viele Russen, alles Mafia.

 

Nachts bellt kurz vor Sonnenaufgang ein Hund am Strand, direkt vor unserem Hotelzimmer, nicht ein- oder zweimal, sondern ununterbrochen, fast eine halbe Stunde lang. Er bellt dort jede Nacht, und ich werde wach und habe das Gefühl, er bellt die ganze Nacht durch. Was bellt er da? Warum kann er daran nicht gehindert werden? Im Halbschlaf phantasiere ich: der Hund hat vor neun Jahren bei der Tsunami-Katastrophe seine ganze Familie verloren, alle ertrunken, vermisst, weg. Seitdem bellt er jede Nacht das Meer an, trauert unendlich um seine Familie, und langsam schlafe ich wieder ein, so einem armen Hund kann ich nicht böse sein.

 

 

 

Fotos dieser Reise sind gepostet auf:

ingoengelmann.jimdo.com  (BilderBlog 2013)