Johann Michael Bossard, geb. 16.12.1874 in Zug (Schweiz), gest. 27.03.1950 in Jesteburg

 

 

 Überblick:

 

1. Kapitel: Der BossardBlog

Einträge (zum Lesen bitte runterscrollen - nicht auf die entsprechende Überschrift hier klicken):

1) Neubaupläne ausgesetzt (20.5.2020)

2) Wie die Vergangenheit durch Übermalen eines Hakenkreuzes bewältigt werden soll (28.11.2020)

3 )Wer soll weiter über Bossards Ideologie forschen? (30.11.2020)

4) Das Hakenkreuz im Edda-Saal der Kunststätte -  Gedanken zum Hintergrund (3.12.2020)

5) Hakenkreuze im Wolfenbüttler Schloss (4.12.2020)

6) Hakenkreuz schon übermalt? (7.12.2020)

7) Bossard-Tweet (8.12.2020)

8) Hakenkreuze - damals und heute (30.12.2020)

9) Presseschau (I) - aus ZEIT und art (11.1.2021)

10) Fragen an das Landesamt für Denkmalschutz (NLD) (13.1.2021)

11) Offener Brief an Stiftungsrat und Mitarbeiter*innen der Kunststätte Bosard (30.1.2021)

12) Presseschau (II) - Jüdische Allgemeine (2.2.2021)

13) "Reden wir über Bossard" - Termine stehen fest, Teilnehmer nach und nach benannt (5.2.21 / 15.2.21)

14) Presseschau (III) - Nordheide Wochenblatt und weiteres (7.2.21)

15) Kunststätte und Stiftungsrat antworten auf den Offenen Brief (8.2.21)

16) Kleine Schritte ohne Kompass (15.2.21)

17) Was meint der Denkmalschutz? (24.2.21 / 18.3.21)

18) Antwort auf das Schreiben vom Stiftungsrat (26.2.21)

19) Presseschau (IV): Lüneburger Landeszeitung (16.3.21)

20) Bossards Vordenker, erstes Kapitel: Paul de Lagarde (17.3.21 / überarbeitet 6.4.21))

21) Bossard und die Seinen (Die Google-Alerts-Glosse) (29.4.21)

22) Container-Ausstellung und Hakenkreuz (7.5.21)

23) Wenn der Landrat erzählt - Forschungsauftrag geht nach München (9.5.21)

24) Bossards Vordenker, Zweites Kapitel: Arthur Moeller van den Bruck (9.7.21)

25) Der Holocaustüberlebende und die Lehren der Vergangenheit - Bericht und Faktencheck (15.7.21)

26) Bossards Vordenker, Drittes Kapitel: Bossards Verstrickung (3.11.21)

27) "Die Kunststätte Bossard in Jesteburg. Ein Ort für Kunst, Denkmalschutz und Politik?" - Ein Bericht (4.11.21)

28) Gutachter PD Dr. Hof: Bossard mit Ideen und Werken verortet in der Vorgeschichte des Nationalsozialismus (6.4.22)

29) Die neuen Ausstellungen und die alten Fragen (21.9.2022)

30) Bossards völkische Auftraggeber: Der Werdandi-Bund (13.12.2023)

31) Forschungsgutachten abgeschlossen - Kunststätte vorsichtig umbenannt (11.4.2024)

 

Der Blog wurde im April 2024 abgeschlossen.

 

 

 

2. Kapitel: Bossards Schatten.

Völkische Ideologie und Kunst in der Heide. Ein Beitrag zum Umgang mit der Kunststätte Bossard

von Ingo Engelmann

14 Seiten, Selbstverlag, Buchholz 2020

 

3. Kapitel: Der Bogenschütze und der Bildhauer. 

Über Kunst, Psychotherapie und völkische Untertöne.

von Ingo Engelmann.

In: NAPPO, Mitgliederrundbrief der Norddeutschen Arbeitsgemeinschaft Psychodynamische Psychiatrie Nr.27, 2018, S. 10-16

 

4. Kapitel:  Presse-Echo, Leserbriefe und Antworten  von  2018 bis 2020  

mail-Verkehr mit Presse und Politik zum Thema J. Bossard, Dokumente zur weiteren Debatte (links zu Presse-Artikeln des SPIEGEL, der Deutschen Welle, des Nordheide Wochenblattes, NDR Kultur usw.)

 

Alle Fotos zeigen Werke von Johann Bossard:

© Engelmann  2012-2023

 

 

 

 

 

 

1. Der BossardBlog

 

 

 

 

 


Donnerstag, 11. April 2024 - Einunddreißigster Eintrag

 

Forschungsauftrag abgeschlossen - Kunststätte vorsichtig umbenannt

 

Am 10.4.24 stellte PD Dr. Tobias Hof den abschließenden Teil seiner Forschung zu Johann und Jutta Bossard der Öffentlichkeit vor. Einleitend wies Frau Duisberg-Schleier, Geschäftsführerin der Einrichtung, auf eine kleine aber möglicherweise doch bedeutende Veränderung im Namen der "Kunststätte Bossard" (so firmierte sie bislang) hin. Künftig heißt sie "Museum Kunststätte Bossard - Gesamtkunstwerk und Lernort". Der Begriff Museum im Namen soll den kunsthistorischen Schwerpunkt erweitern um die museumspädagogische und wissenschaftliche Annäherung an das Werk und das Leben von Johann Bossard wie auch seiner Frau Jutta. Fast noch wichtiger könnte der Begriff "Lernort" im Untertitel sein. Schon in der Auseinandersetzung um den Umgang mit dem Hakenkreuz im Bodenmosaik (s. auch den Eintrag Nr. Elf in diesem Blog) wurde immer wieder auf den Auftrag hingewiesen, dass die Kunststätte den ideengeschichtlichen Hintergrund der nordischen Mythomanie von Johann Bossard, seine völkischen und rassistischen Ideen mit in den Blick rücken müsse. Nicht das Hakenkreuz müsse versteckt werden, sondern umgekehrt seine Bedeutung und seine Geschichte müssten aufgezeigt und erläutert werden. Dadurch werde die Kunststätte zum Lernort für die Vermittlung unserer demokratischen Werte und ihrer Gefährdung seit dem neunzehnten Jahrhundert über den Holocaust bis zu den heutigen Konflikten um rechtspopulistische Verführungen. Die Umbenennung kann somit für die künftige Arbeit der Kunststätte erhebliche Bedeutung bekommen.

In diesem Zusammenhang ist es es erfreulich, dass für ein Jahr eine Historikerin in der Kunststätte tätig sein wird, die in diesem Kontext Vermittlungskonzepte entwickeln wird. Eine dieser Vermittlungsaufgaben dürfte dann auch sein, das Hakenkreuz im Bodenmosaik zu erläutern und in eine museumspädagogische Aufklärungserzählung einzubauen. Dr. Eva Lütkemeyer verdient für diese Arbeit alle Unterstützung.

Den Schwerpunkt des Abends bildete der Vortrag von Tobias Hof vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Er hatte vor zwei Jahren ein erstes Kapitel seiner Forschungsarbeit vorgestellt, in dem die völkischen und rassistischen Gedanken Bossards in den Zusammenhang seiner Zeit gestellt und kritisch bewertet wurden. Jetzt hatte er neue Quellen genutzt und den Fokus nicht nur auf Johann Bossard selbst, sondern auch auf seine Frau Jutta gerichtet. Sie war bisher als Schülerin Bossards, die ihn bewundert und unterstützt hatte, aber weniger als eigenständige Person vor allem auch nach seinem Tod in den Jahren von 1950 bis 1996 betrachtet worden.

Johann Bossard war von Hof nun auch unter dem Aspekt seiner Vernetzung und Integration in völkisch-rechte Kreise beleuchtet worden. Hof widersprach der häufig wiederholten Lesart, Bossard sei nur ein eigenwilliger und eigenbrödlerischer Eremit gewesen, dem der Kontakt zur Welt nicht wichtig gewesen sei. Man solle ihn daher bezüglich Wirkung und Auswirkung nicht überschätzen. Hof betonte, dass Bossard durchaus enge Kontakte zu anderen Gruppen konservativer und rechter Gesinnung gehabt hab. Dazu gehörten der Werdandi-Bund (s. Eintrag Dreißig in diesem Blog), Teile der Lebensreformbewegung und verschiedene Verlagshäuser. Auch in seiner Haltung nach dem Zweiten Weltkrieg war Bossard nicht isoliert, sondern gehörte zu der großen Gruppe, die ein deutsches Opfernarrativ pflegte und die Siegerjustiz und Sondergerichte der Alliierten kritisierte. An Bossard lässt sich vieles studieren, das Deutschland und Deutsche im letzten Jahrhundert ausgemacht hat.

Des weiteren widersprach Hof dem geschönten Bild von Jutta Bossard. Jesteburger, die auch als Kinder hin und wieder in der Kunststätte gewesen waren, schilderten Jutta Bossard als freundliche und liebenswerte Person. Diesem Narrativ steht gegenüber, dass Jutta Bossard besonders nach dem Tod ihres Mannes sein Werk offensiv zu verbreiten suchte und dazu ein verzweigtes Netz von Kontakten in der rechten Szene aufbaute. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen stand das Anfang der fünfziger Jahre als Auffangbecken ehemaliger Nazis gegründete "Deutsche Kulturwerk europäischen Geistes" (DKEG). Es galt bis zu seiner Auflösung 1998 als rechtsextrem und war zeitweise nach Angaben des Verfassungsschutzes (der es kontinuierlich beobachtete) als zweitgrößte rechtsextreme Organisation nach der NPD. Das DKEG führte auf dem Gelände der Kunststätte in den fünfziger Jahrern Sonnenwendfeiern durch, und Jutta Bossard stellte für die Illustration des Vereinsblattes "Klüter Blätter" eigene Werke zur Verfügung. Jutta Bossard hatte engen Kontakt zu Ferenc Orsos, einem ungarischen Mediziner. Dieser war in den vierziger Jahren durch antisemitische und rassistische Haltung und Handlung aufgefallen. Er versuchte deutsche Rassengesetze in Unganr durchzusetzen und denunzierte jüdische Ärzte, die daraufhin ins KZ und in den Tod gingen. Er konnte aber nichtsdestotrotz nach dem Krieg in Mainz eine Professur und die Leitung des Seminars für künstlerische Erziehung übernehmen. In dem von Hof skizzierten Netzwerk von Jutta Bossard finden sich auch Namen, die in unserer Region seit jeher umstritten sind, wie Georg Sluytermann von Langeweyde, Hitler-Portraitist und Nazi-Barde, der auch nach dem Krieg als Bendestorfer Bürger weiter seine völkischen Hymnen zur Gitarre vortrug. Langeweyde erhielt 1970 den Ehrenring des DKEG, wurde 1973 Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Bendestorf und erhielt 1978 den Kulturpreis des Landkreises Harburg - ein Jahr nachdem Jutta Bossard dieser Preis verliehen worden war. Ein weiterer Name im Netz war war Alfred Toepfer, der Schutzheilige der Lüneburger Heide, Namensstifter der Naturschutzakademie in Schneverdingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der mit den Nazis wirtschaftlich eng kooperierende Unternehmer hervorgetan als Förderer ehemaliger Nazis, die in seinen Firmen Unterschlupf fanden. Auch zu ihm hatte Jutta Bossard Kontakt. Das passte.

Hof betonte abschließend in seinem Vortrag, das die völkisch-nationalistischen und rassistischen Strömungen des letzten Jahrhunderts keinesfalls verharmlost werden dürften. Die Wissenschaft habe sich diesem Phänomen bisher wenig zugewandt, aber man müsse davon ausgehen, dass diese Ideologien zum Beispiel als Steigbügelhalter der Nationalsozialisten gelten müssten und ihre Rolle in unserer Gegenwart aufmerksam und kritisch zu begleiten seien.

Das Forschungsgutachten von Tobias Hof kann wie sein Vorgutachten auf der Homepage der Kunststätte heruntergeladen werden:

https://www.bossard.de/files/Bilder/Flyer/Hof%20-%20Bossard%20Folgegutachten_5.4.2024_ONLINE.pdf


Mittwoch, 13. Dezember 2023 - dreißigster Eintrag

 

Bossards völkische Auftraggeber: Der Werdandi-Bund

 

Johann Bossard war enger mit dem harten Kern des völkischen Nationalismus verbunden, als bisher aktenkundig war. In diesem Blog wurde auf die Bezugnahme verwiesen, die es in Bossards Texten zu den Größen des antisemitischen Rassismus immer gab. Aber kürzlich fiel mir eine kleine Schrift in die Hände, die eine sehr handfeste Verbindung zwischen Bossard und diesen rechten Kreisen nachweist. Sie stammt von dem Bossard-Mäzen und -Bewunderer Emil Hegg und es geht darin unter anderem um einen ganz speziellen Auftrag, den Bossard 1913 annahm.

 

 

Hegg war Schweizer Augenarzt und Kunstliebhaber mit einem besonderen Faible für Johann Bossard, dem er immer wieder Aufträge verschaffte. In seiner Schrift „Ferdinand Hodler und Johann Bossard – Eine Konfrontation“ (1923) stellt Hegg dem bekannten Schweizer Landschaftsmaler Hodler als nüchternem Realisten die Tiefe des spirituell verankerten Johann Bossard gegenüber. Schon 1910 hatte Hegg in „Die Alpen“,  Schweizer Monatsschrift für schweizerische und allgemeine Kultur, ein Loblied auf Bossard gesungen: ein „Gigant auf eigene Rechnung“ mit einem „gigantischen plastischen Wert“, das „Schauer über den Rücken“ jage. Nun lässt er sich 48 Seiten lang über die (Hegg zufolge) zutiefst empfundene Kunst Bossards aus. Heggs Ausführungen sind als Zeitgeist und schwärmerische (leicht verblasene) Meinung eher von historischem Interesse. Eine Passage jedoch fiel besonders auf, weil sie den realen gesellschaftsphilosophischen oder auch politischen Kontext eines Bossard-Werkes schildert. Es geht um das monumentale Gemälde „Das Werden“, entstanden 1913 und mit einem Format von 7 x 2,7 Meter wahrhaft „gigantisch“. Es zeigt in der für Bossard typischen antikisierend-heroischen Darstellung im Zentrum mehrere Männergestalten und rechts und links am Rand zwei Frauen. Hegg schreibt: „Der Künstler (J. Bossard, IE) verlässt sich auf seinen Genius. Er gibt sich ihm hin, in sich gekehrt, schweigend und restlos…. Die Treibekraft des schöpferischen männlichen Geistes, des universalen Prinzips der Aktivität, hat sich verkörpert… Die nach beiden Seiten von dieser Gestalt ausgesandten Lichtstrahlen …  werden zu fackeltragenden Männern, die nach rechts und links ausschwärmen, um den Befehl zu vollziehen. Ihre befruchtenden Kräfte begegnen auf ihrem Weg … der Materie, und es formt auch sie sich, wird zur Gestalt des Weibes, phantomartig, bewegungslos, freischwebend im Raum, die Verkörperung des passiv empfangenden, weiblichen Prinzips.“ (S. 37f).

 

Interessant ist nicht so sehr die konservative Rollenfestschreibung des aktiven Mannes und der passiven Frau, man kennt das ja, der Mann muss hinaus ins feindliche Leben… Interessant ist vielmehr der Auftraggeber des Werkes, den Hegg benennt. Es ist der Werdandi-Bund, der das Monumentalwerk für seinen gleichfalls monumentalen Stand auf der internationalen Bauausstellung Leipzig 1913 bestellt hat. Bossard hatte kaum sieben Wochen Zeit, das Werk zu schaffen, die ganzen  sieben Meter. Es scheint ihm etwas daran gelegen zu haben – materiell oder spirituell, das bleibt spekulativ. Aber das Loblied von Hegg weist doch darauf hin, dass Bossard etwas an diesem Bild wichtig war – sonst hätte er sich nicht „hingegeben“, restlos und schweigend…

 

 

Wer war der Auftraggeber, der Werdandi-Bund? Gegründet wurde der Verein 1907 von Hermann Hendrich, einem Maler mit großem Engagement für die nordische Sagenwelt und für Richard Wagner. Ihm zur Seite stand der Architekturprofessor Friedrich Seeßelberg, der dieser Sagenwelt eine futuristisch-völkische Perspektive hinzufügen wollte. Gemeinsam war den Gründern die antisemitische Grundhaltung. Sie gewannen den Wagner-Sohn Siegfried für den Werdandi-Bund, ihm folgte ein weiteres Mitglied des Wagner-Clans: Henri Thode, Schwiegersohn von Richard Wagner. Thode ist mit seinen rasseideologischen Arbeiten heute in Vergessenheit geraten. Auch Houston Stewart Chamberlain, der die andere Tochter der Wagner-Gattin Cosima geehelicht hatte, schloss sich dem Bund an. Chamberlain war mit seinem antisemitischen Werk „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ ein Vorläufer der nationalsozialistischen Ideologie. Der Komponist Hans Pfitzner trat dem Bund bei, später einer der Vorzeige-Musiker der Nazis  und von Hitler zu den drei wichtigsten der „Gottbegnadetenliste“  erwählt. Paul Schulze-Naumburg kam hinzu, ebenfalls Architekt und Vertreter einer germanischen Architektur, zu dessen Freundeskreis auf seinem Anwesen Saaleck unterhalb der Rudelsburg schon in den zwanziger Jahren namhafte Nazis wie Walter Darré gehörten. Auch Hitler, Goebbels und Himmler waren zu Gast in Saaleck.  Schultze-Naumburg wurde später ebenfalls in Hitlers „Gottbegnadetenliste“ aufgenommen. Ebenfalls zum Werdandi-Bund gehörten Arthur Moeller van den Bruck, führender Antisemit und Verbindungsglied zwischen der konservativen Revolution der zwanziger Jahre und den Nationalsozialisten. Ludwig Schemann war auch dabei, der als Übersetzer des Antisemitismus-Klassikers Gobineau aus dem Französischen zu Ehren gekommen war.

 

 

Der Werdandi-Bund fand mit seinem verschwommenen Programm außer bei diesen und vielen weiteren namhaften Vertretern von völkischen, antisemitischen und rassistischen Konzepten aber auch Anhänger weit in das eher bürgerlich-konservative Lager hinein. Dichter und Maler wie Wilhelm Busch oder Otto Modersohn und andere fanden nichts dabei, sich der Mehrheit der Antisemiten und Mythomanen anzuschließen. Bossard hatte verstanden, dass der rückwärtsgewandten Werdandi-Philosophie einer gewachsenen, bodenständigen Gemeinschaft statt der gewordenen, zivilisatorischen Gesellschaft Nachdruck verliehen werden musste. Sein Werk „Das Werden“ stellte den Einzelnen in einen kosmischen Zusammenhang. Es geht darum, dass „der Mensch aus einem blinden Träger kosmischer Kräfte ein Erleuchteter werde. Ein Gesetzkundiger und daraus ein Waltender, ein Wesen, in dem Führendes und Geführtes ein Ganzes sind, das bewußt einem Ziel entgegengeht“ (so zitiert Emil Hegg Bossard aus dessen Notizen, Hegg 1923, S. 41).

 

Im Übrigen war auch Hegg selbst Protagonist antisemitischer Gedanken. In seinem oben angeführten Aufsatz aus dem Jahr 1910 stellt er neben den „Giganten“ Bossard als weiteren löblichen Kulturschaffenden den Schweizer Dichter und Träger des Literaturnobelpreises Karl Spitteler. Der hatte in seinem Epos „Prometheus und Epimetheus“ die Wanderschaft der Pandora zu den Menschen bedichtet. Gottfried Keller sagte zu dem Werk: „Was der Dichter eigentlich will, weiß ich nach zweimaliger Lektüre noch nicht.“ Aber es war schön gedichtet. Pandora brachte ein nicht näher beschriebenes Kleinod, das aber die verblendeten Menschen nicht würdigen. Zu guter Letzt kommt ein Jude daher, und in seiner lobenden Zusammenfassung der Spittlerschen Dichtung schildert Hegg, wie der Jude grinsend und heimlich das Kleinod nimmt - nur „um des Wegnehmens willen“. Das sieht aus wie ein Spitteler-Zitat. Ist aber O-Ton Hegg. Vom Wegnehmen schreibt Spitteler gar nichts in seinem eigenen Text. Die Heimtücke hat Hegg dem Juden zugeschrieben. Da musste der Augenarzt deutlicher werden als der Dichter. Sonst erkennt ja keiner, was die Juden uns antun.

 

Hegg, Emil (1923): Ferdinand Hodler und Johann Bossard. Eine Konfrontation. Egon Rentsch Verlag Zürich, 48 Seiten

Hegg, Emil (1910): Kunst und Ethik. Eine Erwiderung. in: Die Alpen. Zeitschrift für schweizerische und allgemeine Kultur, Band 5 (1910-1911), S. 296-300 (im Internet https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=alp-002%3A1910%3A5%3A%3A939, letzter Zugriff 13.12.2023)

 


Mittwoch, 21. September 2022 - neunundzwanzigster Eintrag

 

Die neuen Ausstellungen und die alten Fragen

 

Die Kunststätte Bossard hat in diesem Jahr mit zwei Ausstellungen ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufgeschlagen. Im Gegensatz zu früheren, beliebig wirkenden Ausstellungemodulen sollen die neuen Präsentationen einen Zusammenhang zwischen Bossard, seiner Zeit und der Gegenwart beleuchten. Das neue Zauberwort heißt „einen Bogen schlagen“.

 

Visionen, Utopien, Künstlerbauten (15.5.-11.9.2022)

Im Sommer dieses Jahres wurden in „Visionen, Utopien, Künstlerbauten“ drei Spielarten des Gesamtkunstwerks nebeneinander gestellt. Sie wurden ziemlich zeitgleich in und um Hamburg entwickelt: von Hans Henny Jahnn, Heinrich Steinhagen und Johann Bossard. Ein spannendes Ausstellungskonzept kündigte sich damit an, waren doch die drei Künstler ausgesprochen unter-schiedlich unterwegs und hatten vollkommen unterschiedliche Wurzeln – eine tolle Kuratorinnen-Idee.

 

Was konnte man aus dieser Gegenüberstellung für Erkenntnisse gewinnen? Was sagt uns das über Bossards verworrene Ideen? Hier blieb die Ausstellung leider Antworten schuldig. Man konnte sie als Betrachter lediglich selbst suchen. Der Erläuterungstext an der Wand sprach nur von Bossards „sozialer Utopie“ und überging die inkriminierten völkischen und rassistischen Elemente seines Gesamtkunstwerks. Dabei waren die sogenannten sozialen Utopien Bossards doch eher rückwärtsgewandte Nostalgien nach Allmende und Arbeitsfront, wie sie in verschiedenen Ausprägungen vielfach im national-sozialistischen Vorfeld entwickelt wurden. Eine offensive Auseinandersetzung mit Bossards Gesamtkunstwerk hätte dem nicht vorinformierten Betrachter hier weiter helfen können.

 

Interwoven (18.9.2022 – 8.1.2023)

Was aber hoffnungsfroh stimmte, war die Ankündigung der inzwischen eröffneten neuesten Ausstellung. Die engagierten und politisch positionierten Künstler*innen Vera Drebusch und Florian Egermann würden eine Auseinandersetzung anstoßen, wurde angekündigt:

 

Desinformationen in den sozialen Medien und Verschwörungstheorien sind Phänomene der Gegenwart, die Unbehagen erzeugen. Die Auswirkungen führen zu sozialen und gesellschaftspolitischen Wechselwirkungen. Auch Identitäten und Zugehörigkeiten werden infrage gestellt.“ Und weiter hieß es auf der Homepage der Kunststätte:

 

Vor dem Hintergrund kontroverser Debatten in den Medien um die Kunststätte Bossard regt diese Ausstellung (…) die Auseinandersetzung mit dem Museum, seiner Gegenwart und der Zukunft an.“

 

Drebusch und Egermann haben für „Interwoven“ (bis 8. Januar 2023) neue Positionen geschaffen und andere aus früheren Jahren mitgebracht. Ich bin vom Ausstellungsbesuch sehr hin- und hergerissen wieder nach Hause geradelt. Wenn ich die Werke in neutralem Zusammenhang irgendwoanders gesehen hätte, hätten mich einige beeindruckt und beschäftigt, hätten neue Blicke und sinnliche Begegnung ermöglicht und so eigentlich alles erfüllt, was ich mir von Kunst verspreche. Aber hier in Lüllau? Ich greife zwei Werke heraus:

 

Das Werk „Interwoven“ gibt der Ausstellung den Namen. Verwoben werden hier im wahrsten Sinne des Wortes Informationen: Twitter-posts aus Corona-Zeiten werden mit ihrer vergifteten Mischung aus Tatsachen und fake news sowie Verschwörungs-theorien in einen Algoritmus übersetzt, den eine Webmaschine in Wandteppiche transponiert.

Das Werk wird in einem Text erläutert, der die Idee erklärt und dann weiter ausführt:

 

Die Installation 'interwoven' lädt in der Kunststätte Bossard dazu ein, sich mit der kontroversen medialen Berichterstattung um den Mosaikfußboden im Eddasaal, den 2020 vorgestellten, umstrittenen Neubauplänen und der Hinterfragung der Haltung des Ehepaars Bossard in der NS-Zeit zu beschäftigen“.

 

Es bleibt bei der Einladung – Speisen und Getränke sind selbst mitzubringen... Kein Wort der Stellungnahme, keine Aussage darüber, wie die Kunststätte sich dazu stellt, keine inhaltlichen Handreichungen, die bei der Beschäftigung mit den angerissenen Themen helfen könnten. Davon wird man nicht satt. Die Dokumentation der sogenannten „medialen Kontroverse“, die in einem Container auf dem Gelände seit einem Jahr zu sehen war, ist übrigens abgebaut – der Container steht leer.

 

Im Werk „Hymnen“ soll um das Thema „Bodenmosaik“ gehen. Ein Reizthema in der Kunststätte, war doch das in das Mosaik eingewebte Hakenkreuz Auslöser der Kritikwelle, die der Kunststätte schwer zu schaffen gemacht hat. Das Mosaik hatte auch schon in der Ausstellung „Fitness, Kraft und Schönheit“ der Bossard-kritischen Künstlerin Verena Issel im Jesteburger Kunsthaus vor zwei Jahren eine Rolle gespielt. Wie würden diese beiden Künstler*innen das Reizthema hier angehen?

 

Um es kurz zu sagen: eigentlich gar nicht. Ein Puzzle aus ungefähr hundert Laminat-Quadraten (je 20 x 20 cm) lag durcheinander auf dem Boden. Der Text an der Wand behauptete einen Zusammenhang mit Bossard mehr als ihn zu begründen: Mit ihrem Projekt „Hymnen“ aus Laminatplatten hätten Drebusch und Egermann „temporäre Ausstellungsflächen“ geschaffen, „ die zur Auseinandersetzung mit Raum und Zeit“ auch schon an anderen Ausstellungsorten „einluden“. Und dann die gewagte Schluss-folgerung:

 

Nicht anders reagiert „Hymnen“ im Ausstellungsraum des Museums auf die umgebende Architektur und spannt den Bogen zu den historischen Mosaikfußböden des Künstlerehepaars Bossard in unmittelbarer Nähe“.

 

Das fand ich enttäuschend. Weder wird hier ein Bogen gespannt, noch eröffnet sich ein Raum. Die „mediale Berichterstattung“ und die Reaktionen der Öfffentlichkeit drehten sich nicht um die Kunstform des Mosaiks als solches. Vielmehr ging es darum,

  • ob ein Hakenkreuz ein Hakenkreuz ist oder eine wertfreie Fortführung nordischer Mythologie in Form der Swastika,

  • ob es verdeckt werden soll oder eingebettet in eine aufklärende Museumspädagogik,

  • ob es hinweist auf eine umfassendere Verankerung Bossards in völkischem Gedankengut und den damit verbundenen rassistischen und antisemitischen Grundhaltungen

Diese Fragen sind übrigens nicht neu – und nicht völlig unbeantwortet: In seinem Vorgutachten hat der Münchner Historiker Tobias Hof (s. post in diesem Blog vom 6.4.22) die Verstrickung Bossards in die rechten Weltbilder, aus denen die Nazis ihre eigene Ideologie entwickelten, bestätigt. Es scheint der Kunststätte leider nach wie vor schwer zu fallen, diesen Erkenntnisstand in die Museumsarbeit zu integrieren.

 

„Interwoven“ ist eine gute Ausstellung. Sie präsentiert anregende künstlerische Impulse und gibt ihnen Raum. An diesem Ort aber verfehlt sie leider das Thema. Es bleibt der Eindruck, dass die Künstler*innen es verzagt vermieden haben, wirklich einen Bezug zum Ort und zu seinem Geist herzustellen – warum auch immer.

 

Mittwoch, 6. April 2022 - achtundzwanzigster Eintrag

 

Gutachter PD Dr. Tobias Hof: Bossard mit Denken und Werken verortet in der Vorgeschichte des Nationalsozialismus

 

 

Im Frühjahr 2021 hatten der Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur sowie der Stiftungsrat der Kunststätte Bossard entschieden, einen Forschungsauftrag zur Haltung der Eheleute Bossard zum Nationalsozialismus an das Münchner Institut für Zeitgeschichte zu vergeben. Über Jahre waren in persönlichen Gesprächen, Presseberichten, Leserbriefen und nicht zuletzt diesem BossardBlog  Argumente und Fakten dafür vorgetragen worden, dass man dem Ehepaar Bossard nicht weiter so unkritisch und verharmlosend begegnen solle. Alles hatte die Vertreter von  Kommunalpolitik, Verwaltung, Stiftung und Kunststätte nicht überzeugt.  PD Dr. Tobias Hof legte nun sein Vorgutachten vor, und damit wird wissenschaftlich untermauert, dass man auf die kritischen Stimmen schon früher hätte hören können.

 

Das umfangreiche Vorgutachten ermöglicht auf über hundert Seiten einen Einblick, wie der Künstler Johann Bossard eigentlich tickte. Wer wie Bossard das Konzept des Gesamtkunstwerks vertritt, muss dabei auch als gesamter Mensch gewürdigt werden. Es geht also nicht nur um die Kunst, sondern auch um die ideologische Verstrickung der Bossards in völkische, rassische und antisemitische Haltungen, die schon lange vor der Zeit des Nationalsozialismus auf der politischen Rechten propagiert wurden. Sie bereiteten den Boden für die späteren Nazi-Verbrechen wie Weltkrieg und Judenvernichtung. Die Bilanz des Gutachtens lässt an Klarheit über Johann Bossard und seine Frau nichts zu wünschen übrig.

 

In den ersten Kapiteln werden die weitgehend bekannten biographischen Verläufe geschildert. Danach wird ein erster Blick in die Gedankenwelt Bossards geworfen: Womit hat er sich beschäftigt - z.B. in seiner engmaschigen Briefkorrespondenz-, was hat er gelesen, welche Bücher finden sich in seinem Bücherschrank? Einer großen Zahl völkischer, okkulter und theosophischer Werke standen dort nur wenige demokratische oder gar linksorientierte Autoren gegenüber.

 

Spannender wird es in dem Kapitel über Bossards Weltanschauung. Auch hier sind nicht alle Belege neu, Bossards spärliche Texte liegen vor und sind in den letzten Jahren mehrfach analysiert worden. Hof betont allerdings rote Fäden durch Bossards Ideen, aus denen sich eine etwas andere Betrachtung webt als in früheren Beiträgen anderer Wissenschaftler.

 

Bossard hat sich früh der germanisch-nordischen Mythologie zugewendet, insbesondere der Edda. Mit Hilfe der mythischen Erzählungen sucht er Auswege aus der Orientierungslosigkeit und Nervosität seiner Zeit, die Hof ausführlich darlegt. Die konservative Kritik an der Moderne, die Angst vor dem Untergang und die Unzufriedenheit mit Staat und Politik bilden um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert den Ausgangspunkt. Die Auswege findet Bossard in der okkult-völkischen Theosophie[1], die sich mit Namen wie Blavatsky und List verbindet. Es geht ihm weniger um die naturphilosophischen Ideen, die es abseits okkultistischer Strömungen auch in der deutschen Geistesgeschichte gibt. Er verknüpft spirituelle Sphären mit nordischer Sagenwelt. Das Ergebnis ist in sich wenig geschlossen. Die Überlegenheit der arischen „Wurzelrasse“ werde sich durchsetzen, und dazu bedarf es zum Beispiel entsprechender Lebensweise (Vegetarismus, Freikörperkultur, Heimatschutzarchitektur – zusammengefasst im schweizerisch-norddeutschen Konzept der Lebensreform). Neben diesen eher den Alltag betreffenden Praktiken gehören auch kulturell und gesellschaftlich wirksame Überzeugungen zur völkisch-theosophischen Geisteshaltung. Hof verweist auf die „konservative Revolution“ als „antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre, rechtsgerichtete Bewegung“ (S. 28) und Richard Wagners Germanenglauben.

 

Bossard hängt einem kulturell fundierten Rassebegriff an. Immer wieder beruft er sich auf die „nordische Rasse“, „nordisches Blut“ und die „germanischen Ursprünge“. Dagegen stellt er den „jüdischen Götzendienst“. Hof begründet, warum er diesen kulturellen Antisemitismus für nicht weniger gefährlich hält als den biologischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. Auch Bossard glaubt, aufgrund der Überlegenheit der weißen Rasse des Nordens werde „die Dominanz des „deutschen Volkes“ zum „Heil der Welt“ führen – mit welchen Mitteln auch immer“ (S. 35[2]).  In diesem Kontext kritisiert Hof die Verharmlosungen von Autoren wie Kroll oder Bermbach (die 2018 beim wissenschaftlichen Symposium in der Kunststätte Bossard als Referenten auftraten).

 

Im weiteren umreißt Hof den Antisemitismus Bossards und seine Ablehnung jeglicher Rassevermischung. Bossard stand damit in der Tradition einflussreicher Antisemiten des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Er folgte dabei einem Muster, das auch bei anderen seiner Vordenker zu finden ist[3]. Ihre oft wirren Ideenwelten enthalten rückwärtsgewandte Utopien, die kaum einer Realitätsprüfung standhalten und oft so wirklichkeitsfremd waren, dass an eine Umsetzung  überhaupt nicht zu denken war – und die nichtsdestotrotz eine gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten.

 

So kommt es zu Widersprüchlichkeiten:

-   Bossard nimmt zwar eine durchaus nicht ungefährliche antisemitische und rassistische Grundhaltung ein, propagiert aber selbst nicht die brutalen Umsetzungen dieser Ideen durch die nationalsozialistische Praxis. Die wissenschaftlichen Mutmaßungen über eine mögliche innere Distanzierung Bossards von den Nazis ab 1935 wirken so, als habe er es so nun auch nicht gemeint.

-   Seine Parteienschelte und Politikverdrossenheit in der Weimarer Zeit ist auf der einen Seite eine gedankliche Vorbereitung der autoritären Entwicklung hin zum Dritten Reich – aber eine Einparteiendiktatur ist auf der anderen Seite auch nicht nach dem Geschmack Bossards. Zumindest scheint ihm das klar zu werden, nachdem seine Versuche, sich der Nazi-Bewegung anzudienen, zurückgewiesen worden sind.

  

Der Wille zur Tat wird zwar immer wieder beschworen, aber letztlich bleibt Bossard ein Großsprecher und Rechthaber.

 

Bossard hat sich nach seinen Enttäuschungen um 1934 (Ablehnungen seiner Entwürfe, desaströser Rosenberg-Besuch in Lüllau usw.) zunehmend weniger öffentlich geäußert. Ob darin eine Distanzierung zum NS-Staat liegt, ist nicht belegbar. „Bossard lehnte … die NS-Kunst nicht per se ab, wie dies Kroll behauptete“ (S. 65). Der konservative Historiker Frank-Lothar Kroll hatte auf dem Bossard-Symposium 2018 jegliche Verstrickung Bossards in antisemitische Rasseklischees verneint. Für kritische Blicke auf die Geschichte des Dritten Reiches gibt es nur verschwommene Aussagen oder Schweigen. Daraus lässt sich nicht schlussfolgern, was Bossard zu der Zeit wirklich dachte.

 

Alles in allem zeichnet Hofs Gutachten das Bild eines Menschen mit einer überheblichen, selbstgerechten Weltsicht, der sich nach bitteren Erfahrungen zurückzieht, aber seine grundlegenden Haltungen nicht erkennbar ändert oder korrigiert. Mitten im Zweiten Weltkrieg habe er „nach wie vor ein autoritäre Staatssystem als Regierungsform favorisiert und einen deutschen Sieg als Heil für die Welt“ angesehen (S. 79). Nach dem Krieg versuchte Bossard, „Deutschlands Schuld am Krieg zu relativieren“, versuchte eine „Verharmlosung beziehungsweise Negierung der Mittäterschaft des deutschen Volkes an den Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten“ und entwickelte ein „deutsches Opfernarrativ“ (S. 81). Er wollte „das deutsche Volk von jeglicher Verantwortung für den Aufstieg der Nationalsozialisten und damit auch von den Kriegsverbrechen und dem Holocaust freisprechen“ (S. 83). Aus den von Hof zusammengetragenen Einzelfakten und den sich daraus ergebenden Mustern erscheint das Bild eines Mannes, mit dem man lieber nichts zu tun haben möchte. Dem gegenüber stehen Zeitzeugnisse aus seiner Bildhauerklasse und einzelne Episoden aus der Hochschule, denen zufolge Bossard sich für seine Schüler eingesetzt habe und ein geschätzter Lehrer war.

 

Hof schlägt als Forschungsperspektive vor, sich zum einen neben der Person von Johann Bossard auch stärker mit seiner Frau zu beschäftigen und dazu auf Zeitzeugen zurückzugreifen, die die 1996 verstorbene Jutta Kroll noch kennen gelernt haben. Zum anderen will er den Blick auf die schweizerischen Wurzeln des Weltbildes von Bossard richten, im weiteren das Netzwerk genauer analysieren, zu dem die Nazis Wohlthat und Offergeld gehören, und genauer betrachten, welche völkischen Künstler (ähnlich wie Bossard) trotz ihrer Motivation, die Wiedergeburt des deutschen Volkes im Dritten Reich zu befördern, vom Regime beiseitegeschoben wurden.

 

Hof hält es für dringend angezeigt, das “museale Konzept der Kunststätte entsprechend den neuen Forschungserkenntnissen“ für eine „historisch-kritische Vermittlung des Werkes“ aufzubereiten. Die „Verschwörungserzählungen“ unserer Tage wie auch die „staatsfeindlichen Weltbilder und identitären Geschichtsmythen“, denen wir begegnen, sollten ebenso wie der „virulente Rassismus und Antisemitismus“ zu einer „kritischen didaktischen Auseinandersetzung“ mit völkischem Gedankengut entwickelt werden (S. 89). Er betont die Dringlichkeit dieser Schritte. Damit schließt er unmittelbar an Empfehlungen von Fachleuten anlässlich einer Podiumsdiskussion in der Kunststätte an (vgl. BossardBlog vom 4.11.2021). Frau Dr. Gryglewski von der niedersächsischen Stiftung Gedenkstätten sowie Herr Fürst, Vorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, hatten der Kunststätte damals empfohlen, umgehend mit der Neukonzeption der Kunststätte im Sinne einer politischen Bildungsstätte zu beginnen. Dem steht nun auch von Seiten der Wissenschaft offensichtlich nichts entgegen. Es kann losgehen.

 


[1] Theosophie bezeichnet eine im neunzehnten Jahrhundert entwickelte Lehre von der göttlichen Weisheit, die den Rahmen der konfessionellen Religionen übersteigt und spirituelle, hellseherische oder ätherisch-esoterische Ansätze verbindet. Zum Teil als „Geheimwissenschaft“ verklärt, erfreuten sich popularisierte Praktiken wie Séancen mit Tischerücken oder Kontakten ins Totenreich im auslaufenden neunzehnten Jahrhundert großer Beliebtheit. Aus der theosophischem Kontext  gingen  Anthroposophie und antisemitische Gruppierungen wie die „Thule-Gesellschaft“ hervor (IE).

[2] Alle Seitenzahlen beziehen sich auf: Hof, Tobias (2022) Vorgutachten zur Frage des Verhältnisses von Johann Michael Bossard und Jutta Bossard zum Nationalsozialismus, Eigendruck, Kunststätte Bossard, zugänglich unter https://www.bossard.de/files/Bilder/Formulare/Hof%20-%20Vorgutachten%20Bossard%20-%20Finale%20Version.pdf

[3] vgl. Stern, Fritz (1986):  Kulturpessimismus als politische Gefahr, S. 318f

 

 

Donnerstag, 4. November 2021 - siebenundzwanzigster Eintrag

 

"Die Kunststätte Bossard in Jesteburg. Ein Ort für Kunst, Denkmalschutz und Politik?" - Ein Bericht

 

 

Zur Diskussion hatte die Kunststätte Bossard am 3.11.21  fünf Experten aufs Podium gebeten, und ca. 25 Interessierte hatten im Saal Platz genommen. Ein subjektives Resumee vorweg: Es war ein interessanter Abend. Es wurde viel über Bossard geredet, aber nicht nur über die Vergangenheit – auch die Möglichkeiten neuer Wege für die Kunststätte wurden erörtert.

 

Von der Kunststätte (Leiterin Frau Duisberg-Schleier) und vom Stiftungsrat (Landrat Herr Rempe als Vorsitzender) wurden die Abläufe der letzten Jahre zusammengefasst. Deutlich waren die Erwartungen, die an den kürzlich vergebenen Forschungsauftrag gerichtet sind. Im Januar sollen erste vorläufige Zwischenergebnisse vorliegen und der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

 

Bedauerlicherweise gab es in diesen ersten Ausführungen wenig handfeste Positionsbestimmung. Nur im Umgang mit dem Hakenkreuz im Edda-Saal legte Herr Rempe sich fest: Er sei zur Überzeugung gelangt, dass es nicht entfernt werden müsse, sondern gezeigt werden könne, wenn es einen entsprechenden Rahmen und eine unmissverständliche Einordnung gebe. Im Übrigen warte man auf die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Begleitforschung.

 

Das war anderen Diskussionsteilnehmern auf dem Podium zu wenig. Herr Lütjohann forderte die Stellungnahme jedes einzelnen ein, sei er Bürger oder politischer Mandatsträger. Das könne man nicht ausschließlich den Fachleuten zuschieben. Und noch konkreter wurden zwei weitere Podiumsteilnehmer:

 

    -          Frau Gryglewski von der Stiftung Gedenkstätten Niedersachsen forderte, das Hakenkreuz als sichtbaren Auslöser didaktischer Prozesse bei den Besuchern einzusetzen, speziell auch für Schüler und junge Menschen. Das Team der Kunststätte, wünschte sie sich, solle schon morgen damit beginnen, ein entsprechendes Curriculum zu entwickeln.

 

      -          Herr Preuss als Vorsitzender des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Niedersachsen stellte fest, dass aus diesem Kreis keine Forderung nach Entfernung des Hakenkreuzes kommen werde, sondern nach einem umfassenden Konzept für den Ort. Er verweigerte dem Ort den Titel „Kunststätte“, es sei in erster Linie ein Gebäude aus Nazi-Geist. Demzufolge habe der Ort besondere Bedeutung für die Zivilgesellschaft und die politische Bildung, hier sei ein Schwerpunkt künftiger Aktivitäten zu setzen.

 

    Keiner der Diskussionsteilnehmer sprach sich also dafür aus, das Hakenkreuz zu entfernen oder zu verändern. Auch der Vorsitzende des Stiftungsrates war da eindeutig: Das Symbol müsse erläutert und kommentiert werden, aber nicht verschwinden.

 

Über die Bewertung der Bossard-Verstrickung in Nazi-Ideologie hinaus ging es an dem Abend um die Rolle, die wir der Auseinandersetzung mit rechtsextremem Gedankengut heute zuerkennen und wie wir damit umgehen. Gerade weil es zu selten ein waches Interesse der Bevölkerung für Antisemitismus und seine Ausprägung in Kultur und Kunst gibt, liegt hier eine Herausforderung für den Ort. Herr Preuss stellte abschließend in Frage, ob es künftig noch eine Stiftung mit dem Namen Johann Bossard geben könne, oder ob es nicht eine Neuorientierung auch im Namen geben müsse. Gerade weil das Team der Einrichtung in seinem demokratischen Engagement nicht in Frage steht, sollten hier klare Zeichen gesetzt werden. Jetzt sind Politik und Kunststätte (solange sie noch so heißt) am Zug.

 

Ein Video-Mitschnitt der Diskussion ist auf YouTube verfügbar:

https://www.youtube.com/watch?v=YK2YayznDks&list=PL0DggzKDHYITGdkPP5v1CNqLdMa3Aiwcy&index=3sein

Die Presse-Erklärung der Kunststätte zur Veranstaltung steht unter

https://www.bossard.de/files/Bilder/Formulare/04112021%20PM%20Podiumsdiskussion%20final.pdf

 

 

 


 

Mittwoch, 3. November 2021 - sechsundzwanzigster Eintrag

 

 

Bossards Vordenker

Drittes Kapitel: Bossards Verstrickung[1]

 

 

Und so wird dann der lichte Tag anbrechen,

da das helkarthistische deutsche Volk

zur Völkerbrücke ward, schaffend nach ewigem Dreiklang

„Mensch, Volk, Welt“, dem hohen Plan der hohen Einkehr,

gehorchend seiner vorbestimmten Rune.

(Bossard 1925, S. 71)

 

 

 

 

1.) Bossards Zeit

 

Johann Michael Bossard wurde 1874 in Zug (Schweiz) geboren. Nach Abschluss der Sekundarschule durchlief er eine Lehre als Ofensetzer, ging dann nach Deutschland und schloss ein Kunststudium in München und Berlin an. Er war 33 Jahre alt, als er an die Kunstgewerbeschule in Hamburg berufen wurde, die heutige Hochschule für Bildende Künste. Weitere 26 Jahre später, Bossard war mittlerweile 59 Jahre alt, übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Da hatte Bossard sich schon seit Jahrzehnten mit der nordischen Mythologie beschäftigt. Zu den nordischen Göttern hatte sich schon früh eine „besondere Verbundenheit“ ergeben: Bossard hatte als elfjähriger Junge infolge einer Scharlacherkrankung das rechte Auge verloren. Das war eine augenfällige Parallele zum Göttervater Odin (oder Wotan), der ein Auge geopfert hatte, um Wissen und Erkenntnis zu erlangen. Mit der angestrebten „tieferen Welterkenntnis“ wollte Bossard wie vordem Odin „dem Volk den Weg in eine bessere Zukunft weisen“ (Schulz-Ohm 2018, S. 147). Schon früh suchte Bossard nach einer Verknüpfung von Mythologie, Theismus und Kunst. Er musste dabei nicht alles selbst neu erfinden.

 

Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die Anschauungen entwickelt, auf denen später die menschenverachtende Ideologie des Dritten Reichs aufbauen konnte. Die politische, philosophische und ideologische Debatte des ausgehenden Jahrhunderts drehte sich immer wieder um Unzufriedenheit und die Kritik an Moderne und Liberalismus. Bossard bezog sich auf eine Reihe dieser unzufriedenen Aufklärungsgegner. Eines der von ihm verehrten Vorbilder war Richard Wagner. In „einer Zeit allgemeiner Schwächung und Verirrung“ (Schulz-Ohm 2016, S.29) verlor die christliche Kirche den geistigen Kern, der durch die Kunst ( und ganz besonders durch das Gesamtkunstwerk) wieder neu entfaltet werden müsse.

 

Neben diesen „unausgeschöpften Ideen Richard Wagners“ bezog sich Bossard insbesondere auf Paul de Lagarde (1827-1891) und Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) (Bossard 1934, S. 140). Namentlich und lobend erwähnte er weiterhin Joseph Arthur de Gobineau (1816-1882) und den Wagner-Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) (Bossard 1938, S. 160f). Er lieh sich die „Geheimlehre“ der Theosophin Blavatsky (1831-1891) von einem Freund aus und besaß selbst fünf Werke ihres Schülers Guido von List (1848-1919) (Djassemi 2018, S. 44). Mit List befasste er sich intensiv und gewann von ihm viele Erkenntnisse aus der Runen-Lehre (vgl. Mayr 2018c, 64). Bossard erwähnt auch weitere Autoren namentlich, bezieht sich auf Rosenberg und Hitler, vor allem aber natürlich auch Maler und Bildhauer. Als Künstler hat er Michelangelo, Dürer, Rembrandt zum Vorbild, die er in die Gemeinschaft der von ihm so benannten „Helkarthisten“[2] einvernahmt.

 

Bossard als Denker erwähnte einige seiner konservativen bis rechtsextremen völkischen und antisemitischen Vorbilder namentlich. Aber insgesamt hat er ansonsten gar nicht so viel aufgeschrieben über sein Weltbild und die Einordnung seiner Kunst. Es liegen einige Briefe vor, sein zentraler Text „Werbeschrift an meine Freunde“ und zwei Reiseberichte. Die „Programmatischen Schriften und Reiseberichte“ aus dem Nachlass umfassen insgesamt kaum mehr als fünfzig Seiten in Band 16 der „Schriften der Kunststätte Bossard“ (Mayr 2018a). Mit entsprechender Vorsicht muss man versuchen, sein Bild von der Welt sowie dessen Entstehungsgeschichte zu skizzieren.

 

In den Werken und Äußerungen der Bossard beeinflussenden Philosophen, Theologen und Geisteswissenschaftler (um eine etwas unscharfe Summe zu bilden) finden sich einige Leitgedanken immer wieder. Aus der Unzufriedenheit über die Zeit und die Veränderungen bzw. den Stillstand suchen viele nach Orientierung und einer neuen Ordnung. Die alten Werte sind hohl geworden, die Kirchen haben ihre Führungsaufgabe abgegeben. Die katholische Kirche erschöpft sich in leeren Liturgien, die protestantische Kirche verweltlicht zusehends und beide haben keine spirituelle Kraft mehr. Insbesondere lehnen diese aufklärungskritischen Kreise Moderne und Liberalismus ab. Der Historiker Stern beschreibt das am Beispiel von Paul de Lagarde. Für den „war der Liberalismus …die dominierende, diabolische, durch und durch undeutsche Kraft in der deutschen Kultur, durch welche diese auf Trug der Modernität hingesteuert wurde“. Und die Juden „hatten naturgemäße Bundesgenossen, die Liberalen“ (Stern 1986, S. 92).

 

Diese konservativen Denker lebten in einer Epoche, die gekennzeichnet war durch die sprunghafte Entwicklung von Industrie und Technik. Dampfmaschinen und ihre Nutzung in der Schwerindustrie, z.B. in der Stahlproduktion, die durch die Eisenbahn ermöglichte Mobilität und die Entstehung des Proletariats sind Kennzeichen grundlegender gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit diesem Tempo der Modernisierung konnten politische, philosophische und religiöse Systeme nicht mithalten. Auch die tradierte Gesellschaftsstruktur entwickelte sich nicht weiter, Adel, Großbürgertum und Klerus hielten an ihren Privilegien fest. So entstand ein Spannungsverhältnis, das nach neuen Ideen und Entwürfen verlangte. Die moderne Welt war technisch, materialistisch und kalt. Wie könnten in ihr tragfähige Werte aussehen? Vielfach waren die vorgelegten Ideen nicht wirklich neu, sondern entsprangen einer merkwürdigen Bindung an frühere, für grundlegend gehaltene Werte in dem Versuch, sie zukunftsfähig zu machen. Dabei ging es nicht darum „modern“ zu sein, denn die Moderne wurde abgelehnt. Vielmehr sollten die alten Werte wieder neue Wertschätzung erfahren. So entstand eine Dynamik, in der Zukunft und Vergangenheit auf den Kopf gestellt wurden. Stern weist darauf hin, dass die Unzufriedenen der sich tendenziell entchristlichenden Welt über eine Art konservativer Revolution nachdachten. Sie „wollten die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginären Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden“ (Stern 1986, S.6f) „Je schwärzer sie die Gegenwart malten, desto heller strahlte die Vergangenheit, und sie schwelgten in wehmütigen Erinnerungen an das unverdorbene Leben in den früheren ländlichen Gemeinschaften…“ (ebd. S. 10) Und Stern verwies auf eine oftmals verloren gegangene Realitätsbindung: „Es hat in der modernen Welt nur wenige Völker gegeben, die so wirklichkeitsfremd waren wie das deutsche Volk während des Kaiserreichs“ (ebd. S. 19)

 

Diese Haltung war nicht auf Deutschland beschränkt. In Frankreich war Joseph Arthur de Gobineau einer der ersten, der mit wissenschaftlich-literarischem Anspruch die bestehenden Herrschaftsstrukturen zu sichern suchte. In seinem „Essay über die Ungleichheit der Rassen“ (1855) entwickelte er ein Weltbild, das im Kern auf der Unterschiedlichkeit der drei Rassen beruht: der weißen, der gelben und der schwarzen. Jede entwickelt ihre eigene Kultur, aber allein die weiße Kultur ist wertvoll und überlegen. Der arischen, nordischen Rasse gehören Geist und Welt (vgl. Foerster, 2016). Die weiße Rasse – das waren für ihn in Frankreich Adel und Großbürgertum. Allerdings stieß er bei den Franzosen auf wenig Resonanz.

 

Wirksam wurden die Gedanken Gobineaus erst Jahrzehnte später im Nachbarland durch die deutsche Übersetzung, die der Rassentheoretiker Ludwig Schemann im Jahr 1900 vorlegte. In Deutschland verband sich die Lehre Gobineaus dann mit anderen, deutschen Wurzeln – zum Beispiel den Veröffentlichungen von Paul de Lagarde. Johann Michael Bossard hatte Lagarde bescheinigt, er habe „hohen Sinnes gefordert und prophezeit“ (Bossard 1934). Zu diesen Forderungen und Prophezeiungen des 1827 geborenen Lagarde gehörte eine rassistische Geschichtslehre ähnlich der von Gobineau. Lagarde war „auf das Grimmigste antimodern“ (Watson 2014, S. 456). Er verurteilte die liberalen gesellschaftlichen Strömungen mit ihren demokratischen und fortschrittlichen Verirrungen. Der enttäuschte und unzufriedene Bürger, als den sich Lagarde selbst sah (und damit weite Kreise der Bevölkerung ansprach), fand Halt in der Idee vom arischen Erbe, das besonders in Deutschland fortlebe und in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung gerückt werden müsse.

 

Lagarde erlebte besonders nach seinem Tod (1891) z.B. im völkischen und antisemitischen „Alldeutschen Verband“ breite Anerkennung. Die Ideen Gobineaus wirkten besonders im Kreis um Richard Wagner fort, dessen Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain sie um heftige antisemitische Angriffe ergänzte.

 

Germanisierung, Arisierung und Rassismus standen im Mittelpunkt dieser alten, neuen Ideen. Rassismus verband sich regelhaft mit Antisemitismus. Man kann manchen der Denker zubilligen, dass sie sich wenig Gedanken darüber gemacht haben, ob und wie ihre Vorstellungen irgendwann umgesetzt werden könnten und wie das dann aussehen würde. Oft waren es akademische intellektuelle Gedankenspiele. Aber sie verbanden sich auch oft mit Abwertung und Hass gegenüber den herrschenden Eliten und der Politik – und gegenüber den Juden.

 

 

2.) Bossards Weltbild

 

Welche substanziellen Übereinstimmungen finden sich zwischen Bossard und seinen konservativen Vordenkern? „Deutschtum ist für mich ein idealer Begriff, der zum höchsten verpflichtet“ schreibt Bossard in einem Begriff an seinen Freund Emil Hegg (zit. nach Bermbach 2018, S.15). Deutschtum und Germanisierung sind zwei nahezu austauschbare Begriffe in der Auseinandersetzung um eine neue Religiosität (Radmüller 2012). Bossard spricht viel von Erneuerung, gerade auch in der religiös-spirituellen Sphäre. Er beschwört „die Kraft, Gottheit gestaltende Einsicht zu erweisen, vorzuleben als ein neuer Ton in der göttlichen Weltensymphonie, zu sein eine göttliche Harmonie. Das möchte ich ‚Theismus‘ nennen…“ (Bossard 1925, S. 66). Er betont die besondere Kraft, die bei diesem Weg aus dem nordischen Dunkel geschöpft werde. „Denn ein Ahnen ist in unserem ewig jungen Volk, dass nun der Tag angebrochen ist, an dem endlich die verborgene Rune unseres helkarthistischen, nordischen Linienornaments unserer Geschichte in die lichte Klarheit gedeutet, auf die theistische Ebene sinnvoller Tat gehoben werde“ (ebd. S. 71). Bossard greift hier einen Gedanken von Arthur Moeller van den Bruck auf, der junge und alte Völker unterscheidet. Junge Völker kommen von der kosmischen Verbindung im Mutterland zur Stufe des nationalen Vaterlandes, das aber nur ausgefüllt ist durch die vorangegangene Einbindung. Nur wo Mutterland war, kann Vaterland werden. Im von Bossards geprägten Begriff des „Helkarthismus“ steckt die Verbindung zur Edda. Dort ist Hel die Göttin der Unterwelt, also mit dem nordischen Dunkel direkt verbunden. Es geht Bossard um „die Befreiung der menschlichen Seele aus ihrer Gefangenschaft in der materiellen Welt und damit aus ihrer Selbst- und Gottesentfremdung“ (Fornoff 2018, S. 29) – und er spricht von der „jungen deutschen Nation“, die auch schon vor der Staatwerdung ihrer Kräfte bewußt gewesen sei (Bossard 1940, S. 181)

 

Bermbach fasst in seinem Vortrag über Bossards Weltanschauung zusammen, „Bossard mache tiefgehende menschliche Defizite aus, die, verursacht durch Industrialisierung und Modernisierung der Gesellschaft, bereits im Kaiserreich vorhanden gewesen wären, sich in der Weimarer Republik verschärft hätten und denen durch neue gesellschaftliche Strukturelemente begegnet werden müsse. Diese Dialektik… teilt Bossard mit vielen Verfechtern der Lebensreformbewegung.“ (Bermbach 2018 S 20). Auch auf der Homepage der Kunststätte wird „Bossards Programm der Selbstversorgung im Sinne der Lebensreform-Bewegung“ erwähnt (https://www.bossard.de/122.html), und auch andere verorten Bossards Impulse in der Lebensreformbewegung (z.B. Fornoff 2018, S. 27). Auf diese Wurzel können sich anscheinend Fachleute und Kunststätte gut einigen. Vielen mag der Begriff „Lebensreformbewegung“ harmlos klingen, manch einer assoziiert die ehrenwerte Rolle des Reformhauses. Das ist auch nicht abwegig, stammt doch auch diese Reformhausbewegung aus den Ernährungskonzepten der Lebensreform mit dem Vegetarismus, dem Verzicht auf Tabak und Alkohol usw. Allerdings war diese Szene sehr bunt und uneinheitlich. Folgerichtig wird sie sehr unterschiedlich als fortschrittlich oder antimodern und reaktionär eingeschätzt. Entsprechend unklar bleibt auch, wie eine Verortung von Bossard in der Lebensreformbewegung zu bewerten wäre.

 

Bossard baute das Wohnhaus in Lüllau im Heimatschutzstil, der der Lebensreform zugerechnet wird, und er lebte vegetarisch und abstinent. Das Konzept seines Gartens beruht auf dem Prinzip der Selbstversorgung. „Zurück zur Natur“ sowie die wohlwollende Betrachtung der Wandervögel, die jugendbewegt durch die Heide wanderten – vieles verdeutlicht, dass Bossard diesen Gruppierungen zugehörte oder ihnen nahe stand. Jedoch ist die Bewegung schwerlich in ein Rechts-Links-Schema einzuordnen, viele Lebensreformer waren antiautoritär und sozialreformerisch eingestellt. Viele Impulse aus der Reformpädagogik vom Anfang des 20. Jahrhunderts werden noch heute geschätzt, und zwar nicht aus rechtskonservativen, sondern demokratischen und liberalen Kreisen. „Lebensreformbewegung ist wie Jugendbewegung eine Protestbewegung - thematisch entwickelten sich die Bewegungen … in Frontstellungen gegen die dominanten Ausdifferenzierungslogiken gesellschaftlicher Modernisierung: nämlich in einer Frontstellung zur Kultur der westlichen Aufklärung, zur modernen Naturwissenschaft, zur Industriegesellschaft sowie in einer Frontstellung zum Parteien- und Verfassungsstaat.“ (Thiel 1999, S. 872). Von der lebensreformerischen „Gartenbaukolonie Eden“ bei Berlin wird berichtet: „Wer 1916 Neu-Siedler werden wollte, musste eine "deutsch-völkische" Gesinnung nachweisen.“ (Wiens 2020)

 

Rückblickend halten Carstensen/Schmid (2016) fest: „Trotz ihrer antisemitischen und protofaschistischen Vereinnahmung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die zentralen Metaphern und Paradigmen des lebensreformerischen Diskurses ihre Wirkungsmacht bis heute nie wirklich verloren“ (S. 10). So hochambivalent, wie viele Felder der Reformbewegung (Naturschutz, Homöopathie, Anthroposophie etc.) sein mögen: Bossard wie viele seiner Vordenker sind durch die antimodernen Elemente der Lebensreformbewegung miteinander verbunden. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren.

 

Bei Bossard finden sich vor allem die auf Gemeinschaftsideale orientierten Elemente, die sich eher gegen die Einflüsse der Moderne abschotten und konservativ an verloren geglaubten Werten festzuhalten suchen. Das findet sich auch in seinen Konzepten des Erneuerungsordens, der Allmende und des Arbeitsdienstes wieder. Hier treffen soziale und philosophisch-.spirituelle Aspekte aufeinander. Gemeinschaft – der Begriff hatte schon den Soziologen Tönnies in seiner Schrift „Gemeinschaft und Gesellschaft“ 1887 umgetrieben. Die überschaubare Gruppe früherer Zeiten, in der Zusammenhalt und gegenseitige Stützung wesentlich waren, die Gemeinschaft also, war im neunzehnten Jahrhundert von den weniger behaglichen Strukturen der unterschiedlichen Interessen in einer individualisierteren Gesellschaft zurückgedrängt worden. Bossard und die Seinen propagierten nun die Rückkehr zur Gemeinschaft, statt Parteien sucht man Bewegungen (wie eben die Lebensreformbewegung), die weniger starr und elitär zu sein versprachen. Der Erneuerungsorden oder auch Tempelbauerorden (Bossard 1925, S. 61) erfüllt sich durch die Einheit von Kunst und Leben, von Kunst und Religion (ebd.). Auch wenn Bossard von der Amtskirche enttäuscht ist, sich von ihr keine Erneuerung erwartet, ist hier der liturgische Begriff von der „Gemeinschaft der Heiligen“ nicht weit.

 

Zusammengefasst finden wir bei Bossard eine Germanisierung des Christentums im Sinne eines ariosophischen Theismus, die Rückkehr zur frühen Gemeinschaft, eine aufklärungsfeindliche Mystifizierung, die Fokussierung auf die nordische Mythologie und eine messianisch anmutende Erlösungsphantasie, in der er auch Elemente des wie Bossard einäugigen Göttervaters Odin mitschwingen.

 

Wie steht Bossard zu den seinerzeit viel diskutierten Thema der Rasse? Bossard ist an biologischen Kategorien nicht besonders interessiert. Insofern ist sein Rassebegriff weniger biologisch oder eugenisch konnotiert, sondern kulturell. In seinem späten Text („Bericht über eine Studienreise nach Belgien und Frankreich“, Bossard 1938) schreibt Bossard vom „nordischen Erbe“ (151), fühlt sich zur „Nachdenklichkeit über Rassenfrage“ (155) gezwungen, führt die kulturelle Leistung der Dombauten auf das „Bluterbe“ einer früheren „Rasse von seelischer Größe“ (156) zurück, die nun verschwunden sei. In Versailles stellt er fest, dass „die Dynamik des nordischen Blutes“ (158) verebbt sei. In der Barockkunst verortet er „nordisches Blut“ (158) und attestiert der französischen Malerei, sie habe sich „vielleicht bedingt durch die lateinische Blutmenge“ (159) nicht von der italienischen lösen können. Er findet „die Urrasse“ (159) wieder auferstanden und stellt fest, dass „Blut und Boden“ dieser „Urrasse“(160) wieder zu sich selbst finden. „Das Rasseproblem ist sicher eines der nachdenklichsten Kapitel der heutigen Forderung“ (160) und bedauert, dass seit Chamberlains Großwerk keine vertiefende Forschung mehr erfolgt sei (3).

 

Die nordische Orientierung, die sich immer wieder auf Rasse und Blut orientiert, ist ein durchgängiges Muster bei Bossard. Abwertende Beschreibung von Äußerlichkeiten wie z.B. „wulstigen Negerlippen“ (Bossard 1925, S. 63) und völkischer Hochmut findet sich verschiedentlich. „Wer im Lager derer ist, die Tartaren, Mongolen & Neger nach europäischen Schlachtfeldern führen, ist in meinen Augen gerichtet“, beschreibt er am Kriegsende seine „Farbenlehre“ auf, auf der auch „die Rassenlehre basiert“ (Bossard 1918, zit. nach Mayr 2014, S. 59). Bossard äußert sich selten direkt antisemitisch, aber ihm fließen süffisante Scherze oder Bemerkungen auf Kosten der jüdischen Bevölkerung bemerkenswert locker in die Feder. Er legt die Bemerkung anderen in den Mund („Jener Elsässer, den ich auf der Rückreise sprach, formulierte das so: Gegen die Juden könnten wir zwar einen Hitler brauchen, aber sonst…“(Bossard 1938, S. 153). In seiner bitteren Klage über das Preisgericht zum Wettbewerb für ein nationalsozialistisches Bewegungsdenkmal im Jahr scherzt er: „oh wäre doch ein Jude dazwischen, damit ich ihm die Schuld geben könnte“ (1934, S. 144). Kurz vor diesem Satz hatte er erläutert: „Man kann nicht einer Partei sinnvoll dienen, die Hitler und Rosenberg zu Führern hat und gleichzeitig handeln, als ob von ihnen nicht Worte geprägt worden wären, die endlich Licht in das so heillos verfahrene Gebiet der Deutschen Kunst gebracht haben“ (1934, S. 142). Bossard nutzt auch einen antijüdischen Schlenker, um gegen das von ihm verachtete Bauhaus zu Felde zu ziehen – es sei der „Jude, dessen Wirtschaftsdenken wir ablehnen und dessen Götzenkult unter dem Schlagwort „neue Sachlichkeit“ eben wieder in sämtlichen hamburgischen Kunstwettbewerben geopfert werden soll.“(1934, S. 140). Und wie soll man seine Anmerkung im Bericht von der Frankreichreise verstehen, dass sie dort keine Deutschen sahen, wenn nicht als Abgrenzung von den deutschen Juden (die keine Landsleute seien): “Auf der ganzen Reise, weder in Museen noch in Restaurants und Geschäften haben wir Landsleute gesehen, häufig dagegen jüdische Emigranten“ (1938, S. 163). Meist kamen die jüdischen Emigranten aus Deutschland. Sie waren Deutsche.

 

Man kann also sehen, dass Bossard in seinem Gedankengut rassistisch und nationalistisch gefärbt war. Dabei wendet er sich nicht nur gegen Juden, sondern vor allem auch gegen Frankreich, die französische Kunst (soweit sie nicht nordisch geadelt ist) und Mentalität. Er stimmt mit größeren Teilen der Bevölkerung und ihrer Vordenker überein und ist insofern auch ein „Kind seiner Zeit“ – aber er findet Übereinstimmung ausgerechnet immer mit den konservativen bis rechtsextremen Flügeln in Deutschland. Andere Aspekte wie die soziale Frage (die er auch anspricht) ordnen sich dem völkisch-nordischen unter.

 

 

 

3.) Bossard aus heutiger Sicht

 

Johann Bossard war kein Nazi. Mit dieser Feststellung glaubten viele vor Jahren die Debatte über eine rechtsextreme Verstrickung des Künstlers beenden zu können. In der Tat: Bossard war kein Mensch für Parteien oder Vereine, er war Einzelgänger und mied das gesellschaftliche wie das politische Leben der Großstadt. Insofern war er kein Parteigänger der Nazis. Aber er hat zeitlebens (und schon lange vor dem Dritten Reich) an einem Weltbild gearbeitet, in dem das deutsche Volk als Reinkarnation des Nordischen eine führende Rolle spielt. In Verbindung mit dem Gemeinschaftsgedanken entsteht daraus eine völkische Ideologie, die das deutsche Volk und die nordische Rasse im höheren Auftrag sieht, die Welt zu retten. Das geht nur in Abgrenzung und Abwertung vom Fremden, sei es nun jüdisch, französisch oder südlich verortet. Letztlich enthält diese Ideologie auch antidemokratische Elemente. Das alles muss berücksichtigt werden, wenn man die Kunst Bossards betrachten und einordnen will.

 

Bossard hatte einen starken messianischen Drang, der nicht zuletzt aus seiner engen Verbindung zum Göttervater Odin abzulesen ist. Dabei ist er nicht (wie andere - auch gerade künstlerische - Zeitgenossen) ein Suchender, sondern ein Wissender. Was hier ins Spiel kommt, wirkt auf Menschen sehr unterschiedlich. Man kann vom Denker Bossard beeindruckt sein, ja überwältigt wie auch von seinen Ausgestaltungen des Kunsttempels. Man kann die Selbstgewissheit und Arroganz beklagen, die für andere daraus spricht. Man kann von Besuchern der Kunststätte begeisterte Resonanz hören und Entsetzen, aber nur selten Gleichgültigkeit. Es reicht nicht, die klaren Positionen zum persönlichen Problem von Bossard zu machen, wie der Bossard-Kurator Harald Szeemann: „Sein Pessimismus, den er vorschiebt, ist Schutzwall für eine immense Ich-Erfülltheit, die aus seinen Schriften und seinen dezidierten und klaren Auseinandersetzungen mit der ‚Moderne‘ spricht.“ (Szeemann 1991, S. 90) Ich-Erfülltheit und Pessimismus hin oder her – was Bossard draus macht, ist mehr als fragwürdig.

 

Beim Umgang mit Bossard und seinem Werk kommt der Bewertung aus unserer heutigen Sicht eine wesentliche Rolle zu. Es mag weniger darum gehen, von Bossard andere Einsichten oder Handlungen zu erwarten, als sie ihm möglich waren. Aber hundert Jahre später sind viele gesellschaftliche, politische, künstlerische und ethische Entwicklungen zu überblicken, die unseren heutigen Umgang mit einem umstrittenen Werk beeinflussen (müssen). Dieser Herausforderung stellen sich ganz unterschiedliche Institutionen oder Gruppen wie die Nolde-Stiftung in Seebüll, die Berliner Filmfestspiele bezüglich ihres Gründers Alfred Bauer oder die Anhänger der analytischen Psychologie C.G.Jungs. Bei Johann Bossard kommt noch eine spezifische Eigenheit hinzu: Bossard verstand sein Lebenswerk als Gesamtkunstwerk. Da sind von Künstler und Werk, seine Person und seine Gedankenwelt noch deutlich enger verzahnt als in anderen Feldern. Daher muss die Betrachtung seines Werks auch seine Ideen berücksichtigen und kann sich nicht auf die reine Bildbetrachtung beschränken.

 

Heute wissen wir, wie ausdauernd wirksam und verführerisch Systeme sind, die die Gefahren der Moderne betonen. Gleichzeitig versprechen sie, Unzufriedenheit zu beseitigen und Klarheit zu verschaffen, wo Orientierung fehlt. Populismus und Rechtsextremismus scheinen salonfähig geworden und zerstören die Versuche, die fragile Balance zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft weiter zu entwickeln. Wer mit seinen Mystifizierungen diesen antidemokratischen und menschenfeindlichen Tendenzen Vorschub leistet (wie es Bossard tut) kann heute kein Vorbild sein. Seine Kunst muss mit dem nötigen Vorbehalt betrachtet werden. Johann Bossard ist ein Künstler, der mit seiner Ideologie  Verantwortungsschuld auf sich geladen hat.

 

 

4.)Literatur

 

Bermbach, Udo (2018): Über Johann Bossards Weltanschauung. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a) S. 14-24

 

Bossard, Johann (1925): Werbeschrift an meine Freunde. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018a) S. 59-75

 

Bossard, Johann (1933): Brief an Herrn C.H. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018a) S.89-101

 

Bossard, Johann (1934): Brief an den Leiter der Gau-Führerschule Herrn Gundlach. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a) S. 139-144

 

Bossard, Johann (1938): Bericht über eine Studienreise nach Belgien und Frankreich. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a) S. 151-167

 

Bossard, Johann (1940): Bericht über einen Studienausflug nach Berlin. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a) S. 175-182

 

Carstensen, Thorsten; Schmid, Marcel (Hrsg.) (2016): Die Literatur der Lebensreform. Kulturkritik und Aufbruchstimmung um 1900. Transcript Verlag, Bielefeld

 

Djassemi, Barbara (2018): Werben für das ‚deutsche Kunstwerk‘ – Eine Einführung in Bossards Werbeschrift. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a) S. 42-57

 

Engelmann, Ingo (2018) Der Bogenschütze und der Bildhauer. Über Kunst, Psychotherapie und völkische Untertöne. In: NAPPO, Mitgliederrundbrief der Norddeutschen Arbeitsgemeinschaft Psychodynamische Psychiatrie Nr.27, 2018, S. 10-16 file:///C:/Users/Ingo/AppData/Local/Temp/NAPPO-27.pdf (zuletzt zugegriffen am 3.11.21)

 

Foerster, Manfred (2016): Zur Sozialpsychologie des Rassismus und Antisemitismus. Propheten der Feindbilder. disserta Verlag Hamburg https://books.google.de/books?id=7S38CwAAQBAJ&pg=PA33&lpg=PA33&dq=gobineau+antisemitismus&source=bl&ots=YvWpCdTINA&sig=ACfU3U20dFW9NRi9d8qY3pShFROZWUC6cQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwii84Gj9KbzAhUySvEDHWhDB-g4ChDoAXoECBMQAw#v=onepage&q=gobineau%20antisemitismus&f=false (zuletzt zugegriffen am 3.11.21)

 

Fornoff, Roger (2018): Symbol eines kommenden Größeren“. Johann Michael Bossard und das Gesamtkunstwerk. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018), S. 25-38

 

Juelich, Dierk (1990): Wer ist eigentlich betroffen? Aspekte zur psychoanalytischen Kulturkritik nach Auschwitz. In: ders. (Hrsg 1990): Geschichte als Trauma. Nexus Verlag Frankfurt

 

Lattke, Michael (2014): Paul Anton de Lagarde und das Judentum

 https://www.academia.edu/6851085/Paul_Anton_de_Lagarde_und_das_Judentum?email_work_card=view-paper (zuletzt zugegrifen am 3.11.21)

 

Mayr, Gudula (2014): „Bildhauern ist aber überhaupt ausgeschlossen“. Johann Bossard und der Erste Weltkrieg. In: Berger, U.; Mayr, G.; Wiegartz, V. (Hrsg., 2014): Bildhauer sehen den Ersten Weltkrieg. Arbeitsgemeinschaft Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen, S. 58-73

 

Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018a): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Programmatische Schriften und Reiseberichte. Schriftenreihe der Kunststätte Bossard Band 16 Jesteburg

 

Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018b): „Über dem Abgrund des Nichts“ – Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus. Schriftenreihe der Kunststätte Band 17 Jesteburg

 

Mayr, Gudula (2018c): >Nordgläubigkeit<. In: dieselbe (2018b)(Hrsg.), S. 64-66

 

Radmüller, Angelo (2012) Zur Germanisierung des Christentums, Zeitschrift für junge Religionswissenschaft [Online], 7 | 2012, Online since 31 December 2012, connection on 13 March 2021. URL: http://journals.openedition.org/zjr/399; DOI: https://doi.org/10.4000/zjr.399 (zuletzt zugegriffen am 3.11.21)

 

Röpke, Andrea; Speit, Andreas (2019) Völkische Landnahme. Alter Sippen, junge Siedler, rechte Ökos. Ch. Links Verlag Berlin

 

Schulz-Ohm, Magdalena (2016): Gesamtkunstwerke als Form des Utopischen. Von Richard Wagner zu Johann Michael Bossard. Berliner Debatte initial 2/2016, S. 25-38

 

Schulz-Ohm, Magdalena (2018): Das Bildprogramm des Edda-Saal – Hoffnung auf das Dritte Reich? Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018) S.144-166

 

Stern, Fritz (1986): Kulturpessimismus als politische Gefahr – Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland. Original The Regents of he University of California 1961. Deutsche Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag München

 

Szeemann, Harald (1991): Johann Michael Bossard. In: Szeemann, Harald (Hrsg.) (1991) Visionäre Schweiz, Verlag Sauerländer, Aarau; S. 86-90

 

Thiel, Felicitas (1999): „Neue“ soziale Bewegungen und pädagogischer Enthusiasmus. Pädagogische Impulse der Jugend- und Lebensreformbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts. Zsch f Päd 45 (1999) 6, S. 867-884

 

Töppel, Roman (2016): Volk und Rasse. Hitlers Quellen auf der Spur. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Heft 1 / 2016 https://www.academia.edu/15439291/_Volk_und_Rasse_Hitlers_Quellen_auf_der_Spur_in_Vierteljahrshefte_f%C3%BCr_Zeitgeschichte_64_2016_No_1_pp_1_35 (zuletzt zugegriffen am 3.11.21)

 

Watson, Peter (2014): Der deutsche Genius. Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI. Random House. Originalausgabe 2010, Simon&Schuster

 

Wiens, Bernhard (2020): Vom Heimatschutz über den Naturschutz zum Schutz der Rasse. https://www.heise.de/tp/features/Vom-Heimatschutz-ueber-den-Naturschutz-zum-Schutz-der-Rasse-4670663.html?seite=all (zuletzt zugegriffen am 3.11.21)

 

 

Anmerkungen

 

[1] Dieser Text stellt den dritten und abschließenden Teil einer Auseinandersetzung mit „Bossard und seinen Vordenkern“ dar, die ich 2021 in meinem „BossardBlog“ veröffentlicht habe. Teil I: 17. März 2021 / Dienstag, 6. April 2021 - Bossards Vordenker, Erstes Kapitel: Paul de Lagarde und der Antisemitismus; Teil 2: Freitag, 9. Juli 2021 - Bossards Vordenker, Zweites Kapitel: Arthur Moeller van den Bruck und das Dritte Reich. Abrufbar unter: https://engelmannsnotizen.jimdofree.com/bossard-blog/

 

[2] Zum Begriff „Helkarthismus“ finden sich in den vorliegenden Texten von Bossard keine Erklärungen. „Hel“ meint die nordische Mythologie der Hölle und ihrer gleichnamigen Herrscherin. Ob er mit „Karthismus“ sich auf die alte Schreibweise von „Karthesius“ (René Descartes) bezieht, bleibt offen.

 

(3) Leider verwechselt er Chamberlains "Grundlagen des XIX. Jahrhunderts" wohl mit Rosenbergs "Mythus des XX.Jahrhunderts", wenn er beklagt,  dass das "Rasseproblem ... seit Chamberlains Grundl. d. XX. Jahrhunderts nicht vertieft worden ist" (Bossard 1938, S. 160)

 

 


 

Donnerstag, 15. Juli 2021 - fünfundzwanzigster Eintrag

 

Der Holocaustüberlebende und die Lehren der Vergangenheit - Bericht und Faktencheck

 

Am 13.7.21 fand in der Kunststätte Bossard ein Ateliergespräch mit Ivar Buterfas-Frankenthal statt. Die Kunststätte hatte das Gespräch mit dem Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugen mit einigen Stichworten angekündigt: „Wie lernen wir - Jung und Alt - aus der Vergangenheit für die Zukunft? Gibt es ein Tabuthema, über das wir nicht mehr reden oder sind es die Tabus, über die wir
sprechen müssen? Wie schützen wir uns vor Irrtümern und Irrwegen?“. Das Gespräch moderierte Hans-Jürgen Börner, langjähriger Journalist und Vorstandsmitglied der Bossard-Stiftung.

 

Dreißig Bürger und Honoratioren waren gekommen, weitere Interessenten mussten coronabedingt abgewiesen werden. Buterfas-Frankenthal machte eingangs deutlich, wie viel Überwindung es ihn gekostet hatte, der Einladung an den für ihn schrecklichen Ort zu folgen. Nie hätte er für möglich gehalten, jemals in seiner Heimatregion eine Stätte aufzusuchen, in der ein Hakenkreuz Teil des Gesamtkunstwerks ist. Mit der ihm eigenen Energie rief er dazu auf, die Jugend aufzuklären über die Gräuel der jüngeren Vergangenheit und die Folgetaten in der Gegenwart, in Halle und Hanau.

 

Das Gespräch drehte sich natürlich auch um das Hakenkreuz im Bodenmosaik des Edda-Saals. Dabei wurde deutlich: Ganz gleich, ob das Hakenkreuz unverändert belassen wird oder (wie derzeit) durch farbliche Veränderung eher unkenntlich gemacht ist, es bedarf der Aufklärung darüber. Die Verstrickung des Künstlers in die Nazi-Welt ist nicht aus der Welt zu schaffen, selbst wenn das Hakenkreuz verschwinden würde. Der Journalist Martin Doerry brachte das in der Diskussion auf den Punkt: Er bezeichnete die Kunststätte Bossard als das „Tschernobyl der Kunstgeschichte“. Die Kunststätte sei vergiftet durch die ideologischen Verirrungen des Künstlers, seine Entwürfe z.B. für ein Nazi-Denkmal auf der Hamburger Moorweide oder eben das Hakenkreuz im Bodenmosaik. Über all das weiß man Bescheid. Mit diesem Erbe müsse man nun umgehen, diese Herausforderung bestimme die Zukunft der Kunststätte.

 

Leider war der genaue Wortlaut der Informationstafel im Eingangsbereich des Edda-Saals, der von der Kunststätte dort vor einigen Monaten angebracht wurde, in der Veranstaltung nicht verfügbar (s.u.: Faktencheck). Es schien aber Einigkeit darüber zu bestehen, dass es bei diesem Text nicht bleiben kann. Sowohl Buterfas-Frankenthal als auch Börner und andere betonten, dass eine Erweiterung des Konzepts und der Organisationsstruktur der Einrichtung notwendig sei. Die Kunststätte muss ein Lernort sein, wo verbotene Kunst und unterdrückte Künstler präsent sind - ob in Ausstellungen, Workshops und bei den Besichtigungsführungen. Das muss ebenso ein Standbein der Kunststätte sein wie die Attraktivität der Architektur, der Einbettung in die Natur und die einzelnen Gewerke mit der Glasmalerei, den Skulpturen und anderen Elementen.

 

Buterfas-Frankenthal äußerte abschließend die Hoffnung, dass angesichts der vorgefundenen Bereitschaft zum Zuhören und zum Gespräch ein gemeinsamer Weg gefunden werden könne. Es hilft miteinander zu reden – nicht nur über Bossard, sondern über unseren Umgang heute mit furchtbaren Ideologien.

 

Faktencheck

 

        Informationstafel:

 

Auf einer Informationstafel am Eingang zum Eddasaal wird auf das Bodenmosaik und das darin gefundene Hakenkreuz hingewiesen. Dort heißt es:

 

 

 

 

Es bleibt offen, woher die Zweifel stammen, dass es sich bei dem Mosaik-Muster um ein Hakenkreuz handelt, dessen Vorgänger die Swastika ist. Man findet sie in Indien und fast allen Regionen der Welt seit Jahrtausenden. 1934 war sie in Deutschland allgegenwärtig als Symbol der nationalsozialistischen Diktatur. In diesem Jahr hat Bossard sie im Bodenmosaik eingesetzt. Ungeklärt ist, ob das noch vor dem Besuch des Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg in der Kunststätte Bossard war.

 

Fazit: Die Kunststätte weist auf "ein umstrittenes Symbol" hin – über die vorsichtigen Formulierungen zum Hakenkreuz in dem Informationstext darf weiterhin diskutiert werden.

 

      Denkmalschutz:

 

In dem Gespräch wurde die Rolle des Denkmalschutzes und die Beteiligung der verschiedenen Verwaltungsebenen thematisiert. Hierzu gibt es Äußerungen des Landesamtes für Denkmalpflege sowie aus dem Regionalbüro Lüneburg.

 

Nach den Ausführungen des Landesamtes für Denkmalpflege vom 13.9.2020 „bezweckt der Denkmalschutz die Bewahrung von Zeugnissen der Kulturgeschichte“. Auch wenn man Bossards Symbol im Edda-Saal als Swastika und nicht als nationalsozialistisches Symbol deutet, ist die „damit politisch weiterhin problematisch, weil die Swastika sich in einen völkisch-germanisch überhöhten Kontext seiner Kunst einordnet. Die Kunststätte Bossard bleibe „ein Gesamtkunstwerk, dessen Problematik nicht durch Entfernen des Hakenkreuzes begegnet werden kann. Vielmehr wird dadurch die Kunststätte Bossard gezwungen, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk und der Person Johann Bossards weiter zu betreiben“.

 

Das Regionalbüro des Landesamtes verweist in einer hier vorliegenden Mitteilung vom 29.1.2021 auf „ein Schreiben unseres Hauses, in dem wir .. eine anwaltliche Forderung ablehnen, die Fliese mit der inkriminierten Darstellung aus dem Denkmalschutz zu entlassen.“

 

Fazit: Das Hakenkreuz wird nicht aus dem Denkmalschutz entlassen, hier gibt es offenbar keinen Handlungsspielraum für die Untere Denkmalschutzbehörde im Landkreis. Davon bleibt die Entscheidung unberührt, das Hakenkreuz wie derzeit praktiziert unkenntlich zu machen.

 

 


 

Freitag, 9. Juli 2021 - vierundzwanzigster Eintrag

 

Bossards Vordenker, Zweites Kapitel: Arthur Moeller van den Bruck und das Dritte Reich

 

 

Einer der von Bossard selbst gelobten Autoren aus völkisch-nationaler Tradition war Arthur Moeller van den Bruck. Bossard schreibt: „Haben nicht Lagarde und Moeller van den Bruck hohen Sinnes gefordert und prophezeit, hat man kein Gefühl für die unausgeschöpften Ideen Richard Wagners, kennt man nicht die erneut so lebensträchtig gewordenen Gestalten der Edda, der nordischen und deutschen Sagen und Märchen, die in den Kämpen der S.A. erstanden zu sein scheinen?“ (Bossard 1934, S. 140) Über Lagarde wurde in diesem Blog bereits berichtet (Eintrag 20 unter dem Datum 17. März / 6. April 2021).

 

Wer war Moeller van den Bruck?

 

Der Historiker Voigt skizziert die Bedeutung Moellers so: „Moeller, der aus Distinktionsgründen später seinen Namen in Arthur Moeller van den Bruck änderte, war eine der ambivalentesten Persönlichkeiten in der Transformationsphase des deutschen Konserva­tismus zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Ein radikali­sierter Nationalismus, ein vehementer Antisemitis­mus und ein völkisches Weltbild machten ihn zu einem wichtigen Bindeglied zwischen der hetero­genen Strömung der Konservativen Revolution und der entstehenden NS-­Ideologie. Die Beschäftigung mit Moeller ist somit zentral für ein Verständnis der (ideen­)geschichtlichen Genese des Nationalso­zialismus.“ (Voigt 2014, S.111)

 

Moeller war autodidaktischer Historiker, der weder über einen Schul- noch einen Studienabschluss verfügte. Nach seiner Flucht vor persönlichen und gesellschaftlichen Pflichten (z.B. Wehrdienst) verbrachte er mehrere Jahre im Ausland. Dort widmete er sich der Entwicklung abgehobener und eher unkonkreter gesellschaftlicher Visionen. Seine persönlichen Entscheidungen (Flucht vor Militärdienst) und sein theoretisches Waffenklirren mussten dabei nicht zusammenpassen:

 

„Sie ist prachtvoll, die Schlacht, und menschenwürdiger als Selbstgenuß in dumpfem Behagen. Sie gibt uns, gerade wenn es die Schlacht der Geister und Leidenschaften ist, unsere höchsten Könige und besten Helden. Das andere, der ewige Frieden, wäre nicht zu tragen , eine Langeweile, ein Gähnen.“ (Moeller van den Bruck, A.. (1902): Die moderne Literatur. S. 608, zit. nach Stern, S. 295)

 

Im Mittelpunkt seiner Bemühungen stand der Kampf gegen westliche Ideologien und den darin verorteten Liberalismus. Er lehnte den „Sumpf der Parteienwirtschaft“ ab (Stern S. 277) und schrieb in einem 1922 veröffentlichten Sammelband „Die Neue Front“ den Artikel „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde“ (vgl. Stern S. 283). Der Historiker Stern schreibt über Moeller: „Seine visionäre Darstellung eines dritten Reiches waren nur neue Mittel zur Erreichung eines alten Zieles: Deutschland von seinem westlichen Kurs abzubringen.“ (Stern S. 294)

 

Dahinter stand die Vorstellung, dass es einen ständigen Kampf zwischen jungen und alten Völkern gebe. Besonders Frankreich und England waren für ihn alte Völker, deren Zeit abgelaufen sei. Sie hätten keine Verbindung mehr zwischen dem politischen Vaterland, der Nation, und der ursprünglichen Volkheit des Mutterlandes. „Mutterland, das ist die Heimat von Menschen, die das Leben kosmisch begreifen. Und erst in dem Grade, wie die Völker dann Willen entwickeln … bekommen sie Vaterländer. Nur politische Völker haben ein Vaterland. … Völker, die ein Mutterland haben, können von politischen Nationen besiegt, unterworfen, vorübergehend beherrscht werden. Aber sie bleiben immer irgendwie unanrührbar. Aus Mutterländern wächst Leben nach, immer wieder. (So) treten immer wieder Deutsche mit einer männlichen, starken, klaren Entschlusskraft hervor…. Ihr Gedanke war kein anderer als der: das Mutterland im Vaterlande aufgehen zu lassen, aus Volk und Staat eine große geistige und doch politische Einheit zu bilden. … Dieser Gang vom Volk zur geeinten politischen Nation … wird uns gelingen, weil wir immer wieder zum Mutterlande zurückkehren…“ (Moeller 1922, S. 260f)

 

Zum Volk gehörten die Juden nicht. Das machte Moeller auch in seiner Distanzierung vom Marxismus deutlich: „Als Jude habe Marx die geistige Wesenheit des Menschen nicht verstanden, „er war als Jude  ein Fremder in Europa und mischte sich gleichwohl in die Angelegenheiten der europäischen Völker… Er besaß als Jude kein Vaterland (…) Die Wirkung seiner Mission war jüdisch, indem sie zersetzend war.““ (zit. n. Stern S. 306)

 

Das deutsche Volk ist stark, wenn es als Rasse auftritt. „Rasse ist eine Macht. Wer sie in sich fühlt, der hat sie und übt sie aus. Worauf die Rassenanschauung ruht, das ist der Glaube an diese Macht, das ist der Glaube an den Menschen, das Vertrauen, dass er nicht der Knecht seiner Umstände, sondern der Herr seiner Kräfte ist. (zit. n. Stern 244). Herrschaft und die Macht der Rasse müssen dabei immer in den Händen einiger auserwählter Führer liegen. Parteien und liberale Demokratie sind unfähig, die Sache des Volkes und der Nation zu vertreten und zu schützen. In dieser Neigung zu diktatorischen Strukturen trifft sich Moeller mit kommunistischen Kämpfern wie Karl Radek und der Komintern, mit dem es Austausch und Kooperation gab. Hier finden sich Anklänge an nationalbolschewistische Ideen, und Moeller selbst betont: „Jedes Volk hat seinen eigenen Sozialismus“ (vgl. Stern S. 307).

 

Moeller gehörte einer späteren Generation als der fünfzig Jahre früher geborene Paul de Lagarde. Er war also auch zeitlich viel näher an der nationalsozialistischen Bewegung als seine Vordenker. Es gab allerdings nur ein persönliches Treffen zwischen Moeller und Hitler, nach dem Moeller Hitler eine „proletarische Primitivität“ attestierte. Was vielfach als Distanzierung verstanden wurde, wird aber heute eher als positive Bewertung der antibürgerlichen Attitüde der Nazis angesehen, mit der sich Moeller verbunden fühlte (Voigt 2014). Moeller verstarb schon 1925, so dass es keine weiteren Begegnungen gab.

 

In den zwanziger Jahren war Moeller ein bekannter Publizist, seine Bücher erzielten hohe Auflagen. Nach seinem Tod ließ das nach. Eine offizielle Würdigung der Moellerschen Ideen fand aber noch 1934 ihren Niederschlag in der Gründung der „Moeller van den Bruck-Samm­lung, Archiv und Biblio­thek zur Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung“ (Weiß o.J.). Das oben angeführte Moeller-Zitat zum Verhältnis von Mutterland und Vaterland fand noch 1943 Eingang in das auch im Rundfunk verwendete Sammelwerk „Die Quellen unserer Kraft“ (Würzberg, Krökel 1943, S. 260f)).

 

Moeller hatte den Begriff „drittes Reich“ in seiner gleichnamigen Hauptpublikationen „erfunden“ und ihn in der Öffentlichkeit verbreitet. Als die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten und an ihrer Geschichte strickten, sie hätten ihre Ideologie und Ziele samt und sonders selbst erfunden, liessen sie Moeller van den Bruck wie viele andere Vordenker fallen. Nach dem Ende des Dritten Reichs gab es hin und wieder Versuche, seinen Namen zu würdigen und reinzuwaschen. Der neuen Rechten liegt daran, Denker wie Moeller zu rehabilitieren und für ihre jungkonservativen oder auch rechtsextremen Vorstellungen zu nutzen (vgl. Voigt 2014).

 

 

Verwendete Literatur:

 

Bossard, Johann (1934):  Brief an den Leiter der Gau-Führerschule Herrn Gundlach. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018) Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass (S. 140)

 

Moeller van den Bruck, Arthur (1933): Sozialismus und Außenpolitik. Aufsätze 1919-1923. Verlag Wilh. Gottl. Korn, Breslau. Zit. nach: Würzbach, F.; F. Krökel (Hrsg) (1943)  S. 260-261

 

Stern, Fritz (1961): Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1986

 

Voigt, Sebastian (2014): Die Akte Moeller van den Bruck. In Zeitschrift für Ideengeschichte Heft VIII Frühjahr 2014, S. 111-113

 

Watson, Peter (2010) Der Deutsche Genius. Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI. btb 2014

 

Weiß, Volker (o.J.): Arthur Moeller van den Bruck. Der Prophet des Dritten Reichs.

https://gegneranalyse.de/personen/arthur-moeller-van-den-bruck/#5

 

Würzbach, F.; F. Krökel (Hrsg)(1943): Die Quellen unserer Kraft. Ein Lesebuch vom ewig Deutschen.  Steirische Verlagsanstalt Graz

 


 

Sonntag, 9. Mai 2021 - dreiundzwanzigster Eintrag

 

Wenn der Landrat erzählt - Forschungsauftrag geht nach München

 

Wer soll die Verwicklungen Bossards in nationalsozialistische Ideen und Strukturen erforschen? Wer soll Klarheit über die Auswirkungen von Bosshards völkischen und rassistischen Gedanken und Äußerungen schaffen? Die Entscheidung soll jetzt fallen. Der Stiftungsrat wird dem Vernehmen nach am 11.5.21 über den Forschungsauftrag befinden. Empfohlen wurde vom Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ).

 

Dieses Institut wurde vom Stiftungsrat schon im Sommer 2020 ins Gespräch gebracht. Damals gab es Vorbehalte gegen das IfZ. Im BossardBlog hatte ich am 30.11.2020 geschrieben:

 

„Dieses Institut genießt fachliches Renommee, ist aber auch nicht in allen politischen und fachlichen Feldern unumstritten. Insbesondere gab es Ausrutscher nach rechts, als der damalige Leites des Instituts in einer Laudatio den umstrittenen Historiker Nolte („Die Welt“ am 16.6.2016 über Nolte: „Er sagte zuerst, was die AfD jetzt denkt“) unkritisch feierte. Bei der Herausgabe der Goebbels-Tagebücher sah sich das IfZ heftigen Anfeindungen ausgesetzt: Der Vertrag mit dem Schweizer Altnazi Genoud sowie die mangelhafte historisch-kritische Technik der Herausgabe wurden scharf kritisiert (u.a. Sösemann 2003). Götz Aly kritisierte 2017 frühere Tendenzen des IfZ, sich wissenschaftlich fragwürdig zu äußern und attestierte dem Institut einen "Mangel an geistiger Souveränität" (www.perlentaucher.de).“

 

Ich hatte mich daraufhin Anfang Dezember 2020 schriftlich an den Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur und den Stiftungsrat gewendet und über Alternativen nachgedacht:

 

„Inhaltlich und strukturell empfiehlt es sich aus meiner Sicht, nach Forschungspersonen zu suchen, die sich in dem Feld bisher einen besonderen Namen gemacht haben wie der Berliner Historiker Prof. Uwe Puschner, in dessen Institut an der FU Berlin diese Expertise verfügbar wäre. Über die thematische Bindung hinaus könnte es alternativ sinnvoll sein, die regionale Nähe zugunsten einer optimalen Kooperation zu sichern. Da richtet sich der Blick auf die Leuphana Universität, die in der Person von Prof. Wolfgang Knöbl den Blick auf die Erforschung der Moderne mit einer interessanten Kooperation zwischen Lüneburg und dem Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) verknüpft. Knöbl steht sowohl dem HIS vor als auch dem Institut für Theorie und Geschichte der Moderne vor. Eine weitere Kooperationsschiene mit der Landesuniversität Göttingen könnte sich in der Person von Prof. Rebekka Habermas verknüpfen, die im Beirat des HIS sitzt und in Göttingen den Lehrstuhl für Neuere Geschichte innehat. Ihr Schwerpunkt der Kolonialismusforschung fällt nicht exakt zusammen mit dem der Bossard-Forschung, ist aber gesellschaftlich mit Fragen völkischer und rassistischer Geschichte eng verbunden.“

 

Damals hatte mir der Landrat und Stiftungsratsvorsitzende am 4.12.2020 geantwortet:

 

„Der Stiftungsrat hat sehr frühzeitig beschlossen, dass die Entscheidung, wer und mit welchen konkreten Fragestellungen die wissenschaftliche Untersuchung durchführen soll, nicht durch den Stiftungsrat selbst entschieden werden wird.“

 

Daher müsse der Kreistag in seinen Gremien darüber beraten, und:

 

In diesem Kontext wird dann sicherlich auch über die von Ihnen unterbreiteten Vorschläge zu beraten sein.“

 

Im Februar 2021 hatte der Kreistagsausschuss drei Institute in die nähere Wahl gezogen hatte (IfZ; Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden; Institut für Didaktik der Demokratie Uni Hannover). Das Hannah-Arendt-Institut sagte ab, blieben noch zwei. Das auch von der Kulturstaatsministerin Grütters empfohlene Institut für Zeitgeschichte der Universität Hamburg wurde nicht befragt. Die übrigen von mir genannten Institute tauchten in der Diskussion gar nicht auf. Und auch von der Aussage, der Stiftungsrat werde das nicht beschließen, sondern der Kreistag, war plötzlich nicht mehr die Rede. Hannover fiel raus, der Ausschuss sprach sich für München aus, und die endgültige Entscheidung soll nun der Stiftungsrat fällen.

 

Dieses irrlichternde Vorgehen stärkt nicht das Vertrauen in die Kommunalpolitik und den Stiftungsrat. Der Auftrag wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit übermorgen an das IfZ gehen, „das konservative Flaggschiff der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft“ (MdB Jan Korte). Darauf kann man sich einstellen. Aber auch das Institut muss damit leben, dass es längst nicht von allen Seiten einen Vertrauensvorschuss für diesen Auftrag erhält.

 

 


 

Freitag, 7. Mai 2021 - Zweiundzwanzigster Eintrag

 

Container-Ausstellung und Hakenkreuz

 

In einem Container auf dem Gelände in Lüllau-Wiedenhof dokumentiert die Kunststätte Bossard, wie seit 2019 über die Erweiterungspläne diskutiert wurde. Auf sieben Schautafeln wird präsentiert, wie es mit den Power-Point-Folien von Prof. Wiese begann, sich in Leserbriefen und mit Initiativen verschiedener Gruppen fortsetzte und seinen Höhepunkt in der nationalen und internationalen Presse fand (SPIEGEL, DIE ZEIT, New York Times u.a.m.). Ein Zeitstrahl und eine Medienstation ergänzen die Info-Show. Natürlich kann man nicht alles zeigen – einige substanzielle Leserbriefe fehlen, auch TV-Beiträge wie den des NDR-Kulturjournals habe ich nicht gefunden. Aber die Kunststätte hat den Mut bewiesen,  sich der Thematik anzunehmen und auch Stellung zu beziehen. So wird auf der einen Seite deutlich gemacht, dass die Ausbau-Pläne mitnichten fallengelassen wurden - das Projekt "Bossard neu denken" wird weiterhin verfolgt. Einzelne Kritikpunkte werden aber ernst genommen: „Neben der Diskussion um Johann Bossards persönliche politische Haltung wird weiterhin die Frage nach dem Umgang mit diesem streitbaren Symbol zu klären sein“, heißt es abschließend zum Thema des Hakenkreuzes im Bodenmosaik des Eddasaals.

Vorsichtig übermalt: Hakenkreuz mit farblich verfremdeten Haken
Vorsichtig übermalt: Hakenkreuz mit farblich verfremdeten Haken

 Wandert man nach dieser informativen Dokumentation weiter zu dem berühmt-berüchtigten Saal und inspiziert das „streitbare Symbol“, trifft man auf sehr wolkige Formulierungen. Auch hier gibt es mittlerweile (wie im Container) einen Erläuterungstext auf einem Banner im Eingangsbereich: „Ein Symbol mit bisher ungeklärter Bedeutung stellt ein Mosaik am Eingang des Edda-Saals dar. Es ist in der Form einer Swastika gelegt. Ob es sich bei diesem Symbol um ein Hakenkreuz handelt, konnte bisher nicht zweifelsfrei geklärt werden.“ Das ist eine (vorsichtig gesagt) sehr defensive Formulierung. Meint man in der Kunststätte tatsächlich, die Bedeutung des Bossard-Hakenkreuzes sei unklar? „Auch mir ist das Hakenkreuz ein heiliges Symbol“, hatte Johann Bossard selbst gesagt. Er hat das Bodenmosaik im Jahr 1934 gelegt – entweder kurz vor oder direkt nach dem Besuch des Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg in der Kunststätte. „Das Bildprogramm des Edda-Saals – Hoffnung auf das Dritte Reich?“ hatte Magdalena Schulz-Ohm einen Aufsatz genannt, in dem sie die Ergebnisse ihrer Promotion über die Kunststätte Bossard zusammengefasst hatte. Abschließend hatte sie dafür plädiert, die Frage zu bejahen. Natürlich: Bossards Mythen-Verliebtheit ließ ihn eine Swastika in esoterischer Tradition legen. Aber eine Swastika im Jahr 1934 - da muss man über "Bedeutung" nicht lange rätseln, wo doch schon in ganz Deutschland allüberall die Hakenkreuzfahne hing und Bossard selbst seinen Entwurf für ein Gefallenen-Denkmal (1933/34) mit dem Hakenkreuz schmückte.

 

Es bleibt viel zu diskutieren. Aber die Kunststätte hat mit der Dokumentation im Container einen wichtigen Schritt getan, dafür ist ihr zu danken.

 

 


 

Donnerstag, 29. April 2021 - einundzwanzigster Eintrag

 

Bossard und die Seinen  (Die Google-Alerts-Glosse)

 

 

Man kann bei Google eine automatische Mitteilung abonnieren, die einem täglich die Erwähnungen des Namens „Bossard“ im weltweiten Netz meldet. Das tool heißt "Google Alerts". Wenn man die Mitteilungen ein paar Wochen lang verfolgt, stellt man fest, dass darin nur in seltenen Fällen von Johann Bossard und seinem Kunsttempel die Rede ist.

 

Aber man lernt ein bisschen Lokalkolorit über Bossards Herkunft - er war ja in der Schweiz geboren worden. Der Name ist in der Schweiz überraschend weit verbreitet, und so beziehen sich die Meldungen im Netz auch fast ausschließlich auf Schweizer Ereignisse und Firmen. Johann Bossard entstammt einer Handwerkerfamilie aus dem Städtchen Zug in der Schweiz. Ganz oben in „Google Alerts“ steht die Bossard Holding, die selbstdrehende Schrauben und andere Verbindungsmaterialien produziert und zu den weltgrößten Anbietern gehört. Die Bossard-Holding wird erwähnt im Kontext des „Selbstdurchdringende-Muttern-Marktberichts“, der kürzlich in einem Branchenblatt veröffentlich wurde, und zwei Drittel aller Mitteilungen beziehen sich auf diese Firma, die ihren Sitz in Zug in der Schweiz hat. Genealogische Beziehungen zu Johann Bossard sind nicht bekannt. Den Fachbegriff „selbstdurchdringende Mutter“ kriege ich nicht mehr aus dem Kopf.

 

Ebenfalls in Zug liegt der andere, häufig erwähnte Referenzort, die Bossard-Arena. Hier spielt der EV Zug in der nationalen Eishockey-Liga. Der Verein ist auf dem besten Weg ins Finale der Play-Offs. Noch ein Sieg gegen die Rapperswil Jona Lakers, und Zug steht im Finale. Die Bossard-Arena steht auch für andere Veranstaltungen zur Verfügung, und derzeit gibt es Ausbaupläne, deren Umsetzung zwischen 44 und 51 Millionen Schweizer Franken kosten könnten. Ein Investitionsvolumen, von dem andere Institutionen träumen…

 

Daneben gibt es neben den Erwähnungen der Kunststätte („Jeder Knick wird irgendwann brechen“ und „Neue Mitarbeiterin für die Kunststätte Bossard“) nur noch ein paar Einzelerwähnungen anderer Bossards. Die „Carrosserie Bossard“ in Aadorf wird vom Gründer und Besitzer Manfred Bossard nach 48 Jahren an einen Nachfolger übergeben. In Aadorf gibt es noch einen weiteren Carrosseriebetrieb, der Autos neu lackiert. Er wirbt mit einem verrosteten VW-Käfer, Baujahr 1959, der an der Industriestraße vor dem Betrieb steht und auf der Beifahrertür ein halbmeterhohes Ritterkreuz trägt. Aadorf ist von Zug eine Autostunde entfernt.

 

Ebenfalls eine Stunde fährt man von Zug nach Liechtenstein. Dort erscheint die traditionsreiche Tageszeitung „Liechtensteiner Vaterland“. Sie berichtet über ein Jazz-Konzert mit der Robert-Bossard-New-Group, einem Quartett mit Gitarre, Saxophon, Bass und Klavier. Die Gibson von Robert Bossard stammt aus dem Jahr 1949, ist also älter als der Käfer vor der Carrosserie in Aadorf, aber wesentlich besser instandgehalten.

 

Die Bossards sind in der Schweiz gut bekannt und weit verbreitet. Es gab eine Goldschmiededynastie von Bossards in Zug und Umgebung, einen Orgelbauer, und im achtzehnten Jahrhundert einen Zürcher Postboten. Viele Bossards sind auch ausgewandert, vor allem in die USA, und einer nach Lüllau. Heute stand gerade wieder ein Hinweis auf die Kunststätte in „Google Alerts“. Der Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur hat sich entschieden: Der Forschungsauftrag über Johann Bossards Verwicklungen in völkische und rassistische Gedankengebäude und in den Nationalsozialismus wird an das Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ) vergeben – nicht zu verwechseln mit dem IFZ in Zug, das ist dort das Institut für Finanzdienstleistungen.

 

*

 

Vor einem Jahr hätte man bei  google alerts einen Eintrag finden können, dass auf art.hist.net eine Rezension des Buches "Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus" erschienen ist. Die Rezension wurde sogar durch wikipedia geadelt, wo im Artikel über "Kunststätte Bossard" seit Juni 2020 der Eintrag glänzt: "Eine wissenschaftliche Rezension der entsprechenden Publikationen erschien auf der Online-Plattform arthist.net.". Wissenschaftliche Rezension, das klingt gut. Schade nur, dass neben Petitessen wie "Museum für Kunst und die Gewerbe" (ein "die" zu viel) und anderen grammatikalischern Unregelmäßigkeiten in der Rezension auch noch das "Hackenkreuz" auftaucht, mit dem Bossard seinen Entwurf für das geplante Nazi-Denkmal auf der Moorweide geschmückt habe. Kein Wunder, dass der Entwurf nicht berücksichtigt wurde, ein Hackenkreuz allein reichte nicht.

Der Verantwortliche für das Portal "art.hist" hat seinen Sitz im Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Er wurde Anfang dieses Jahres auf die kuriose Rechtschreibung beim "Hackenkreuz" hingewiesen und hat sich per mail mit einem Dreiwortsatz für den Hinweis bedankt. Geändert wurde nichts. Was ist schon ein Hackenkreuz, wo es sich doch um eine wissenschaftliche Rezension handelt?

 


 

Mittwoch, 17. März 2021 / Dienstag, 6. April 2021 - Zwanzigster Eintrag

 

 

Bossards Vordenker, Erstes Kapitel: Paul de Lagarde und der Antisemitismus

 

 

Vorbemerkung: Warum es Sinn macht, sich mit den Vordenkern von Johann Bossard zu beschäftigen, und welche hier behandelt werden sollen

 

Johann Bossard erwähnt in seinen Schriften eine Reihe von Theologen und Geisteswissenschaftlern, deren Gedanken er aufnimmt, lobt und in sein Weltbild integriert. Er selbst führt die Bestandteile seines eigenen Weltbildes nur lückenhaft und verschwommen aus. Um sich ein Bild von Bossards Welt zu machen, hilft es daher weiter, wenn man sich diese Gewährsleute seiner Ideologie etwas näher anschaut. „In der „völkischen Bewegung“ Deutschlands erhielt die Agrarromantik am Ende des 19. Jahrhunderts durch einflussreiche rassistische Schriften, etwa von Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Houston Stewart Chamberlain, eine immer stärkere Fixierung auf das „reine“ Blut. Lagarde, Langbehn, Chamberlain und andere rassistische Autoren ihrer Zeit waren geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus. Ihre Ideen wurden von NS-Ideologen aber nicht nur übernommen, sondern bis zur Pervertierung radikalisiert.“ (Töppel 2018)

 

Bossard selbst äußert sich lobend über die erwähnten Lagarde und Chamberlain. Außerdem erwähnt er Arthur de Gobineau und Arthur Ernst Moeller van den Bruck. Und der Name Guido van List taucht in einem Artikel von Barbara Djassemi (2018) über Bossard auf. Sie weist darauf hin, dass in der Bibliothek Bossards fünf Werke von Guido van List zu finden sind. Der Autor habe Bossard beeindruckt und inspiriert.

 

Hier wird dieser kurze Überblick mit dem Theologen und Orientalisten Paul de Lagarde begonnen. Weitere Kapitel werden folgen.

 

 

Für eine nationale deutsche Religion: Paul de Lagarde

 

Wie komme ich darauf, dass Bossard etwas mit Paul de Lagarde zu tun hatte? In einem Brief an den Leiter der Gau-Führerschule Gundlach schreibt Johann Bossard im Jahr 1934: „Haben nicht Lagarde und Möller van den Bruck hohen Sinnes gefordert und prophezeit, hat man kein Gefühl für die unausgeschöpften Ideen Richard Wagners, kennt man nicht die erneut so lebensträchtig gewordenen Gestalten der Edda, der nordischen und deutschen Sagen und Märchen, die in den Kämpen der S.A. erstanden zu sein scheinen?“ (Bossard 1934, S. 140). Und Bossard fährt dann fort: "Weiss man nicht von der Notwendigkeit, dem Volke bildlich glaubhaft zu machen, was Philosophie, Rasseforschung und Spatenarbeit an Erkenntnis heldischer Ahnen und Zukunfts-verpflichtung entdeckt haben?" (ebd.)

 

Und wer war dieser Paul de Lagarde, auf den sich Bossard da so lobpreisend beruft? Geboren 1827 als Paul Bötticher nahm er siebundzwanzigjährig den Namen seiner Mutter an. Er studierte Theologie und Orientalistik und übernahm mit bereits zweiundvierzig Jahren eine Professur für orientalische Sprache an der Universität Göttingen. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt lag auf der Erforschung der Septuaginta, der ab 250 v.Chr. entstandenen griechischen Übersetzung alttestamentarischer hebräischer Bücher. Dabei setzte er sich immer wieder kritisch bis böse mit dem Judentum auseinander, aber ebenso kritisch wie polemisch beleuchtete er das moderne protestantische Christentum und griff alle Erscheinungsformen des Liberalismus scharf an. Er „hasste die Moderne mindestens so sehr, wie er das Vergangene liebte“ (Watson 2014, S. 456), und entwickelte Vorstellungen über einen neuen, geistig-völkisch basierten Glauben, der die deutsche Kultur retten sollte. Das verband er mit einem kulturell und religiös gerahmten Antijudaismus, für den wenige Jahre später der Journalist Wilhelm Marr den Begriff „Antisemitismus“ einführte (wikipedia).

 

Lagarde war in erster Linie Kulturpessimist (Stern 1986), er betrachtete mit Sorge den Niedergang der deutschen Kultur und den Verfall tradierter Werte. Die Rettung erwartete er von der Wiedergeburt eines reinen Deutschtums, das sich rigoros abgrenzt gegen alles Jüdische sowie auch gegen den zu judenfreundlichen Protestantismus. Lagarde wendet „sich gegen den glaubens- und sittenlosen Materialismus, den gemeinschaftsverderbenden Parlamentarismus sowie gegen die mangelnde geistige Einheit des deutschen Volkes“ und wird dadurch „später umso leichter Bezugspunkt für die Germanisierer des Christentums, weil jene diese Dispositionen teilen.“ (Radmüller 2012). Die Dynamik seiner Zeit resultierte nach Lagarde aus der Unzufriedenheit: Aus seiner eigenen wie der großer Teile der Bevölkerung. Die Unzufriedenen der damaligen, tendenziell sich entchristlichenden Welt stellten sich eine Art konservativer Revolution vor. Lagarde wollte wie sie „die von ihnen verachtete Gegenwart zerstören, um in einer imaginären Zukunft eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden“ (Stern 1986, S.6f). Die Gedankenfigur findet sich später auch bei Johann Bossard. „Ich greife damit bewusst auf vorkapitalistische Ordnungen zurück, wie sie im germanischen Volks- und Wirtschaftsleben schon bestanden haben“ (Bossard 1933, S. 93), begründet er seinen Rückgriff auf "nationalsoziale Gedanken" (ebd.). Eine romantisierte Vergangenheit soll in einer unwägbar illusionären Zukunft dabei helfen, der unseligen Gegenwart zu entkommen. Lagarde und Bossard eint der Hang zur Flucht. Allerdings gibt Stern auch zu bedenken: „Es hat in der modernen Welt nur wenige Völker gegeben, die so wirklichkeitsfremd waren wie das deutsche Volk während des Kaiserreichs(Stern 1986, S. 19).

 

Religion und Nation sind für Lagarde aufs innigste verwoben. Sein Begriff der Nation ist eher ein geistiger als ein materiell-geographisch-biologischer. Er sieht die beiden zentralen Begriffe "Staat" und "Nation" in enger Wechselwirkung - so wie bei Menschen Leib und Seele miteinander verknüpft sind, sich gegenseitig beeinflussen und steuern und immer wieder auch im Widerstreit liegen können. „Lagardes Dualismus geht der von Tönnies getroffenen Unterscheidung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ voraus … Tönnies „Gemeinschaft“ und Lagardes „Nation“ sind nahezu identisch.“ (Stern 1986, S. 83) „Lagardes Nationalismus war von einer anderen Art als der seiner Landsleute: Er ersehnte etwas Geistiges, während sie Deutschlands große materielle Macht bejubelten“ (ebd. S. 84). Die materielle Ebene war Lagarde suspekt, er sah keine materielle Grundlage für einen biologisch begründeten Rassismus (obwohl er zugestand: „Gewiß ist die Judenfrage auch eine Rassenfrage“ (Lagarde zit. nach Lattke 2014, S.6)). Zur materiellen Ebene gehörten auch die Finanzwelt und der Kapitalismus, für Lagarde weitgehend von jüdischen Geschäftsleuten dominiert und damit sicher keine Grundlage für eine deutsche Nation. Sein Problem mit anderen Rassen, und da sah er vor allem das Judentum, war ein geistiges und religiöses Problem.

 

Eine Nation als Gemeinschaft Gleichgesinnter und -verwurzelter auf der Grundlage einer nach-christlichen Religiosität – in diesem Dickicht war kein Platz für andere Völker und vor allem nicht für Juden. „Juden und Kapitalisten sind gleichbedeutende Begriffe: Lagarde forderte, dass beide zu vernichten seien. (…) Mit „diesem wuchernden Ungeziefer“ könne es keinen Kompromiss geben. ‚Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet‘“ (Stern 1986, S. 90f). Stern entnahm diese Äußerung Lagardes seinen „Ausgewählten Schriften“, die 1932 in zweiter Auflage erschienen waren. Zu dieser Zeit war der 1891 verstorbene Lagarde längst ein vielgerühmter Gewährsmann der rechten, völkischen und antisemitischen Szene aus „Alldeutschem Verband“, Freikorps und Nationalsozialisten geworden. Lattke zitiert eine historische Einschätzung: „Alfred Rosenberg präsentierte Lagarde als Vordenker des Nationalsozialismus und eskamotierte dessen Vorbehalte gegenüber dem Rassismus. Gleichwohl boten Lagardes rabiater Judenhass, sein radikaler Nationalismus und seine vehemente Zeitkritik manchen Anknüpfungspunkt, und auch Adolf Hitler studierte die „Deutschen Schriften“ genau.“ (Sieg 2009, S. 447f, zit. nach Lattke 2014, S.115).

 

Stern weist auch auf die persönliche Geschichte Paul de Lagardes hin: Seine Mutter verstarb nur wenige Tage nach seiner Geburt, und der Vater gab ihm zeitlebens die Schuld am Tod seiner erst achtzehnjährigen Frau (und Mutter von Paul). Daraus scheint sich eine Bindungslosigkeit entwickelt zu haben, die der Sohn zu kompensieren versucht, als er 27jährig die Adoption durch seine Großtante Ernestine de Lagarde erreicht, bei der aufgewachsen war. Lagarde selbst war zu dieser Zeit bereits promoviert und verheiratet, aber (so könnte man den Schritt verstehen) suchte weiter nach seinem Ort, seiner Zugehörigkeit. Stern warnt davor, diese biografischen Fragmente als Entschuldigung für den militanten Judenhass und die Glorifizierung der Nation zu benutzen. Aber er hält es für möglich, dass dieselbe Wurzellosigkeit und Desorientierung in den turbulenten zwanziger Jahren breite Bevölkerungsgruppen empfänglich gemacht hat für die Botschaft, die Lagarde aus seinem eigenen Leben schlussfolgerte (Stern 1986, S. 26 ff). Er zitiert den Dichter Hugo von Hoffmansthal, der 1927 über die Deutschen schrieb: “Nicht Freiheit ist es, was sie zu suchen aus sind, sondern Bindung.“ (zit. nach Stern, 1986, S. 6).

 

Bossard selbst lobt in dem oben erwähnten Zitat den „hohen Sinn“ Lagardes. Es gibt nur indirekte Indizien, wie sich diese Nähe der beiden von Bossard genannten völkischen Philo- und Theosophen (Lagarde und Möller van den Bruck) konkret darstellte. Bossard war wie Lagarde sehr stark orientiert an den religiös-mythologischen Fundamenten der nordischen Welt und setzte nicht auf die christlichen Kirchen, ohne allerdings den Glauben zu verlieren. Lagarde „wollte den Schutt der Vergangenheit abtragen, um so den Boden für die Errichtung eines neuen, nationalen Tempels zu bereiten.“ (Stern 65) Dieser Begriff zieht die Aufmerksamkeit auf sich: Das Wort „Tempel“ spielt auch bei Bossard eine große Rolle und findet sich nicht zufällig im Namen seines opus magnum – „Kunsttempel“. Er wünscht sich einen „Tempel der Erneuerung“ und propagiert den „Tempelbauerorden“: „Der hohe Gehalt, der diesem Begriff innewohnt … ist der Kern, um den einzig die uns nottuende Kultur ansetzen kann“ (Bossard 1925, S. 61). Lagarde und Bossard treffen sich im Kulturpessimismus, in der Bemühung um eine Erneuerung. Als sinnlichen und spirituellen Ort dieser Erneuerung plant Bossard seinen Tempel. 

 

Wenn auch bei Bossard der Antijudaismus nicht so explizit im Mittelpunkt steht wie bei Lagarde, gibt es doch wiederholt indirekte Angriffe auf das Geldjudentum und den von Juden beherrschten Kapitalismus. Bossard schreibt:  „So wird die eddische Warnung vor dem Golde nie konkret genug begriffen, nicht begriffen, dass Gold heute für uns Gift ist; eben weil es unseren Gegnern eine Waffe in die Hand gibt, mit der sie uns jederzeit außer Gefecht setzen können, unser Wirtschaftsleben zur Erstarrung zu bringen vermögen“ und konkretisiert: „Die einen der vom Teufel benebelten Geister stieren nach Russland und können sich meist nur einen Ausweg in den halbasiatisch-wüsten Greueln des Klassenkampfes denken, während die anderen sich nur Heil in dem vom Gold erstickenden Ländern erbetteln möchten. Dass man nicht diese Sumpfträume aus den Gehirnen hämmern kann!“ (Bossard 1933, S. 96) Und er wird auch deutlicher: „Das doch wohl dürfte der ‚ethische Sinn‘ der Arbeit sein, an ihr wachsen zu lernen, neben dem Dienst für die Notdurft des nackten Lebens, der ja der Jude genauso dient, dessen Wirtschaftsdenken wir ablehnen…“ (Bossard 1934, S.140). Der fast inflationäre Gebrauch der Begriffe „Rasse“ und „Blut“, speziell „nordisches Blut“, wie er in verschiedenen Texten Bossards zu finden ist, verstärkt den Eindruck, dass sich mit Bossard und Lagarde zwei verwandte Geister treffen.

 

Lagarde bezieht sich wiederholt auf die „Wiedergeburt“ der deutschen Volkes und „deutet den Gedanken der Wiedergeburt vom Christlichen ins weltlich Mystische um“ (Stern 1986, S.77) In diesem Sinne “war also Lagardes Religion kaum mehr als ein mystischer, christlich gefärbter Nationalismus“ (Stern 1986, S. 79). Bossard äußert sich da kosmischer, spricht vom „Reich des Karma“ (1925, S. 66) und die Rolle der Nation versteht er ähnlich wie Lagarde. Für Bossard geht es nicht darum, historistisch die Vergangenheit zu ergründen, aus der sich die Gegenwart vorgeblich folgerichtig entwickeln musste, sondern es geht um die ewigen Gesetze der Wiederkehr und des Neuanfangs.

 

Es gibt eine Reihe von Hinweisen, die den Schluss zulassen, dass das Lob Lagardes bei Bossard keine zufällige oder beliebige Formulierung ist. Es verweist vielmehr auf eine geistige Verwandtschaft, aus der man die Rückschlüsse auf den bei Bossard oft verklausulierten Antisemitismus ziehen kann.

 

 

Literatur

 

Bossard, Johann (1925): Werbeschrift an meine Freunde. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Jesteburg 2018, S. 59-75

Bossard, Johann (1933): Brief an Herrn C.H. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018) Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Jesteburg 2018, S.89-101

Bossard, Johann (1934): Brief an den Leiter der Gau-Führerschule Herrn Gundlach. In: Mayr, Gudula (Hrsg.) (2018): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Jesteburg 2018, S. 139-144

Djassemi, Barbara (2018): Werben für das „deutsche Kunstwerk“ – Eine Einführung in Johann Bossards Werbeschrift. In: Mayr, Gudula (Hrsg) (2018) Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Jesteburg 2018, S. 42-58

Kamann, Matthias (2005): Die geistigen Vorläufer des Nationalsozialismus. Deutschlandfunk (Sendung am 23.12.-2005), Zugriff unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-geistigen-vorlaeufer-des-nationalsozialismus.986.de.html?dram:article_id=153666 (zuletzt am 12.03.2021)

Lattke, Michael (2014): Paul Anton de Lagarde und das Judentum https://www.academia.edu/6851085/Paul_Anton_de_Lagarde_und_das_Judentum?email_work_card=view-paper (zugegriffen zuletzt am 12.03.21)

Radmüller, Angelo (2012) “»Zur Germanisierung des Christentums«”, Zeitschrift für junge Religionswissenschaft [Online], 7 | 2012, Online since 31 December 2012, connection on 13 March 2021. URL: http://journals.openedition.org/zjr/399; DOI: https://doi.org/10.4000/zjr.399

Sieg, Ulrich (2009): 2009: Lagarde, Paul Anton de [Paul Anton Bötticher], in: Benz, Wolfgang (Hrsg.) Handbuch des Antisemitismus, Bd. 2, S. 447-48, de Gruyter 2009

Stern, Fritz (1986): Kulturpessimismus als politische Gefahr – Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland. Original The Regents of he University of California 1961. Deutsche Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag München

Töppel, Roman (2018): Der ländliche Raum im Nationalsozialismus. Mythen, romantische Idealisierung und machtpolitischer Missbrauch einer Kulturlandschaft. Vortrag, gehalten am 30. Mai 2017 im Schloss Bröllin https://www.academia.edu/33305953/Der_%C%A4ndliche_Raum_im_Nationalsozialismus_Mythen_romantische_Idealisierung_und_machtpolitischer_Missbrauch_einer_Kulturlandschaft_May_2017_ (zuletzt zugegriffen 13.03.21)

Watson, Peter (2014): Der deutsche Genius. Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis Benedikt XVI. Random House. Originalausgabe 2010, Simon&Schuster

Wikipedia: Paul de Lagarde. https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_de_Lagarde (zugegriffen zuletzt am 12.03.21)

 


 

Dienstag, 16. März 2021 - neunzehnter Eintrag

Presseschau (IV): Lüneburger Landeszeitung vom 13.3.2021

 

Nach dem großen Beben

Die Künstlerstätte Bossard öffnet wieder, befasst sich kritisch mit ihrem Gründer und zeigt Grafik von Käther Kollwitz

von Hans Martin Koch

 

Das Beben war gewaltig, und die Nachbeben erschüttern die Kunststätte Bossard im tiefen Tann von Lüllau noch immer. Lange galt das Ensemble mit Kunsttempel und Edda-Saal vor allem als einzigartiges expressionistisches Gesamtkunstwerk voll germanisch-nordischer Mythen. Das ist es nach wie vor. Dass Schöpfer Johann Bossard (1874-1950) stark mit der Nazi-Ideologie sympathisierte, war nicht wirklich neu, blieb aber ein eher kleines Thema. Dann aber wurde es plötzlich ein großes und ein grundsätzliches, auch ausgelöst von ehrgeizigen Ausbauplänen. Was passierte und was passiert, wird ab 10. April Thema einer Container-Ausstellung und in der Reihe "Reden wir über Bossard" debattiert.

 

Ein Hakenkreuz im Mosaik des Fußbodens

Zum Auslöser der NS-Debatte um Johann und Jutta Bossard wurde ein Hakenkreuz in Ziegelform, das Bossard wohl 1934 in ein Mosaik auf dem Fußboden dess Edda-Saals einfügte. Kunstvermittlerin Alexandra Eicks entdeckte es 2017. Wie damit umgehen? "Offen! Das stand nie infrage", sagte Eicks. Das Team um die damalige Leiterin Dr. Gudula Mayr publizierte das Thema, machte aus Bossards rassistischer Grundhaltung keinen Hehl. Bossard war kein Mitglied der NSDAP, die seine Kunst ablehnte. Bossard zählte 59 Jahre, als Hitler an die Macht kam. Er machte sich aber mit den Nazis gemein, kann als ein Vordenker bezeichnet werden.

Da das Zeigen von Nazisymbolen verboten ist, kam im Juni 2020 aber die Staatsanwaltschaft, angerufen von Ivar Buterfas-Frankenthal. Der nahebei in Bendestorf lebende Holocaust-Überlebende und Bundesverdienstkreuzträger war auf das Thema gestoßen. Das Hakenkreuz wurde, auch um ein Verfahren zu vermeiden, verdeckt, dann vorläufig übermalt. Auch nicht richtig. "Wer das Hakenkreuz versteckt, macht die Schatten der Geschichte unsichtbar", heißt es in einem offenen Brief, den unter anderem Leiter von Gedenkstätten wie etwa Buchenwald verfassten.

Der Sieben-Millionen-Plan für eine Kunsthalle Lüneburger Heide auf dem Gelände und im Namen eines NS-infizierten Künstlers rief ein gewaltiges Medienecho wach. Der "Spiegel" griff das Thema auf und viele weitere. Bis hin zur "New York Times", die ihren Text mit sieben Fotos aufwertete.

Wie geht es weiter? Ein externes Gutachten zu Bossards geistiger Haltung ist in Auftrag gegeben. Die erwähnte, von Victoria Nixdorf betreute Container-Ausstellung lädt zur Debatte ein. Und bei der ersten Debatte "Reden wir über Bossard" treffen sich Ivar Buterfas-Frankenthal und der frühere NDR-Journalist Hans-Jürgen Börner, laut Plan am 15. April.

Was macht der Ausbau?  "Wir planen keine Kunsthalle Lüneburger Heide", sagt die neue Leiterin Heike Duisberg-Schleier. Das ist Stand März 2021. Duisberg-Schleier kommt vom Freilichtmuseum Kiekeberg, übernahm die Kunststätte von Gudula Mayr, Die Bossard nach elf Jahren aus familiären Gründen, so die Begründung, verließ. Duisberg-Schleier fungiert als kaufmännische Geschäftsführerin, eine Wissenschaftlerin soll im April zum Team hinzustoßen. Ein leichter Job steht ihnen nicht bevor. Sie müssen neben dem Aufarbeiten eine Idee zur Kernfrage entwickeln, wohin es mit der Kunststätte gehen soll. Der Ausfall von Einnahmen durch die Corona-Schließung will ebenfalls gemenagt sein.

Duisberg-Schleier steht vor einer weiteren Baustelle. Der Kunsttempel, das zentrale Gebäude der Kunststätte, muss samt Mauerwerk saniert werden, zum ersten Mal seit seiner Errichtung 1926 bis 1929. Die Arbeiten sollen im Frühjahr starten, sechs bis acht Monate dauern, Kosten: 688 000 Euro, dank Förderern steht die Finanzierung. "Wir scharren mit den Hufen", sagt die Leiterin. Der Tempel bleibt während der Sanierung dicht, der Eintrittspreis zur gesamten Kunststätte wird um zwei Euro gesenkt. Baustellenführungen sollen Hintergründe vermitteln.

 

Kein Besuch ohne Anmeldung

Jetzt ist die Kunststätte wieder besuchbar, vorläufig auf Anmeldung. In der Galerie wird bis zum 16. Mai Grafik von Käthe Kollwitz gezeigt. Im Haus ist Miriam Schmidt für die Ausstellung zuständig. Die Werkschau ist im Wesentlichen eine Übernahme vom Ostpreußischen Landesmuseum. Von dort kommt am 9. April der Kunsthistoriker Dr. Jörn Barfod zu einem Vortrag - Termin unter Corona-Vorbehalt. Im Mai soll eine Ausstellung zur Künstlerkolonie Heikendorf an der Kieler Förde folgen. Dort malten vor allem Zeitgenossen von Johann Bossard. Wie mögen die sich zur Nazi-Ideologie verhalten haben?

 

Kleine Nachbemerkungen:

 

Der erwähnte Forschungsauftrag ist nicht (wie im Artikel angegeben) bereits vergeben. Welche Fragestellung das demnächst auszuwählende Institut genau bearbeiten soll, steht noch nicht fest. Bisher hieß es dazu vom Stiftungsrat, die Frage der "Haltung und Gesinnung von Johann Bossard" sowie seine "Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus" solle erforscht werden. Darüber hinaus wird sicher die Zeit vor dem Dritten Reich zu beleuchten sein - Bosshard war, wie in dem Artikel zutreffend festgestellt wird, ein "Vordenker". Am 27.4.21 wird wohl der Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur seine Empfehlung abgeben.

 

Das Ateliergespräch mit Ivar Buterfas-Frankenthal (geplant für den 15.4.21) wurde gerade wegen der Corona-Einschränkungen auf einen bisher unbekannten Termin verschoben.

 


 

 

Freitag, 26. Februar 2021 - achtzehnter Eintrag

Antwort auf das Schreiben von Stiftungsrat und Kunststätte vom 8.2.21

 

Die Geschäftsführerin der Kunststätte Bossard, Frau Duisberg-Schleier, und der Vorsitzende des Stiftungsrates der Kunststätte, Landrat Rempe, hatten auf den Offenen Brief über das Hakenkreuz im Edda-Saal der Kunststätte geantwortet (s. Blog-Eintrag vom 8.2.21). Die Unterzeichner*innenn des Offenen Briefes haben jetzt darauf reagiert. Hier der Wortlaut:                      

 

                                                                                                                                                                                                 25. Februar 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

für die zeitnahe Reaktion auf unseren Offenen Brief vom 29.1.2021 danken wir Ihnen. Sie führen aus, dass der Respekt vor den Gefühlen der Opfer des Holocaust eine herausragende Rolle beim Umgang mit dem Hakenkreuz spielt. Wir teilen diese Bewertung voll und ganz, kommen jedoch zu anderen Schlussfolgerungen.

Aus diesen unterschiedlichen Schlussfolgerungen sollten im Dialog Annäherungen werden. Dazu sind sowohl der Respekt vor den Opfern als auch Erfordernisse der Erinnerungskultur und des Denkmalschutzes zu berücksichtigen. Vor allem aber sollte zeitnah mit konkreten Maßnahmen begonnen werden:

 

     -  Praktisch könnte das wiederhergestellte Hakenkreuz beispielsweise durch eine Plexiglasplatte o.ä. distanziert werden (schlägt Frau Dr. Gryglewski von der Stiftung Gedenkstätten Niedersachsen als eine von verschiedenen Möglichkeiten vor).

 

     - Zusätzlich müssen didaktische und methodische Schritte die künstlerische und gesellschaftliche Reflektion anregen. Ein Hakenkreuz muss natürlich in der direkten Umgebung kommentiert und eingeordnet werden.

 

     - Nicht zuletzt stellt sich die Herausforderung, künstlerische Antworten auf überwundene Irrwege zu finden – eine ganz spezifische Herausforderung für eine Kunststätte. Dabei könnte man an spezifische Ausstellungen denken. Eventuell wäre auch eine Zusammenarbeit mit dem vom Landkreis ausgelobten Kulturpreis „Blauer Löwe“ vorstellbar.

 

Mit freundlichen Grüßen

für die Unterzeichner des Offenen Briefes

Dr. Ingo Engelmann

 

Udo Antons, Ratsherr Stadt Buchholz; Andreas Babel, Journalist, Autor, Celle; Elisabeth Bischoff, Kreistagsabgeordnete Landkreis Harburg; Jochen Bölsche, Journalist, Autor, Osten und Hamburg; Egbert Bolmerg, „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg, Abgeordneter Kreistag Lüneburg; Gisela van Bronswijk, Lerntherapeutin, Hanstedt; Dr. Ingo Engelmann, Psychologe, Buchholz; Dr. Elke Gryglewski, Politikwissenschaftlerin, Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Celle; Christine Hummers, Präventionsbeauftragte, Heidekreis; Ingeborg König, Buchholz; Christiane und Dr. Björn Kourist, Mitglieder Freundeskreis Bossard, Buchholz; Dr. Hermann Krekeler, Autor, Redakteur, Hanstedt; Hilke Langhammer M.A., Historikerin, Winsen/Aller; Renate Maass, Buchholz; Susanne Niemann, Siegfried Klötzer, Mitglieder Freundeskreis Bossard, Jesteburg Wiedenhof; Prof. Dr. Götz von Rohr, Geograph,  Autor („Wie es in Buchholz 1945 weiterging“), Altbürgermeister Buchholz; Prof. Dr. Oliver Rump, Museologie und Museumsmanagement, Autor „Heideruh, ein lebendiger Erinnerungsort“, Berlin; Uwe Ruprecht, Journalist, Blogger, Hamburg; Susanna Schreiner, Mitglied „Heideruh“, Buchholz; Waltraut Seegers, Galeristin, Buchholz; Elsbeth und Helge Siems, Buchholz; Adolf Staack, Mitautor „KZ-Züge auf der Heidebahn“, Ratsherr Stadt Schneverdingen; Dr. Sebastian Stierl, Psychiater, „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg; Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Historiker, Universität Jena, Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora

 


 

 

Mittwoch, 24. Februar 2021 - Siebzehnter Eintrag:

Was meint der Denkmalschutz?

 

Die Abdeckung des Hakenkreuzes in der Kunststätte Bossard erfolgte nach Abwägung strafrechtlicher wie auch denkmalschützerischer Aspekte. Das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Das Strafgesetzbuch legt in §86 fest, dass ein solches Zeichen nur gezeigt werden darf, wenn das „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“.

 

Wie sieht es aber mit dem Denkmalschutz aus, der die gesamte Kunststätte mit allen Bauten, Gemälden, der Gartengestaltung und den Kunstobjekten unter Schutz stellt? Das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz legt in §6, Satz 2 fest: "Kulturdenkmale dürfen nicht zerstört, gefährdet oder so verändert oder von ihrem Platz entfernt werden, dass ihr Denkmalwert beeinträchtigt wird."

 

Ich habe die untere Denkmalschutzbehörde Anfang Dezember 2020 gefragt, wie die Maßnahme einer Übermalung von Teilen des Hakenkreuzes bewertet wird. Mit welcher Begründung hat die Behörde zugestimmt? „Die Veränderung ist zunächst temporär für die Zeit der Aufarbeitung der Frage zur Gesinnung der Eheleute Bossard geplant. Die Beantragung erfolgt laut Antragsteller aus Respekt gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus“, schreibt Frau Kleinert am 14.12.2020. „Zunächst temporär“ ist eine vage Beschreibung, die auch die Möglichkeit beinhaltet, dass die Übermalung dauerhaft bleibt. Wäre das denn überhaupt mit dem Denkmalschutz vereinbar? „Die farbliche Änderung der vier Mosaiksteine, ist meines Erachtens .. nicht geeignet um den Denkmalwert des Gesamtkunstwerks „Kunststätte Bossard“, welche in seiner künstlerischen Bedeutung begründet liegt, zu beeinträchtigen“, fährt Frau Kleinert fort. Und somit sei die Genehmigung am 17.11.2020 zu erteilen gewesen.

 

Da sich die untere Denkmalschutzbehörde beim Landkreis auf eine Stellungnahme des Denkmalschutzamtes bezogen hatte („… hat das NLD bereits mit Schreiben vom 09.09.2020 den „verhüllenden Umgang“ mit dem Hakenkreuz befürwortet“), fragte ich bei dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege NLD, Regionalreferat Lüneburg, nach. Dr. Püttmann antwortete am 29.1.21 und bemerkte zunächst: „Den Denkmalpflegern und Denkmalpflegerinnen ist es ein Bedürfnis und eine Aufgabe, das Interesse und die Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbe in die Öffentlichkeit zu tragen und nicht nur in Fachzirkeln zu behandeln.“ Dr. Püttmann weist darauf hin, dass es sich bei dem betreffenden Hakenkreuz nicht um ein rein geschichtliches, sondern auch ein gegenwärtiges aktuelles Thema handele. Er erwähnt ein Schreiben des NLD, „ in dem wir .. eine anwaltliche Forderung ablehnen, die Fliese mit der inkriminierten Darstellung aus dem Denkmalschutz zu entlassen.“ Das NLD sehe die widerstreitenden Sichtweisen durchaus – aber es weist deutlich auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung hin: „Die aktuelle Situation ist so einerseits gekennzeichnet durch vehemente Forderungen, niemandem und insbesondere nicht Holocaust-Überlebenden zuzumuten, weiterhin auf dieses Symbol stoßen zu müssen und andererseits durch die, auch von uns geteilte Auffassung, dass wir mit dem gezielten Verzicht auf jeden geschichtlichen Hinweis auf diese grauenhafte Ideologie unserer Verantwortung gegenüber unserer Geschichte nicht gerecht werden würden.“ Und der Vertreter der Denkmalpflege blickt auch in die Zukunft:  „Die Fliese mit dem Hakenkreuz (…) spielt dabei sicher eine Rolle, einschließlich ihrer fast unmerklichen wie unbeabsichtigt wirkenden Erscheinung. In die, seitens der Stiftung geplante Neuausrichtung des didaktischen Konzepts wird auch dieses Element einzubeziehen sein. Die Betrachtung dieses doch in besonderem Maße zeitgebundenen Gesamtkunstwerks schließt es unabdingbar mit ein.“

 

Inzwischen liegen Informationen darüber vor, dass das Landesamt für Denkmalpflege schon mit Datum vom 13.9.2020 festgestellt hatte: "Das unveränderte Belassen des Fußbodens verwirklicht nach hiesiger Auffassung keinen Straftatbestand." In der Abwägung von Konfrontationsschutz (das Zeigen von Nazi-Symbolen verletze die Gefühle von Zeitzeugen oder Opfern des Nationalsozialismus, wenn sie damit konfrontiert sind) mit der Kunstfreiheit stellt das Amt fest, dass "hier aber zugunsten des Kunstwerks zu entscheiden" sei. Der Problematik des Gesamtkunstwerkes sei durch die Entfernung des Hakenkreuzes nicht zu begegnen. Das Amt vertritt als Kompromisslösung den "verhüllenden Umgang" mit dem Hakenkreuz. Die Verletzung der Angehörigen von Opfern des Nationalsozialismus durch den Anblick des Hakenkreuzes könne so vermieden werden, ohne dem Denkmal zu schaden.

 

Mit ihrem Offenen Brief setzen die Unterzeichner direkt das Ziel der Denkmalpflege um, die Beschäftigung mit dem baulichen Erbe in die Öffentlichkeit zu tragen. Die derzeit vorzufindende pragmatische Lösung hält die Denkmalpflege für legitim. Die untere Denkmalbehörde betont allerdings, diese Kompromisslösung sei "vorübergehend". Es bleibt die Frage offen, wie lang denn im Sinne der Denkmalpflege „vorübergehend“ sein darf. Ein Mitarbeiter des niedersächsischen Amtes geht davon aus, dass die Verhüllung mittelfristig wieder aufgegeben werden müsse. Das Hakenkreuz wird auf keinen Fall aus dem Denkmalschutz herausgenommen. Bei der Betrachtung des geschützten Gesamtkunstwerks gehört es unabdingbar dazu.

 

Für die Entwicklung des Konzepts, in dessen Rahmen das Kreuz erklärt und reflektiert werden soll, empfiehlt die Denkmalpflege „etwas Geduld“. Das ist ein dehnbarer Begriff, und die unterschiedlichen Gruppen definieren ihn jeweils unterschiedlich. Sicher würde eine „road map“ helfen, aus der die zeitlichen Perspektiven erkennbar werden: Bis wann sollte die angekündigte Forschung auf den Weg gebracht sein, welche Zeiträume sind dem Forschungsträger zuzugestehen, und wann und wie wird die Öffentlichkeit in die Konzeptplanungen einbezogen?

 

 


 

Montag, 15. Februar 2021 - Sechzehnter Eintrag

Kleine Schritte ohne Kompass: Kreistagsausschuss berät über Bossard-Forschung

 

Der Kreistagsausschuss für Kunst und Kultur im Landkreis Harburg tagte heute erstmals. Er war im Spätsommer 2020 installiert worden, als die Diskussionswogen um das Erweiterungsprojekt der Kunststätte Bossard (und das dabei medial hochgeschwemmte Hakenkreuz) unerwartet hoch geschlagen waren. Der Kreistag nahm die Debatte ernst, das zeigte sich mit der Einrichtung des neuen Gremiums. Corona verhinderte dann aber einen schnelleren Arbeitsbeginn.

 

Hauptthema der Sitzung war der Forschungsauftrag, von dem man Weichenstellungen für die Zukunft der Kunststätte erwartet. Wie war das mit Bossard und den Nazis – im Dritten Reich, aber auch vorher und nachher? Die genaue Fragestellung (so schlugen es Kunststätte und Landrat vor) sollte im Austausch mit einem Forschungsinstitut erarbeitet werden.

 

Das klingt nicht schlecht, so offen und dialogbereit. Aber es täuschte über einen basalen Mangel im derzeitigen Prozess hinweg. Es soll eine Neuausrichtung der Kunststätte erfolgen, das hatte der Stiftungsrat schon im Sommer 2020 angekündigt. Ein Teil der Neuausrichtung besteht aus drei Veranstaltungen, die im April, Juni und September 2021 in der Kunststätte stattfinden sollen. Der andere Teil besteht aus der angekündigten Forschung. Was aber fehlt, sind die Leitplanken, die dem neuen Weg eine Richtung geben sollen. Es ist ein Irrweg, sich Formulierungshilfen für den Forschungsauftrag vom Auftragnehmer zu erhoffen. Außerdem ist die Kunststätte nicht zu beneiden, wenn sie eine Veranstaltungsreihe planen soll, aber sich selbst ausdenken muss, wo es denn damit hingehen soll. Zumindest für die Öffentlichkeit wird nicht ersichtlich, wie denn Stiftungsrat und politisch Verantwortliche im Kreistag sich die Zukunft der Kunststätte vorstellen. Antworten auf diese Fragen wird man bei keinem Forschungsinstitut finden. Da braucht es möglicherweise eine Taskforce, die aus Menschen besteht, die den Mut zur eigenen Meinung haben und kreativ mit den Möglichkeiten spielen können. Dazu könnten Vertreter des Stiftungsrates, des Mitarbeiterteams der Kunststätte, des Kreistags sowie Fachleuten und Privatpersonen aus der Zivilgesellschaft gehören. Ein Dutzend Menschen, die sich ein paar zwei-, dreistündige Zoom-Konferenzen antun, um miteinander über Wege und Irrwege zu ringen. Das wäre ein mutiger Schritt. So bleibt es bei eher unverbindlichen Optionen.

 

Jetzt wird zunächst Kontakt zu einigen Instituten aufgenommen. Der Landkreis hatte sich von der Berliner Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütter, Vorschläge machen lassen und auch den erfahrenen Osnabrücker Geschichtsprofessor Vogtherr um Rat gebeten. Nun werden drei Institute angesprochen: Das von einigen favorisierte Münchner Institut für Zeitgeschichte, das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung sowie das Institut für Didaktik der Demokratie an der Uni Hannover (Prof. Schmiechen-Ackermann). Wenn zeitnah Rückmeldungen vorliegen, ob diese Institute grundsätzlich zu einer Forschungsarbeit in der Lage und bereit wären, wird der Ausschuss erneut beraten (seine nächste ordentliche Sitzung findet am 27. April 21 statt).

 

 


Montag, 8. Februar 2021 - Fünfzehnter Eintrag

Kunststätte und Stiftungsrat antworten auf den Offenen Brief

 

 

Der im Elften Eintrag dieses Blogs dokumentiert Offene Brief von 24 Unterzeichnern wurde heute von der Geschäftsführerin Frau Duisberg-Schleier sowie dem Vorsitzenden des Stiftungsrates Herrn Rempe beantwortet. Der Wortlaut des Schreibens:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Engelmann, sehr geehrte Mitunterzeichner des Offenen Briefes vom 29.1.2021 , vielen Dank für Ihr Schreiben.

 

Sie äußern darin Ihr Anliegen, ,,die Swastika/das Hakenkreuz", welches sich im Eddasaal an der Kunststätte Bossard befindet, unverändert und offen zu zeigen und in den zeithistorischen Kontext zu stellen. Dieses Anliegen können wir grundsätzlich gut

nachvollziehen.

 

Allerdings sehen wir uns als Stiftungsrat und Vorstand auch in der Verantwortung,  Rücksicht zu nehmen auf die Menschen, für die die Swastika oder das Hakenkreuz im Eddasaal eine persönliche Bedeutung hat und die sich davon direkt betroffen fühlen. Der Stiftungsrat hat sich die Entscheidung, das Mosaik farblich zu verändern sodass kein Hakenkreuz mehr zu erkennen ist, nicht leicht gemacht. Die Entscheidung fiel nach einer langen und kontroversen Diskussion, in der die von Ihnen vorgebrachten Argumente durchaus eine gewichtige Rolle spielten . Diese Argumente haben für uns auch weiterhin Bestand. Bei der Abwägung der zu treffenden Entscheidung hat für uns jedoch der Respekt vor den Gefühlen der Opfer den Ausschlag gegeben. Wir sehen uns neben unserem Auftrag der musealen Vermittlung auch in Verantwortung gegenüber den Menschen, die von den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes direkt oder indirekt betroffen sind. Wir haben uns diesbezüglich mit Menschen, auf die dieses zutrifft, vor allem mit Vertretern jüdischen Glaubens, abgestimmt. Im Anschluss an diese Gespräche haben wir uns dazu entschieden, das Mosaik zu verändern , um den Gefühlen der Opfer und ihrer Nachkommen Rechnung zu tragen. Gleichzeitig sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, dass mit der farblichen Veränderung des Symbols im Eddasaal die Aufarbeitung nicht abgeschlossen ist. Aus diesem Grund wird die Fortsetzung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die offensive Kommunikation unter Einbindung der Öffentlichkeit (u .a. mit der Gesprächsreihe „Reden wir über Bossard") Teil der weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik sein und wichtige Impulse für die zukünftige Ausrichtung der Kunststätte liefern. Für uns ist es wichtig, die zukünftige Vermittlung dieser Thematik im Sinne unseres musealen Auftrags auf solide wissenschaftliche Füße zu stellen. Aus diesem Grund streben wir unter Einbindung des neu gegründeten Kulturausschusses des Landkreises Harburg eine unabhängige externe Aufarbeitung der Frage an , wie Johann Bossard zum nationalsozialistischen Regime stand und welchen Einfluss das auf seine Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus und danach hatte. Sobald wir hier gesicherte Erkenntnisse haben, werden wir diese im Rahmen unseres gesellschaftlichen Auftrags vermitteln .

 

Wir begrüßen es, dass Sie an diesem Diskurs teilnehmen wollen und werden Sie hierzu weiter über die Medien und unsere Internetseite www.bossard .de auf dem laufenden halten.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Heike Duisberg-Schleier, kaufm. Geschäftsführerin / Vorsitzende des Vorstands

Rainer Rempe, Vorsitzender des Stiftungsrates

 

Kommentar:

Der freundliche Brief enthält keine substanziellen Neuigkeiten. Im Mittelpunkt steht die Begründung, das Verdecken des Hakenkreuzes sei mit Rücksicht auf Opfer des Holocaust geschehen, es habe Rücksprache mit ihren Vertretern gegeben (d.h. der jüdischen Gemeinde Niedersachsen, I.E.) und nach kontroverser Debatte sei die Entscheidung so gefallen. Das mag alles sein. Da es hinter verschlossenen Türen geschah, weiß man nichts Genaueres. Der Vertreter der Holocaust-Überlebenden sowie der jüdischen Gemeinde haben mir auf mehrere Anschreiben nicht geantwortet.

Entscheidend dürfte sein: Solange es kein museums- und kunstpädagogisches Konzept gibt, das auch die zeitgeschichtlichen Verwicklungen berücksichtig und erklärt, wird die Zurschaustellung des Hakenkreuzes von der Staatsanwaltschaft beanstandet. Leider klingt das Schreiben jetzt so, als wenn tatsächlich die Entwicklung des neuen Konzepts erst auf der Grundlage der erwarteten Forschungserkenntnisse geschehen könne. Seit der ersten Ankündigung neuer Forschungsaufträge ist ein dreiviertel Jahr vergangen, in dem nichts geschehen ist. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es Jahre, ehe die Kunststätte mit den Arbeiten am neuen Konzept beginnt. Das kann und darf  nicht so sein. Insofern ist die Dringlichkeit der mit dem Offenen Brief begonnenen Initiative erneut überdeutlich geworden.

 


Sonntag, 7. Februar 2021 -

Vierzehnter Eintrag

Presseschau (III) -

Nordheide Wochenblatt und weiteres

 

Zeitungsleser aus der Nordheide haben es vielleicht schon gelesen. Das zweimal wöchentlich  in alle Haushalte verteilte Zentralorgan der Land-kreise Harburg und Stade, bekannt als "Nordheide Wochenblatt", hat über den Offenen Brief zum Hakenkreuz der Kunststätte Bossard in seiner Ausgabe vom 6.2.21 berichtet. Leider gibt es keine Online-Datei, daher hier der scan des Artikels.

 

*

 

Die Berichterstattung in der "Jüdischen Allge-meinen" ist auch verlinkt in der Presseschau des "Gedenkstätten Forum"

https://www.gedenkstaettenforum.de/nc/aktuelles/?tx_ttnews%5Border%5D=datetime&tx_ttnews%5Bdir%5D=asc

sowie (mit einigen Kommentaren) auf der facebook-Seite der Jüdischen Allgemeinen

 

https://www.facebook.com/permalink.php?id=362784088409&story_fbid=10159184237063410

 

und auf der Seite der (von vielen als einseitig kritiserten) israelfreundlichen Internetseite "Honestly Concernd":

 

https://honestlyconcerned.info/links/kunststaette-bossard-kritik-an-uebermaltem-hakenkreuz-man-kann-die-vergangenheit-nicht-ungeschehen-machen-indem-man-sie-versteckt-heisst-es-in-einem-offenen-brief-zum-werk-des-kuenstl/

 

 

 

 

 


Freitag, 5. Februar 2021- Dreizehnter Eintrag

Reden wir über Bossard: Termine stehen fest, Teilnehmer nach und nach benannt

 

Die Planungen für die Kunststätte Bossard konkretisieren sich in  kleinen Ausschnitten. Bei der Ankündigung des Erweiterungsprojekts zur Kunsthalle Lüneburger Heide war nur allgemein die Rede gewesen von Veranstaltungen im Kontext der "Lebensreformbewegung", der sich Bossard und seine Frau verpflichtet fühlten. Das Ganze sollte in ein "Wohlfühl-Ambiente" eingebettet sein (29.11.2019 (1)). Als ein halbes Jahr später die Aussetzung der Erweiterungsplanung verkündet wurde, wurde nur noch von der "weitere(n) Auseinandersetzung mit der Rolle Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus" gesprochen (8.5.2020 (2)). Ein weiteres halbes Jahr später wurde angekündigt, es werde "eine neue Veranstaltungsreihe geben, die aus Podiumsdiskussionen und sogenannten Ateliergesprächen bestehen wird. Unter dem Titel „Reden wir über Bossard“ diskutieren Fachleute unter anderem über die Rolle von Kunst und Kultur im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte oder über Fragen des Denkmalschutzes" (26.11.2020 (3)). Das war der Stand bis vor einigen Tagen.

 

Nun stehen die Termine für die Veranstaltungen fest. Zunächst ist ein Ateliergespräch vorgesehen zwischen Ivar Buterfas-Frankenthal und Hans-Jürgen Börner. Buterfas-Frankenthal hatte vor fast einem Jahr das Verschwinden des Hakenkreuzes gefordert. Der Holocaust-Überlebende, Bundesverdienstkreuzträger und Ehrenbürger der Gemeinde Bendestorf, hatte auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, die dann die Abdeckung des Hakenkreuzes anordnete (4). Der Journalist Börner vertritt die Gemeinde Jesteburg im Stiftungsrat der Kunststätte. Das Gespräch findet am 15. April 2021 um 18 Uhr in der Kunststätte Bossard statt (Anmeldung erforderlich unter info@bossard.de).

 

Die beiden folgenden Podiumsdiksussionen sind für den Juni und September geplant: Am 10.6.21 um 18 soll diskutiert werden über "Die Kunststätte Bossard in Jesteburg. Ein Ort für Kunst, Denkmalschutz und Politik?". Am 30.9.21 um 18 Uhr wird gehen um das Thema "Zwischen Zeitgeschichte, Denkmalpflege und demokratischer Verantwortung - vom konkreten Umgang mit fragwürdigen Symbolen"(5). Die Teilnehmer der Podiumsdiskussionen sind noch nicht veröffentlicht (Stand 5.2.21).

 

Nachtrag vom 15.2.21:

Zwischenzeitig gab die Kunststätte einige Namen der Diskussionsteilnehmer bekannt. Teilnehmen werden unter anderem Elke Gryglewski (Stiftung Gedenkstätten Niedersachsen), Hans-Christian Biallas (Klosterkammer Hannover), Michael Fürst (Verband der Jüdischen Gemeinden Niedersachsen), Rainer Rempe (Landrat Kreis Harburg) und Jörn Lütjohann (Kreistag Harburg).

 

Corona-Nachtrag April 21::

Die Veranstaltungen am 15.4.21 (Ivar Buterfas-Frankenthal) und am 10.6.21 (Podiumdiskussion) sind aufgrund der Corona-Einschränkungen verschoben worden.

 

 

(1) https://www.landkreis-harburg.de/portal/meldungen/-bossard-neu-denken-zukunftskonzept-und-neubauplanung-901005156-20100.html?rubrik=1000042

(2) https://www.landkreis-harburg.de/portal/meldungen/kunststaette-bossard-stiftungsrat-beschliesst-weitere-wissenschaftliche-aufarbeitung-zu-bossard-und-seiner-rolle-im-nationalsozialismus-901005593-20100.html?rubrik=1000042

(3)https://www.landkreis-harburg.de/portal/meldungen/externe-wissenschaftliche-forschung-zur-rolle-johann-bossards-zur-ns-zeit-901006029-20100.html?rubrik=1000042

(4) https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Streit-um-Kunststaette-Bossard,hallonds59428.html

(5) https://www.bossard.de/126.html


Dienstag, 2. Februar 2021 - Zwölfter Eintrag

Presseschau (II) - Jüdische Allgemeine

 

Erste Medien-Resonanz auf den Offenen Brief zum Bossard-Symbol. Die "Jüdische Allgemeine" berichtet auf Grundlage einer Nachricht des Evangelischen Pressedienstes über die Gemengelage im Landkreis Harburg. Im Wortlaut:

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02.02.2021 16:01 Uhr

Kritik an übermaltem Hakenkreuz

 

»Man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, indem man sie versteckt«, heißt es in einem Offenen Brief zum Werk des Künstlers Johann Michael Bossard

 

Ein übermaltes Hakenkreuz sorgt für eine Kontroverse um die Kunststätte Bossard in Jesteburg bei Hamburg. In einem offenen Brief kritisieren unter anderem Historiker und Lokalpolitiker, nicht nur das Hakenkreuz auf einem Mosaikboden sei unkenntlich gemacht worden. Vielmehr gehe damit auch ein kritischer Blick auf die Haltung des Künstlers Johann Michael Bossard (1874-1950) verloren.

 

Er sei ein »Vordenker der nationalsozialistischen Idee mit ihren völkischen und rassistischen Elementen« gewesen. »Man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, indem man sie versteckt«, sagte der Initiator des Briefes, Ingo Engelmann, am Dienstag dem epd.

 

Bossard hatte in den 1930er-Jahren gemeinsam mit seiner Frau Jutta begonnen, die Kunststätte mit einem Wohn- und Atelierhaus, Bildhauerei, Malerei und Gartenkunst zu errichten. Über seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus wird seit längerem diskutiert. Nach Angaben der Kunststätte hat sich deren Stiftungsrat im November entschlossen, das umstrittene Mosaik im sogenannten Eddasaal farblich so zu verändern, dass kein Hakenkreuz mehr erkannt werden kann. Eine Informationstafel weise auf die Hintergründe hin und die Farbe sei wieder löslich.

 

Hintergrund war ein Hinweis der Staatsanwaltschaft Stade, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Kai Thomas Breas, bestätigte. Das Zeigen eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation könnte möglicherweise strafbar sein. Die Staatsanwaltschaft sei durch einen Holocaust-Überlebenden auf das Hakenkreuz aufmerksam gemacht worden. Die Kunststätte betont auf ihrer Internetseite, es gehe um den Respekt vor Verfolgten des NS-Regimes und deren Nachfahren.

 

In ihrem offenen Brief an den Stiftungsrat und die Mitarbeitenden der Kunststätte betonen die Verfasser jedoch, das Mosaik gehöre als historische Quelle zum Kunstwerk. Ein Museum müsse sich mit der Geschichte auseinandersetzen und das Werk des Künstlers entsprechend einordnen. Dies gelte es bei einer Neuausrichtung der Kunststätte zu bedenken. »Daher ist es erforderlich, die Tünche vom Hakenkreuz zu entfernen und es in ein geschichtsbewussteres Konzept zu integrieren.«

 

Zu den Unterzeichnern des Briefes zählen auch Historikerinnen und Historiker wie die Leiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Elke Gryglewski, und ihr Vorgänger Jens-Christian Wagner, der mittlerweile Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora ist.

 

In der Diskussion um die Rolle Bossards ruhen nach Angaben des Landkreises Harburg auch die Pläne zur Erweiterung und Neukonzeption der Kunststätte. Der Bund hatte dafür im November 2019 insgesamt 5,38 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Zunächst stehe aber noch ein wissenschaftliches Gutachten zu Bossard aus, sagte Kreissprecherin Katja Bendig. epd

 

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/kritik-an-uebermaltem-hakenkreuz/

 


 

Sonnabend, 30. Januar 2021- Elfter Eintrag

Offener Brief an Stiftungsrat und Mitarbeiter*innen der Kunststätte Bossard  vom 29. Januar 2021                                                                                                                  

 

Vorbemerkung: Im November hat der Stiftungsrat der Kunststätte neue Forschung und ein neues Konzept für Bossard's Kunststätte angekündigt. Ebenfalls im November wurde das Hakenkreuz im Bodenmosaik des Edda-Saals übermalt und damit unkenntlich gemacht. Vorher war es einige Monate unter einem Teppich verborgen gewesen ("verhüllenden Umgang" mit dem Symbol nennt das Denkmalschutzamt dieses Versteckspiel). Erinnerungskultur braucht das Gegenteil. Der Staatsanwalt und Nazi-Ankläger Fritz Bauer sagte dazu: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden." Über die Kunststätte und ihr Konzept wird noch viel zu sprechen sein. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Diskussionsbeitrag einen Dialog belebt, den es dazu dringend braucht.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

der Stiftungsrat hat im letzten Jahr eine „Neuausrichtung“ der Kunststätte Bossard angekündigt. Wir begrüßen dieses Vorhaben und sehen eine große Chance in der konzeptionellen Erweiterung der Kunststätte zu einem Ort der Erinnerungskultur. Aus diesem Grund sprechen wir uns gegen das Übermalen des Hakenkreuzes im Edda-Saal der Kunststätte aus.

 

Das Hakenkreuz („Swastika“) im Bodenmosaik verstört. Als historische Quelle gehört es jedoch in den Kontext der als Gesamtkunstwerk angelegten Kunststätte samt ihrer Architektur, der Malerei, dem Garten und der Töpferei. Das Kunstwerk bildet darüber hinaus eben auch die Haltung des Künstlers ab, der ein Vordenker der nationalsozialistischen Idee mit ihren völkischen und rassistischen Elementen war.

 

Die Auseinandersetzung mit dem Hakenkreuz in der Kunststätte und seiner „Botschaft“ muss geführt werden. Heute stehen wir vor der Herausforderung, nicht ausschließlich künstlerische und ästhetische Erfahrungsräume zu öffnen, sondern auch die Wechselwirkung zwischen Kunst, Kultur und Gesellschaft zu thematisieren. Wer das Hakenkreuz versteckt, macht die Schatten der Geschichte unsichtbar. Mit einer ernsthaften und transparenten Neuausrichtung werden auch die Interessen der Holocaust-Überlebenden und Nazi-Opfer ernstgenommen.

 

Wir wünschen der Kunststätte Bossard Mut zu Widersprüchlichkeit und eine Zukunft mit Licht und Schatten. Die Vergangenheit wird immer Teil unserer Gegenwart bleiben. Daher ist es erforderlich, die Tünche vom Hakenkreuz zu entfernen und es in ein geschichtsbewusstes Konzept zu integrieren.  

 

Für die Unterzeichner

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Ingo Engelmann, Psychotherapeut, Buchholz

 

…mit Udo Antons, Ratsherr Stadt Buchholz; Andreas Babel, Journalist, Autor, Celle; Elisabeth Bischoff, Kreistagsabgeordnete Landkreis Harburg; Jochen Bölsche, Journalist, Autor, Osten und Hamburg; Egbert Bolmerg, „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg, Abgeordneter Kreistag Lüneburg; Gisela van Bronswijk, Lerntherapeutin, Hanstedt¸ Dr. Elke Gryglewski, Politikwissenschaftlerin, Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Celle; Christine Hummers, Präventionsbeauftragte, Heidekreis; Ingeborg König, Buchholz; Christiane und Dr. Björn Kourist, Mitglieder Freundeskreis Bossard, Buchholz; Dr. Hermann Krekeler, Autor, Redakteur, Hanstedt; Hilke Langhammer M.A., Historikerin, Winsen/Aller; Renate Maass, Buchholz; Prof. Dr. Götz von Rohr, Geograph,  Autor („Wie es in Buchholz 1945 weiterging“), Altbürgermeister Buchholz; Prof. Dr. Oliver Rump, Museologie und Museumsmanagement, Autor „Heideruh, ein lebendiger Erinnerungsort“, Berlin und Buchholz; Uwe Ruprecht, Journalist, Blogger, Hamburg; Waltraut Seegers, Galeristin, Buchholz; Elsbeth und Helge Siems, Buchholz; Adolf Staack, Mitautor „KZ-Züge auf der Heidebahn“, Ratsherr Stadt Schneverdingen; Dr. Sebastian Stierl, Psychiater, „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg; Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Historiker, Universität Jena, Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora

 

 

 


 

13. Januar 2021 - Zehnter Eintrag

Fragen an das Landesamt für Denkmalschutz (NLD)

 

Betr. Fachliche Stellungnahme des NLD zur Veränderung des Hakenkreuzes im Bodenmosaik der Kunststätte Bossard vom 9.9.2020 und 5.11.2020

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf meine Anfrage zur Veränderung am Hakenkreuz der Kunststätte Bossard an die Untere Denkmalschutzbehörde (Frau Kleinert, Landkreis Harburg) teilte diese mir mit, die Entscheidung des Landkreises beruhe unter anderem auf der fachlichen Stellungnahme des Landesamtes für Denkmalschutz. Das Landesamt habe im September "den 'verhüllenden Umgang' mit dem Hakenkreuz befürwortet" und im November dessen Übermalung für fachlich unbedenklich gehalten.

 

Ich frage Sie daher, welche fachlichen Gründe dazu führen, das Sie Übertünchen eines Hakenkreuzes denkmalschutzrechtlich für "fachlich unbedenklich" halten. Spätestens seit dem Kolloquium im Rahmen der Ausstellung "Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus" im Jahr 2018 war deutlich geworden, dass im Rahmen des Gesamtkunstwerks "Kunststätte Bossard" die Persönlichkeit und Ideologie des Künstlers nicht von dem Gesamtwerk zu trennen war. Der Denkmalschutz konnte insofern nur dem gesamten Werk gelten, auch wenn die künstlerische Wertigkeit leitend war. Gerade vor diesem Hintergrund kann eine Veränderung, wie sie mit dem Übermalen des Hakenkreuzes im Edda-Saal geschehen ist und von Ihnen mit Unbedenklichkeitserklärung ausgestattet wurde, denkmalschutzrechtlich und -fachlich als ausgesprochen problematisch angesehen werden.

 

Von Seiten der Kunststätte wurde ich darüber informiert, dass die Entscheidung zum Übermalen nach "einer langen und kontroversen Debatte" im Stiftungsrat gefällt wurde. Für die Denkmalschutzbehörde sei entscheidend gewesen, ob "durch den Eingriff eine langfristige Veränderung oder sogar Schädigung des Bauwerks" verbunden sei (Mitteilung der Leiterin der Kunststätte, Frau Duisberg-Schleier). Auch eine Veränderung, die zunächst auf mindestens mehrere Jahre ausgelegt ist, bedarf aber einer Begründung. Wie sieht diese denkmalschutzseitig aus?

 

Die künstlerische Bedeutung der Kunststätte ist in der Fachwelt durchaus umstritten, ist aber hier nicht das Thema. Spätestens nach dem Kolloquium 2018 war geraten, die Einordnung des Denkmals nicht nur als ("wertfreies") Kunstwerk vorzunehmen, sondern vor allem als zeitgeschichtliches Dokument einer Verstrickung von Kunst und Ideologie in einer besonders sensibel zu betrachtenden Epoche. Daher mehren sich die Stimmen, das Hakenkreuz müsse als wesentliches Symbol der Verstrickung erhalten und in einen museumspädagogischen und zeitgeschichtlichen Kontext gestellt werden. Im Vorwort zu dem Tagungsband des Kolloquiums hatte der Landrat des Landkreises Harburg betont, es dürfe keinesfalls um einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der NS-Zeit im Landkreis (und damit auch in der Kunststätte Bossard) gehen. Die Übermalung eines zentralen Symbols der Nazi-Verbrechen könnte man aber durchaus als den Versuch eines solchen Schlussstrichs ansehen.

 

Mit Interesse sehe ich Ihrer Stellungnahme entgegen und verbleibe

 

mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Ingo Engelmann

 

P.S. Ich erlaube mir, diese Anfrage in den "BossardBlog" meiner Homepage engelmannsnotizen.jimdo.free.com einzustellen.

 


 

11.Januar 2021 - Neunter Eintrag

Presseschau aus ZEIT und art

 

 

Überschätzt:

Das Kunstmagazin „art“ hat einen Debattenbeitrag zur Kunststätte Bossard und ihren Ausbau zur Kunsthalle veröffentlicht. Für den Autor Boris Hohmeyer steht fest, dass es nie ein Geheimnis war, das Bosshard völkisch-rechtslastig tickte. Er bescheinigt dem Bildhauer, dass seine „selbstgestrickte Lebens- und Kunstreligion deutlich reaktionäre Züge trug“. Bosshard war, so Hohmeyer, nie Nazi im strengen Sinne, aber er „wäre wohl gern einer gewesen, hätten bloß die Nazis seinen Vorstellungen entsprochen. Zunächst sah er sie als Gleichgesinnte seiner Weltanschauung, einer recht wirren Mixtur aus rückwärtsgewandter Lebensreform, Nationalismus, Kunstfrömmigkeit und einer Prise Sozialismus“.

 

Für Hohmeyer irren die Planer im Stiftungsrat aber nicht deswegen, weil Bossards Ansichten und sein Opportunismus einen Ausbau nicht zuließen. Er sieht ein anderes „Missverständnis: Nur weil ein Ensemble als weltweit einzigartig gilt, ist es noch lange nicht von Weltrang, und nicht jeder Künstler, der sich unverstanden fühlt, erweist sich als verkanntes Genie.“ Und der art-Autor schlussfolgert: „Als zeitgebundenes Unikum ist die Kunststätte Bossard unbedingt erhaltenswert, zum vollmundig angekündigten „Museum mit nationalem Anspruch“ taugt sie dagegen nicht.“

 

Das debattenauslösende Hakenkreuz war zum Zeitpunkt der art-Ausgabe 11/2020 noch nicht übermalt, sondern unter einem Schmutzfänger (!) verborgen. Dem Autor fällt dazu nicht mehr ein, als die offiziöse Erklärung zu wiederholen, Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dürften eben nicht gezeigt werden. Ist das alles? Eine Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Hakenkreuz, Edda-Saal, Künstler und Diktatur hält er wohl für nicht erforderlich. Im Editorial derselben art-Ausgabe stellt der Chefredakteur Tim Sommer zum Künstlertum fest: „In keinem Beruf sind Persönlichkeit und Schaffen so eng verknüpft, eines bedingt das andere.“ Wohl wahr. Vielleicht sollte man doch noch mal auf das Hakenkreuz gucken.

 

( „Verlust der Unschuld“, art 11/2020, S. 120-122)

 

Rechtsausleger:

Über rechts gewirkte Muster in der bisherigen Bossard-Forschung ist in diesem Blog schon am 30.11.2020 berichtet worden. Einem der Referenten auf der Bossards-Ideologie-Tagung im Herbst 2018 war vorgeworfen worden, selbst immer wieder in trüben rechten Gewässern zu fischen. Jetzt taucht er in einem Artikel in der ZEIT auf, der mit Bossard nicht direkt zu tun hat. Der Historiker Eckart Conze setzt sich in dem Artikel kritisch mit aktuellen Versuchen auseinander, das Kaiserreich in neuem, weichen Licht zu malen. Wer das Kaiserreich als freiheitlich verfassten Nationalstaat ansehe, verliere die Distanz zu unserer obrigkeitsstaatlichen und autoritären Vergangenheit. Diese Distanz sei aber ein bedeutsames Kennzeichen der der politischen und kulturellen Liberalisierung unserer bundesrepublikanischen Gegenwart.

 

Conze nennt drei Namen von Protagonisten der konservativen neuen Kaiserfreundlichkeit: Frank-Lothar Kroll, Benjamin Hasselhorn und Hedwig Richter. Kroll war der oben erwähnte Referent in der Kunststätte Bossard, der mit Bossard so merkwürdig nachsichtig umging und dessen Formulierungen immer wieder überraschend weichgespült sind. Kroll attestierte Bossard zwar wiederholt ideologische Nähe zum Nazi-Chefideologen Rosenberg, betonte dann aber auch immer wieder, dass Bossard unpolitisch gewesen sei. Die abschließende Wertung in seinem Referat versah Kroll vorsichtshalber mit einem Fragezeichen: „Freispruch für einen Unpolitischen?“. Gemeint ist aber wohl: Ja! Freispruch!

 

Jetzt zeiht Conze Kroll in der ZEIT einer „neonationalistischen Agenda“. Für unseren Kontext bedeutet das: Neonationalist Kroll meets Nationalist/Rassist Bossard. Es stellt sich die Frage, ob wir weiterhin die Bossard-Forschung Köpfen überlassen sollten, die ideologisch eine ungute Nähe zum rechten Spektrum erkennen lassen - oder aber zumindest keine ausdrückliche Distanzierung vornehmen. Conze hilft, Krolls Urteil einzuordnen. Für viele ist der Freispruch durch Kroll unwirksam.

 

(„Wilhelms Reich in neuem Glanz“, ZEIT 7.1.2021, S.17)

 

 

 


30. Dezember 2020 - Achter Eintrag

Hakenkreuze - damals und heute

 

Hakenkreuze sind uralte Symbole, deren Wurzeln tausende von Jahren zurückreichen und in weit entfernte Kulturen: Die Svastika findet sich in hinduistischen und buddhistischen Überlieferungen als Glückssymbol, in der nordischen Mythologie als Sonnenrad. Es gab schon immer Variationen mit senkrechter Ausrichtung und die später von den Nationalsozialisten bevorzugte um 45 Grad gedrehte Position.

 

Noch heute benutzen verschiedene politische oder weltanschauliche Gruppierungen  die Svastika, zum Beispiel die Jainistische Religion in Indien oder die Falun Gong in China. Sie verbinden damit keine nationalsozialistischen Ideologien.

 

Johann Bossard dürfte die Swastika als altes nordisches Symbol verwendet haben. Allerdings stand die bossardsche Nutzung des Zeichens im Kontext seiner Nazi-Sympathien. Das Mosaik im Edda-Saal seines Kunsttempels entstand 1934, möglicherweise erst Anfang 1935 (Magdalena Schulz-Ohm: Die Bildsprache des Edda-Saals. In: Über dem Abgrund des Nichts. Hrsg. Kunststätte Bossard, Gudula Mayr 2018). Im Spätsommer 1934 hatte Nazi-Chefideologe Alfred Rosenberg die Kunststätte besucht. Zu diesem Zeitpunkt eine Swastika im Bodenmosaik einzulassen, war ein statement – anders als bei Firmen wie die Carlsberg-Brauerei oder der Schriftsteller Rudyard Kipling, die ab Beginn der Nazi-Diktatur 1933 kein Hakenkreuz/Swastika mehr für Werbung oder als Deko verwendeten. Bossards Symbol steht nicht schräg, sondern rechtwinklig auf dem Flügel – das ist völlig unerheblich. Er hat es, vermute ich, noch einmal versucht - auch wenn sich abzeichnete, dass die Nazis seine Sympathie nicht wollten. Das Muster war erkennbar als nationalsozialistisches Symbol.

 

Seit dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur ist das Hakenkreuz als verfassungsfeindliches Symbol verboten. Manchmal urteilten sogar Richter, dass auch die eindeutig antifaschistische Verwendung einer rot durchgekreuzten Swastika durch Antifa unter dieses Verbot falle. Aber in der Regel ist die Nutzung des Zeichens in pädagogischem oder künstlerischem oder zeitgeschichtlich-aufklärendem Kontext zulässig. Voraussetzung ist eine eindeutige Einordnung des Zeichens und seiner verheerenden Geschichte während des Dritten Reichs.

 

Immer wieder gibt es Hakenkreuze auf Denkmälern oder beispielsweise Kirchenglocken. Dann gibt es mehr oder weniger heftige Kontroversen, wie damit umzugehen sei. In einer Kirche im niedersächsischen  Schweringen bei Nienburg gab es eine solche Glocke. Bevor im Jahr 2018 eine Entscheidung über ihre Zukunft fiel, wurde in einer anonymen Nacht- und - Nebel-Aktion das Hakenkreuz von der Glocke gefräst. In Berlin-Spandau versetzte man eine Hakenkreuz-Glocke der Wichernkirche ins Archiv und von dort ins benachbarte regionale Museum. Über die Hakenkreuze auf alten Bilderrahmen im Wolfenbüttler Schloss wurde auf diesem Blog schon am 4.12.2020 berichtet.

 

Manchmal gibt es gar keine Kontroversen. Auf Auktionen von Militaria und merkwürdigen „Antiquitäten“ gibt es Unmengen von Objekten mit Hakenkreuz. Oft sind die Hakenkreuze im Verkaufsangebot mit Aufklebern verdeckt oder weggepixelt. Wenn der Verkauf dann ins Ausland geht, ist der Auktionator fein raus. Abgelaufen ist die Angebotsfrist für „Patriotisches Fähnchen rotes Papier beidseitig mit Hakenkreuz“, Auktion am 7.9.2018. „Patriotisch“ ist in dem Katalog immer der hashtag für Nazi-Devotionalien (die „Patriotische Kreidezeichnung, unsigniert“ zeigt einen Nazi-Aufmarsch). Der Verkäufer sitzt in Chemnitz. Es ist (wirklich!) das „Auktionshaus Bossard“ (https://www.auktionshaus-bossard.de/de/). Verkauft ist die Porzellan-Plakette des Winterhilfswerks mit Hitler-Profil und Hakenkreuz (Startpreis 100 Euro). Bares für Rares.  

 

Noch zu haben: SS-Dolch mit Gravur „Meine Ehre heißt Treue“, Startpreis 120 €. Aber keiner soll sagen, das Auktionshaus Bossard sei antisemitisch. Es gibt auch den „Jüdischen Pokal“, farbloses Kristallglas, mundgeblasen, mit hebräischer Inschrift. Startpreis 120€. Und der Fliegerdolch sowie die Kriminalpolizei-Dienstmarke sind ordnungsgemäß „entnazifiziert“, d.h. das Hakenkreuz wurde entfernt. Der Parteiadler durfte bleiben. Auktion am 15./16.1.2021.

 

Über Erinnerungskultur muss noch viel mehr nachgedacht werden.

 

 


 

8. Dezember 2020 - Siebter Eintrag

Bossard-Tweet

 

Über Bossard wird wieder getwittert. Diesmal: Jens-Christian Wagner, bis Oktober Chef der Gedenkstätten Niedersachsen (z.B. Bergen-Belsen). Seit kurzem Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen. Dort auch Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena. Ein Re-Tweet der Kunststätte Bossard
(Twitter account: @BossardKunst) steht aus.

 

 

 


 

7. Dezember 2020 - Sechster Eintrag

Hakenkreuz schon übermalt?

 

 

Wenn der Landrat will, geht es schnell. Das Hakenkreuz ist übermalt. Das erfuhr ich heute von einem Redakteur der NDR Niedersachsen. Das nenne ich zügiges Verwaltungshandeln. Am 27.11.20 wird eine Mitteilung des Stiftungsrates auf der Homepage des Landkreises versteckt, wo sie eigentlich nicht hingehört. Am 28.11.20 berichtet das Wochenblatt darüber. Am selben Tag erscheint hier auf dieser Homepage die erste kritische Stellungnahme. Am Montag 30.11. sende ich nach Recherche über die Hintergründe und zahlreichen Telefongesprächen einen Leserbrief betr. Hakenkreuz ans Wochenblatt, der auch am 1.12.20 erscheint. Am 2.12. antwortet der Landrat auf meine mail zum Thema der Bossard-Begleitforschung und teilt mir abschließend mit: "Für Ihr Interesse an der Thematik und Ihre Anregungen bedanke ich mich im Namen des Stiftungsrates". Am 7.12.2020 erfahre ich von einem Redakteur des NDR Niedersachsen, dass die Malaktion seines Wissens bereits abgeschlossen sei.

Transparenz gibt es dort, wo kein Handlungsbedarf besteht oder wo man sich Zeit lassen kann. Da, wo man schnell und ohne große Störung ertwas erledigen will, findet die Transparenz ein jähes Ende. Das ist bedauerlich. Ich frage mich, warum es mich aber gar nicht wirklich wundert.

 

 


 

4. Dezember 2020 - Fünfter Eintrag

Hakenkreuze im Wolfenbüttler Schloss

 

Gestern zufällig im Netz gefunden: NDR-Bericht über Hakenkreuze im Wolfenbüttler Schloss vom 12.12.2019. Anderer Fall, aber interessante Parallelen.

 

Ein Rechtsanwalt aus Hannover ist zu Besuch im Wolfenbütteler Schloss. In einem Zimmer, dass nicht zum Museum gehört, macht er an einem Kaminsims eine Entdeckung: Hakenkreuze. Dietrich Wollschlaeger, so heißt der Jurist, ist entsetzt und droht mit der Staatsanwaltschaft. "Die Stadt scheint blind zu sein gegenüber ihrer historischen Verantwortung mit diesem Symbol der Nazi-Herrschaft, unter der Millionen Menschen zu Tode gekommen sind", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Stadt Wolfenbüttel verweist auf die Historie der Symbole - kündigte jetzt aber an, künftig eine Infotafel neben dem Kamin aufstellen zu wollen.

 

Keine braunen Altlasten

Bei den Symbolen handelt es sich nämlich keineswegs um Altlasten der Nationalsozialisten, sondern um sogenannte Swastikas, uralte Sonnensymbole und Glücksbringer. Sie stammen aus dem Wappen der Patrizierfamilie Raven aus Einbeck. Eine Raven-Tochter heiratete in eine Braunschweiger Familie ein und aus deren Besitz stammt der Sims. Die Ravens ließen auch in ihrer Heimatstadt einige Fassaden mit dem Zeichen versehen. Die Verzierungen stammen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Die Nationalsozialisten übernahmen das dann als "Hakenkreuz" bekannte Symbol erst im August 1920 - und drehten es dazu aus seiner ursprünglichen Form um 45 Grad.

 

Info-Tafel im kommenden Jahr

Trotzdem will die Verwaltung nun aktiv werden. Im kommenden Jahr sollen die Swastikas im Wolfenbütteler Schloss durch eine Info-Tafel erläutert werden. Das stößt auf Zustimmung beim Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner. Auch er forderte eine bessere Einordnung der Swastikas - die Symbole sollten jedoch erhalten bleiben. "Wer bewusst mit Geschichte umgeht, tilgt diese Dokumente nicht, sondern erläutert sie und stellt sie in einen historischen Kontext", sagte Wagner dem epd.

 

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Aerger-um-Hakenkreuze-in-Wolfenbuetteler-Schloss,swastika100.html

 

 


 

3. Dezember 2020 - Vierter Eintrag

Das Hakenkreuz im Edda-Saal der Kunststätte Bossard - Gedanken zum Hintergrund

 

(Ein paar unfertige Gedanken zu der Kontroverse um das Hakenkreuz – vielleicht gibt es ja einen Diskurs, diese Gedanken zu vervollständigen)

 

Das Hakenkreuz im Edda-Saal der Kunststätte rückte vor allem durch den SPIEGEL-Artikel von Martin Doerry vom 17. April 2020 in den Blick der Öffentlichkeit. Für viele war das neu - und schien vielen als Beweis zu dienen, wie eng Bossard dem nationalsozialistischen Staat und seinen zentralen Symbolen verbunden war. Nun war dieses Hakenkreuz in der Kunststätte bis dato nicht unerkannt gewesen, obwohl die hektische Betriebsamkeit von Kunststätte und Stiftungsrat in den Wochen nach Erscheinen des SPIEGEL-Artikels diesen Eindruck hervorzurufen schienen. Nur hatte jahrelang wohl keiner einen Anlass gesehen, das bekannte Symbol im Fußbodenmosaik besonders zu beachten oder irgendwie damit umzugehen. Jetzt zwangen der Artikel und eine Anzeige wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Zeichen zum Handeln.

 

Magdalena Schulz-Ohm hatte über die Kunststätte als Gesamtkunstwerk ihre Dissertation geschrieben und in dem Band "Über dem Abgrund des Nichts. Die Bossards in der Zeit des Nationalslsozialismus" 2018 einen Aufsatz über die "Bildsprache des Edda-Saals" veröffentlicht. Schulz-Ohm hatte von 2017 bis 2019 in der Kunststätte gearbeitet. In ihrem Aufsatz erwähnt sie auch das Hakenkreuz:

 

Bossard hatte den Edda-Saal in den Jahren 1932 bis 1935 ausgestaltet und das Mitte 1935 abgeschlossen. Das Fußbodenmosaik war Schulz-Ohm zufolge der Abschluss dieser Arbeiten, dürfte also 1934 oder Anfang 1935 entstanden sein. Es habe als Swastika (so hieß das Hakenkreuz schon in hinduistischer und buddhistischer Tradition) die Verbundenheit mit den alten Mythen der Edda und speziell mit Thors Hammer Mölnir illustrieren sollen. So die Vermutung Schulz-Ohms, die damit den Eindruck erweckt, Bossard habe das Hakenkreuz vor den Nazis retten wollen. Bossard hatte sich in den Nazis geirrt, eigentlich war er viel besser. Beweisen lässt sich das nicht. Aber man konnte darüber zur Tagesordnung übergehen.

 

Vielleicht ist aber ein etwas anderer Blickwinkel passender. Bossard hatte unzweifelhaft große Hoffnungen in den Nationalsozialismus. Er sah Hitler als strahlenden Führer in eine lichte Zukunft. Wenn er (wie Schulz-Ohm aus einem Bossard-Brief zitiert) 1934 schreibt: "Auch mir ist das Hakenkreuz ein heiliges Symbol", dann grenzt er sich durchaus ab von der eher plumpen Hakenkreuz-Duseligkeit weiter Kreise der Bewegung. Er weiß, dass ein Symbol keine Ideologie ersetzt, sondern sie nur bezeichnet. Man muss Hakenkreuze nicht nur zeigen, sonderen an sie glauben und ihre spirituelle Bedeutung erkennen. Wer die Heiligkeit nicht erkennt, hat das Hakenkreuz nicht verstanden. Bossard weiß es besser. Er kennt die Wurzeln der Mythologie, die Schicksalslinien des  deutschen Volkes, und er möchte wie Wagner die Kunst in "Beziehung zum Rasseerbe der Mythologie" setzen (schreibt er in demselben Brief). Und er fragt: "Kennt man nicht die erneut so lebensträchtig gewordenen Gestalten der Edda, der nordischen und deutschen Sagen und Märchen, die in den Kämpen der S.A. erstanden zu sein scheinen?" Es folgen ein paar gehässige Bemerkungen über "Geldjuden" und deren "antinationalsozialistisches Gelddenken", einige Seitenhiebe gegen die „Neue Sachlichkeit“ (also Bauhaus und Consorten). Warum nur hört keiner auf ihn? Bossard hat seine völkische und rassistische Weltsicht, die er auf alte Mythen gründen will, und er möchte gern, dass die Nazis das auch so sehen wie er. Aber er möchte dabei sauber bleiben, rein, edel. Er fürchtet Sumpfgifte und Sumpfblüten. Da gibt es Unterschiede zum nazistischen Pöbel. Er hat Jahrzehnte an seiner Ideologie gearbeitet, und nun nehmen sie einfach Versatzstücke seiner Ideen und seines Glaubens und verlassen den gemeinsamen Weg. Er bringt es nicht fertig, den Bruch selbst zu vollziehen und seinen eigenen Ansprüchen zu genügen. Er hält den Mund und spielt mit, beweist auch in späteren Schriften, dass er die Nazi-Sprache beherrscht und seine eigenen völkischen Ideen nicht aufgegeben hat, da passt immer noch vieles. Er bleibt bei seinen theosophischen Wahrheiten auch über das Hakenkreuz, dessen Geschichte ja viel länger zurückreicht als die Nazi-Bewegung. Er weiß Bescheid, und dass die anderen mittlerweile in diesem Zeichen Millionen von Menschen morden, ist ja nicht seine Schuld. Oder?

 

Das Hakenkreuz steht für die vielschichtige Beziehung, in der Bossard zum Nationalsozialismus stand. Wenn man es zum Verschwinden bringen will, muss man die ganze Kunststätte schleifen. Die sinnvollere Alternative ist eine intensive und öffentlichkeitswirksame Aufarbeitung der Dynamik zwischen völkischen, rassistischen, antisemitischen und kolonialistischen Gedanken.

 

 


 

30. November 2020 - Dritter Eintrag

Wer soll weiter über Bossards Ideologie forschen?

 

„Die Stiftung plant, den Auftrag für ein Gutachten an eine unabhängige Forschungsinstitution zu vergeben. Die Forschungsarbeiten könnten schon in der ersten Jahreshälfte des kommenden Jahres beginnen. In Frage kommt zum Beispiel das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mit Sitz in München und Berlin.“  Diese Stellungnahme des Bosshard-Stiftungsrates erscheint überraschenderweise auf der Internet-Seite des Landkreises Harburg. Überraschend, weil der Stiftungsrat Organ  der Stiftung Kunststätte Bossard ist und kein Organ des Lankreises. Auf der Seite der Kunststätte kann man nichts davon lesen.

 

Zum Institut für Zeitgeschichte in München gibt es eine Verbindungslinie aus Lüllau: Im Jahr 2018 referierte Prof. Frank-Lothar Kroll aus Chemnitz in der Kunststätte Bossard. Sein Thema war Bossard, das Dritte Reich uznd die nationalsozialistische Weltanschauung. Er stellte dem Künstler ein entlastendes Zeugnis aus. Bossard habe sich vielleicht nicht vorbildlich verhalten, aber seine Distanz und wachsende Reserve gegenüber dem Regime sei vielleicht die einzige mögliche Antwort für einen „eher unpolitischen“ Menschen wie Bossard gewesen. Als solches verdiene sie unseren Respekt. Kann völkisch und rassistisch unpolitisch sein? Na ja.

 

Kroll gilt als konservativ und eher rechtslastig.

  • 2017 nahm er an einer Tagung über Konservatismus in Russland und Deutschland als Referent teil. Ein weiterer Referent war der Neofaschist Alexander Dugin, Ex-Vize der mittlerweile verbotenen „Nationalbolschewistischen Partei Russlands“.

  • Von 2010 bis 2012 hielt Kroll mehrere Vorträge im Institut für Staatspolitik, einer Bildungsplattform für die Neue Rechte, die als rechtsextremer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

  • Kroll bewertete eine Dissertation mit „gut“, die später vom Promotionsverantwortlichen seiner Universität wegen rechtsextremer Inhalte zurückgewiesen wurde.

Man kann sagen: Kroll hat keine Berührungsängste nach rechts. Man kann aber auch sagen: Er bietet keine Gewähr für eine klare Abgrenzung nach rechts. Ob man gut beraten war, ihn 2016 in den wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" zu berufen, mag man bezweifeln.

 

Ausgerechnet Kroll war in früheren Jahren Mitglied im Beirat des Instituts für Zeitgeschichte in München, mit dem sich nun heute der Stiftungsrat eine Zusammenarbeit vorstellen kann. Dieses Institut genießt fachliches Renommee, ist aber auch nicht in allen politischen und fachlichen Feldern unumstritten. Insbesondere gab es Ausrutscher nach rechts, als der damalige Leites des Instituts in einer Laudatio den umstrittenen Historiker Nolte („Die Welt“ am 16.6.2016 über Nolte: „Er sagte zuerst, was die AfD jetzt denkt“) unkritisch feierte. Bei der Herausgabe der Goebbels-Tagebücher sah sich das IfZ heftigen Anfeindungen ausgesetzt: Der Vertrag mit dem Schweizer Altnazi Genoud sowie die mangelhafte historisch-kritische Technik der Herausgabe wurden scharf kritisiert (u.a. Sösemann 2003).Götz Aly kritisierte 2017 frühere Tendenzen des IfZ, sich wissenschaftlich fragwürdig zu äußern und attestierte dem Institut einen "Mangel an geistiger Souveränität" (www.perlentaucher.de).

 

Wie kam es zu der Aussage, eine Zusammenarbeit mit dem IfZ sei für den Stiftungsrat vorstellbar? Der Verdacht stellt sich ein, es sei möglicherweise eine Verbindung über Frau Mayr (bis Ende 2020 Leiterin Kunststätte Bossard) und Herrn Kroll (2018 Referent in der Kunststätte Bossard) zu dem Institut (früheres Beiratsmitglied Kroll) hergestellt worden. Normalerweise würde ein Forschungsauftrag wohl auch nicht einem Institut, sondern bestimmten Fachleuten zugeordnet – welchen? Zum anderen muss bei dem in Frage stehen den Projekt jeder Vedacht von vornherein ausgeschlossen werden, es könnte eine konservative und möglicherweise parteiische Bewertung vorgenommen werden. Das zur Zeit angedeutete Vorgehen ist da nicht über jeden Zweifel erhaben.

 

Abschließend muss darauf hingeweisen werden, dass die Fokussierung auf Bossard in der NS-Zeit sachlich irreführend ist. Bossard war bei Machtantritt Hitlers 58 Jahre alt. Die Untersuchung seiner Ideologie wird sich also vorwiegend auf Jahrzehnte vor der Machtübername durch die Nazis beziehen müssen. Bossard hatte da längst eine gefestigte Weltsicht, bei der sich die Nazis bedienen konnten.

 


 

28. November 2020 - Zweiter Eintrag

Wie die Vergangenheit durch Übermalen eines Hakenkreuzes bewältigt werden soll

Wie der örtlichen Presse zu entnehmen ist,soll das erst in diesem Jahr (!) entdeckte Hakenkreuz im Fußbodenmosik des Edda-Saals der Kunststätte Bossard im wahrsten Sinne vertuscht werden. Der Stiftungsrat teilt dazu mit:
"Hierzu hat der Stiftungsrat nach langer und kontroverser Diskussion mit großer Mehrheit beschlossen, bei der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Harburg einen Antrag auf Veränderung des Mosaiks im Fußboden des Eddasaales zu stellen. Diesem Antrag wurde inzwischen entsprochen. Die aktuelle Kreuzform wird optisch mittels einer Farbfassung einzelner Kacheln im lokalen Umgebungston aufgelöst. Die Farbe ist reversibel und wird von einer Restauratorin aufgetragen. Gleichzeitig wird auf die vorgenommene Veränderung hingewiesen und auch erläutert, dass diese Maßnahme insbesondere aus Respekt vor Zeitzeugen und Nachfahren von Verfolgten des NS-Regimes vorgenommen wurde." Die Rede ist von einem "sogenannten Hakenkreuz", was auch immer das ist. Tatsächlich ist auf dem Foto im Nordheide-Wochenblatt ein Hakenkreuz eindeutig zu erkennen. Zunächst war es unter einem Abtreter verborgen worden, nun soll es überpinselt werden. Dazu habe ich  einen Leserbrief an das Wochenblatt geschrieben:

 

Der Stiftungsrat der Kunststätte Bossard hat beschlossen, das Hakenkreuz im Fußbodenmosaik der Kunststätte zu übermalen. Auf die Übermalung soll hingewiesen werden, sie wird begründet mit besonderer Rücksicht auf Verfolgte des Nazi-Regimes. Wer wollte solche Rücksicht kritisieren? Es muss aber bezweifelt werden, dass das Übertünchen eines Hakenkreuzes dem Gedenken der Nazi-Opfer dient. Das Hakenkreuz in der Kunststätte ist ja keine isolierte Entgleisung. Es ist direkter Ausdruck der Ideologie von Johann Bossard. Dieser (Un-)Geist verdichtet sich im Hakenkreuz, aber er weht durch die Wandgemälde des Edda-Saals wie durch seine Schriften. Es ist ein Gesamtkunstwerk – und als Ganzes vergiftet. Dieser (Un-)Geist weht auch bis in die Verschwörungsmythen unserer Corona-Zeit mit ihren antisemitischen Parolen. Die Auseinandersetzung mit diesem Geist ist in der Kunststätte droht seit den zaghaften Anfängen im Jahr 2018 wieder einzuschlafen. Die zunehmende mediale Präsenz der Kunststätte (Homepage, facebook, Instagram, YouTube) schweigt über die brisanten Fragen. Das Hakenkreuz wird dort nirgends erwähnt. Auf der Homepage wird nach wie vor verharmlosend beruhigt, dass die Bossards sich ab 1934 „unauffällig“ verhielten, sie „bewegten sich in vorsichtiger Distanz zum NS-Regime“. Die Lobpreisungen der nordischen Rasse, die Bossard auch Jahre später noch verfasste, bleiben unerwähnt. Der Stiftungsrat würde mit der Hakenkreuz-Übermalung die falsche Reihenfolge wählen: Was Bossard belastet, wird sofort vertuscht – inhaltliche Auseinandersetzung wird in ferne Zukunft verschoben. Im Übrigen wird die Denkmalschutzbehörde im Landkreis Harburg der Öffentlichkeit erklären müssen, aus welchen Gründen sie eine Ausnahmegenehmigung von den Bestimmungen des Denkmalschutzes in aller Stille genehmigt hat. Rechtliche Gründe dürften es nicht gewesen sein. Laut Strafgesetzbuch ist das Zeigen verfassungsfeindlicher Zeichen nicht strafbar, wenn es „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“ (§86 StGB). Die Kunststätte als Zentrum der staatsbürgerlichen Aufklärung über Kunst und Ideologie - das wäre doch ein Zeichen!

 

(Die rot eingefärbten Passagen wurden im Wochenblatt bei der Veröffentlichung am 1.12.2020 weggekürzt)

 

Außerdem habe ich der Unteren Denkmalschutzbehörde einige Frage gestellt, die ihr ebenfalls am 28.11.2020 zugegangen sind:

 

Der Presse entnehme ich, dass die Denkmalschutzbehörde der Kunststätte Bossard eine Ausnahmegenehmigung erteilt habe, mit der dort Veränderungen am Fußbodenmosaik vorgenommen werden können (https://www.kreiszeitung-wochenblatt.de/jesteburg/c-panorama/kunststaette-bossard-umstrittenes-hakenkreuz-wird-uebermalt_a185316). Gegenstand der Veränderung soll das Hakenkreuz im Fußboden des Edda-Saals sein. In einem Leserbrief an das Wochenblatt habe ich dazu Stellung genommen (s. Anhang).

Ich frage Sie:

Haben Sie eine derartige Ausnahmegenehmigung erteilt? Mit welcher Begründung wurde diese erteilt? Im Vorfeld wurde von Seiten des Stiftungsrates sowie des Landrats, der diesem vorsitzt, rechtliche Problematik ins Feld geführt. Spielte diese auch bei der denkmalschutzrechtlichen Entscheidung eine Rolle? Für entsprechende Aufklärung wäre ich dankbar, da nach meinen Informationen (§86 StGB) im Fall der Kunststätte und einer entsprechenden Einbettung in kunstpädagogische oder staatsbürgerliche Aufklärung der Tatbestand des Zeigens verfassungsfeindlicher Zeichen nicht gegeben ist.

Über eine Auskunft würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ingo Engelmann

 

https://www.landkreis-harburg.de/portal/meldungen/externe-wissenschaftliche-forschung-zur-rolle-johann-bossards-zur-ns-zeit-901006029-20100.html?rubrik=1000042

 

https://www.kreiszeitung-wochenblatt.de/jesteburg/c-panorama/kunststaette-bossard-umstrittenes-hakenkreuz-wird-uebermalt_a185316

 

Leserbrief abgedruckt: https://services.kreiszeitung-wochenblatt.de/uploads/blaetterkatalog/ausgabe/mi/nh/02122020/index.html#page_26

 

 


 

21.Mai 2020 - Erster Eintrag

Das Neubauprojekt einer Bossard-Kunsthalle wird zunächst gestoppt

Am 6.5.2020 Teilte der Stiftungsrat der Bossard-Kunststätte mit, das Projekt "Bossard neu denken" sei ausgesetzt, um die Sachlage weiter zu klären. Eine Kommission werde eingerichtet, die weitere wissenschaftliche Begutachtungen der Verwicklung Bossards in den Nationalsoszialismus in Auftrag geben werde. Damit ist das Projekt zunächst gestoppt, der weitere Ablauf steht in den Sternen.

 

In der öffentlichen Auseinandersetzung hat mitnichten nur die Rolle Bossards im Dritten Reich eine Rolle gespielt. Es geht vielmehr um die 58 Lebensjahre Bossards vor der Machtergreifung der Nazis - er wurde 1874 geboren und hat sich schon als junger Mann mit den nordischen Mythen und den völkischen Verirrungen befasst, die zu seinem Weltbild wurden und mit dem er dazu beigetragen hat, dass die Nazis ihre Ideologie festigen und die menschenvernichtenden Konsequenzen umsetzen konnten. Er war ein Wegbereiter, kein Mitläufer. Es ist zu hoffen, dass die jetzt angekündigte erweiterte Überprüfung nicht allein einer anonymen "Wissenschaft" überlassen wird, sondern sich vor allem auch auf die Erarbeitung eines kritischen Konzeptes für die "neue" Kunststätte erstrecken wird. Dabei sind die Bundes- und die Landkreispolitik sowie die Bürgergesellschaft mindestens  ebenso gefordert wie die Wissenschaft. Der schlimmste Fall wäre, dass die Kunststätte ohne die strittigen Investitionen in eine ungewisse Zukunft geschickt wird - die Alternative zum überdimensionierten und Marketing-lastigen Neukonzept der Gruppe Mayr/Wiese/Frenzel muß eine maßvolle Förderung der Kunststätte sein, begonnen beim Auflösen des bestehenden Investitionsstaus von mindestens anderthalb Millionen Euro zur Sicherung der baulichen Anlagen. Für eine modernes museumspädagogisches Konzept braucht man Personal. Wichtig ist also, die Kunststätte jetzt nicht allein zu lassen.

 

 

 

 


Johann Bossard, Figürliche Entwürfe (1933?), Kunststätte Bossard (Archiv)

 

 

 

Zweites Kapitel:

 

 

 

Bossards Schatten

 

Völkische Ideologie und Kunst in der Heide

Ein Beitrag zum Umgang mit der Kunststätte Bossard

 

von Ingo Engelmann (2020)

 

 

 

Vorbemerkung

 

In der Lüneburger Heide zogen sich vor hundert Jahren die Heideflächen weit bis in Gebiete, die heute bewaldet sind. So auch in Wiedenhof, heute Ortsteil der Gemeinde Jesteburg. Weit schweifte der Blick über die Heide zum Töps und in Richtung Wilseder Berg. In Wiedenhof hatte der Maler und Bildhauer Johann Michael Bossard 1911 ein 30.000 Quadratmeter großes Gelände erworben, auf dem er ein Wohn- und Atelierhaus errichten ließ und das er nach und nach zu dem als Gesamtkunstwerk bezeichneten „Kunsttempel“ ausgestaltete. Das Gebäudeensemble ist überregional bekannt und vor über zwanzig Jahren in eine Stiftung eingegangen, die 2009 organisatorisch vom Freilichtmuseum Kiekeberg abgetrennt wurde und seither als eigenständiges Museum Besucher anlockt. „Das immer noch im Originalzustand erhaltene Werk der Bossards ist ein außergewöhnliches Ausflugsziel für Heidewanderer und für Hamburger, die einen Tag abschalten wollen,“ wirbt eine Touristik-Seite im Internet (https://schoene-heide.de/kunststaette-bossard-jesteburg-luellau/).

 

Im November 2019 berichtete die Lokalpresse über einen Zuschuss in Höhe von über 5 Millionen Euro, den die Bundesregierung für die Entwicklung der Kunststätte Bossard zu einem „Leuchtturmprojekt“ (Landrat Rempe) mit „nationaler Bedeutung“ (Konzeptentwickler R. Wiese, nach eigenen Angaben „Museumsmacher“ und ehemalig langjähriger Geschäftsführer des Freilichtmuseums Kiekeberg) zur Verfügung stellt. Voraussetzung ist, dass der Landkreis und die Stiftung die gleiche Summe innerhalb der nächsten vier Jahre gegenfinanzieren. Der Kreistag hat am 19.12.2019 beschlossen, einen Anteil in Höhe von 2 Millionen Euro im Verlauf der nächsten Jahre beizusteuern.

 

Es gibt gute Gründe, diese Aufwertung der Kunststätte Bossard aus politischen Gründen abzulehnen. Mit diesem Aufsatz soll der Legendenbildung entgegengewirkt werden, es handele sich bei dem Künstler Johann Bossard um einen eher unpolitischen Menschen, der nach einer kurzen Phase der Hoffnung auf den nationalsozialistischen Staat sich vom Faschismus distanziert habe. Vielmehr ist er der Vertreter eines rassistischen völkischen Geisteshaltung, die faschistischen Entwicklungen Vorschub geleistet hat und als Wegbereiter der nationalsozialistischen Ideologie gelten muss. Die Kunststätte Bossard darf deswegen nicht Mittelpunkt einer Planung sein, mit der Kunst und Kultur der Lüneburger Heide dargestellt und gebündelt werden. Wenn man diese Idee vom Standort „Kunststätte Bossard“ unabhängig betrachtet, hat sie durchaus viel für sich. Warum diese Vorbehalte gegen Bossard?

 

 

Der Mystiker in der Heide

 

„Ein außergewöhnliches Ausflugsziel für Heidewanderer und für Hamburger, die einen Tag abschalten wollen“ - das Abschalten gelingt nicht allen. Fraglos ist der Tempel in den Wäldern eine baulich ungewöhnliche und auffällige Erscheinung. Wer hier ahnungslos eintritt und den Garten, die Häuser und die künstlerische Ausgestaltung mit Bildern, Skulpturen und Einrichtungsgegenständen entdeckt, kann entweder fasziniert sein oder ratlos oder aufgebracht oder begeistert, oder aber es können auch ganz andere Reaktionen ausgelöst werden. Was hat es auf sich mit dieser expressionistisch anmutenden Architektur, was mit der Ornamentik und den vielfältigen Runen, was mit den verrätselten Großgemälden im Inneren?

 

Johann Bossard wurde 1874 in Zug in der Schweiz geboren. Er absolvierte zunächst eine Hafner-Lehre (Töpfer und Ofenbauer) und studierte dann Kunst und Bildhauerei in München und Berlin. Er hatte erste Erfolge als Buchillustrator im Jugendstil und mit Skulpturen für Friedhöfe und im öffentlichen Raum. 1905 nahm er die deutsche Reichsangehörigkeit an. Seit 1907 war er an der Landeskunstschule in Hamburg (heute Hochschule für Bildende Künste Hamburg) als Lehrer angestellt, ab 1927 als Professor für die Bildhauerklasse zuständig.

 

Abb. 1: Löwenskulptur vor dem Museum für Völkerkunde

(heute „Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt“ -

MARKK), J. Bossard 1912

 

 

 

 

Bosshard und der erste Weltkrieg

 

Schon in Bossards frühen Werken ist ein starkes Interesse an mythischen Stoffen und Gestalten zu erkennen. Fast immer stehen für ihn Figuren oder Muster der nordischen Mythologie in Verbindung mit aktuellem Zeitgeschehen und gesellschaftlicher Dynamik. Besonderes Gewicht hat für den Neu-Deutschen das Deutschtum. Es verwundert daher nicht, dass zu Beginn des Ersten Weltkrieges die flächendeckend verbreitete Kriegs- und Nationalbegeisterung auch bei Johann Bossard laut wird. Er beklagt in einem Brief an seinen Förderer Hegg, dass durch liberale Geister „der herrliche Krieg versaut wird“, und verknüpft wortwörtlich Farben- mit Rassenlehre. „Wer im Lager derer ist, die Tartaren, Mongolen & Neger nach europäischen Schlachtfeldern führen, ist in meinen Augen gerichtet“, schrieb er in einem Brief 1914 (zit.n. Mayr 2014, S.59). Er gesteht zu, dass der Krieg „die schreckhafteste aller Drohungen für den um Kultur sich Mühenden“ sei, aber dahinter stehe die große Aufgabe, das Schicksal zu vollenden: „Als erlösender Strahl riss er in Geistesklarheit und erglühte ein Volk zur hohen Größe zum Kampf um Sieg ...Und im tiefsten weiß ich nun dieser Krieg geht um den Geist“ (ebd.). Im Mittelpunkt steht der Krieger als zeitloser Charakter mit zeitloser Aufgabe. Über den Krieger wird noch ausführlicher zu sprechen sein.

 

Es deutet sich hier schon die mythologische Sichtweise Bossards an: Der einzelne, reale Mensch wird möglicherweise mit Mitleid oder Mitgefühl betrachtet, aber dahinter geht es um etwas Größeres, etwas allgemein Gültiges. Hierin liegt auch das Wesen des Mythos, er belehrt uns „über eine Seite unseres Wesens, die nicht persönlich ist, sondern allgemein-menschlich und darum mythologisch“ (Weidelener 1955/1961, S. 19).

 

In den Kriegsjahren, die Bossard zum Teil in Frontnähe als Regimentsmaler (u.a. Anfertigung von Hinweisschildern) verbrachte, äußert er sich immer weniger über den Krieg. Die Begeisterung scheint verschwunden, aber es fehlen reflektierende, differenzierende Töne. Mayr schreibt in ihrem Aufsatz über Bossard und den ersten Weltkrieg: „Die erhaltenen Kunstwerke lassen die zunehmend skeptische Haltung Bossards dem Krieg sowie den politischen Entscheidungsträgern gegenüber nicht erkennen“ (Mayr 2014, S. 65). Hier gilt es genauer zu trennen: Eine zunehmend skeptische Haltung von Bossard gegenüber den Politikern ist in der Tat immer wieder zu finden, aber über den Krieg äußert er sich schlicht und einfach nicht mehr. Er wählt den Rückzug in die Heide und in die Kunst.

 

Einige Jahre später entwirft Bossard ein Denkmal für die Schlacht von Tannenberg (1924/25). In seinen Stichworten zu dem Entwurf fasst er zusammen, was für ihn im Mittelpunkt des kriegerischen Geschehens steht: „Kriegesnot und Flüchtlingselend, Verwüstung der Heimat & ihre Befreiung durch Feldherrntat, Todesmut & Treue, Heimkehr der Vertriebenen & Wiederaufbau...“. Da war wieder die reale Misere, aber auch das Überstrahlende und der Blick auf den neuen Staat und den Neuen Menschen. Durch das aktuelle Zeitgeschehen hindurch schimmert der Mythos. Der reale Krieg ist ein Desaster, mit unendlichem Leid verknüpft. Aber unter der Oberfläche von Leid, Schmerz und Verlust trifft man auf die ewigen Strukturen, die auf die Zerstörung den Aufbau folgen lassen, die den Krieger in seine sieghafte Bestimmung einsetzen und das Rad des Schicksals immer weiter antreiben. Hierhin, zur eigentlichen Bestimmung, gilt es durchzudringen. Bossard widmet sein künstlerisches und vitales Leben dieser Bestimmung.

 

Einen weiteren Entwurf liefert Bossard einige Jahre später für das „Denkmal für die im Kampfe um die nationale Erhebung gefallenen SA-, SS- und Sta-Männer auf der Moorweide“ (1933/34). Bossard konzentriert sich in einer zwischen dem antiken Griechenland und Jugendstil oszillierernden Bildsprache auf die Arbeitswelt und die Werktätigen, sein Entwurf inklusive Reichsadler und Hakenkreuz wird nicht angenommen.

 

Abb. 2: J. Bossard, Modell zum Denkmal für die im Kampfe um die nationale Erhebung Gefallenen (1933/34), Kunststätte Bossard

 

 

 

Das Gesamtkunstwerk: Kunsttempel als Lichtkathedrale

 

Seit Anfang der zwanziger Jahre arbeitet Bossard an seinem Gesamtkunstwerk in der Lüneburger Heide. Ab 1926 unterstützt ihn dabei seine Frau Jutta Bossard, eine ehemalige Schülerin aus der Landeskunstschule. Später ist mit Franz Hötterges ein weiterer Schüler Bosards in Lüllau-Wiedenhof mittätig. Daneben ist Bossard bis zu seiner Pensionierung 1944 als Professor an der Landeskunstschule Hamburg tätig (erst nach dem Krieg wurde diese zur Hochschule für bildende Künste weiterentwickelt).

 

Der Kunsttempel ist das, was man heute neudeutsch als echtes „statement“ bezeichnen könnte. Das Projekt soll eine Positionsbestimmung werden, Ausdruck einer Weltsicht, eine Zusammenfassung all dessen, was Bossard wichtig ist. Was dazu gehört, hatte er 1925 in seiner „Werbeschrift an meine Freunde“ aufgeschrieben – eine von wenigen ausführlicheren schriftlichen Äußerungen, die von Bossard neben Briefen sowie fachlichen Berichten für die Behörde erhalten sind (Bossard 1925, Seitenangaben im Folgenden beziehen sich auf diesen Text). In einer Art Rundbrief gibt Bossard einen Einblick in seine Gedanken und seine Pläne. Worum geht es ihm?

 

Zunächst ist die Werbeschrift natürlich eine Bitte um finanzielle Unterstützung. Der Professor hat neben seinem Gehalt keine Einnahmequellen und ist nur wenig erfolgreich mit Nebeneinkünften aus Privataufträgen. Er hat dafür neben seiner Lehrtätigkeit und seinem Lebenswerk in Lüllau-Wiedenhof auch nicht wirklich Zeit. Also braucht er Sponsoren, und diesen will er seine Pläne schmackhaft machen.

 

Bossard beschreibt seine Baupläne und verfällt schon in diesen ersten Abschnitten seines ca. zwölfseitigen Textes in ein auffälliges und aus heutiger Sicht schwerverdauliches Pathos: „Den Heidewanderern, den sehnsüchtigen, jungen Menschen der Großstadt soll zum Naturgenuss der weiten Ebene und des hohen Himmels des niederdeutschen Landes der Atem Gottes, wie er am reinsten und doch menschennahesten aus dem großen, einheitlichen Kunstwerk quillt, eine schönheitliche Quelle, eine Stätte innerer Einkehr errichtet werden“ (59). Die Heide war in diesen Jahren in der Tat Anziehungspunkt für Wanderer, die aus Hamburg mit dem Zug bis Holm-Seppensen oder Handeloh fuhren und von dort ihre Wanderungen unternahmen. Bossard wollte nicht nur den künstlerischen Selbstzweck, sondern er wollte Wirksamkeit in den Menschen erreichen, in den Heidewanderern beispielsweise. „Die Meinen werden mich schon mal finden“ - so hat Bossard es gegenüber seiner Frau formuliert (Fok 1998, S.53). Das missionarische Pathos setzt er dann in seiner „Werbeschrift“ fort: „Wie der silberne Frühling des Nordens über weite Wasserspiegel und duftatmende Ebenen, durch knospende Birkenzweige und Wolkenflöre, rieselt durch kristallknospende Pfeiler, verflochten emporziehende, lichtsaugende und widerstrahlende Menschenbildergewebe, das Licht des großen Gottesgedankens und Menschengefühles, um das Symbol des Übermenschen das Wort: das bist Du“ (60). Das ist nicht nur einfach kitschig, es wird spätestens mit dem Bezug auf Nietzsche durch die Vokabel des „Übermenschen“ auch Ideologie. Da ist Heidegger nicht weit, und die nationalsozialistische Ideologie auch nicht. Was hat Bosshard damit zu tun?

 

Vor allem der nordische, germanische Mythos bewegt Bossard. Er studiert und malt Motive aus der Edda, dem isländischen Götter- und Heldenepos. In seiner „Werbeschrift“ beruft sich immer wieder auf „den uralten germanischen Kampf zwischen Licht und Finsternis“ (70), auf die „nordische Heimat“ und ihre Güte (65). Nicht die üppigen Märchen aus südlicher Vorzeit (Griechenland, Rom) bestimmen für ihn die deutsche Geschichte und Gegenwart, sondern unser Los sei „der deutsche Wieland, die Rune siegender Überwindung aus tiefster Schmach, seinem Flug ins Licht zu folgen ist das in unser Blut geätzte Schicksal“ (60). Wieland, der Schmied, ist eine auf die isländische Edda zurückgehende Gestalt, an der sich auch Richard Wagner schon abgearbeitet hat. In der Sage ist Wieland ein begnadeter Schmied, den seine Lehrmeister, die Zwerge, eigentlich nicht ziehen lassen wollen. Er entkommt und stellt sich in den Dienst des dänischen Königs Nidung. Als der ihn zu halten versucht, indem er seine Fußsehnen durchschneidet, damit er nicht fliehen kann, rächt sich Wieland an der Königsfamilie und entkommt mit Hilfe seiner selbstgeschmiedeten Flügel.

 

Bossard schließt seinen Text mit einer Aufbruchsvision: „Berufen als ein Reich der Mitte ist das deutsche Reich bereit, eine erhabene Tradition aufzunehmen. Schwer geprüft von einem eisernen Schicksal trete der Deutsche ein Erbe an, zu dem ihm eine hohe Notwendigkeit in den Tagen, da er aus nordischem Dunkel in die Abendröte des untergehenden römischen Reiches trat, bestimmt hatte. Kindliche Schwächen seiner Art, fragwürdig gemischt mit dem Berserkertum seiner kriegerischen Mission in den wüstesten Greueln einer untergehenden Welt, heben sich doch früh gestärkt und veredelt an einem Begriff und lebendigen Gefühl höherer Pflicht.(...) Denn ein Ahnen ist in unserem ewig jungen Volk, dass nun der Tag angebrochen ist, an dem endlich die verborgene Rune unseres helkarthistischen, nordischen Linienornaments unserer Geschichte in die lichte Klarheit gedeutet, auf die theistische Ebene sinnvoller Tat gehoben werde“. (71).

 

Die nordische Geistesgeschichte, ihr Mythos ist geprägt durch die Polarität von Asgard, dem Götterwohnsitz, und dem daraus verbannten Totenreich Hel. Und diese Polarität prägt auch das Leben des nordischen Menschen. Der nordische Mythos ist dunkel und karg wie das Leben im Norden, und schon seit vielen Jahrhunderten überlagert ihn der südliche Mythos des Lichts und der Fülle (vgl. Weidelener 1955/1961). Nur wenige bei uns, stellt Bossard fest, haben in diesen Jahrhunderten den Zugang zu Hel und der Dunkelheit nicht verloren, in der Kunst gehören für ihn dazu Dante, Michelangelo, Dürer und Rembrandt. Aus dem Dunkel des Unbewussten führt der Weg, den der Künstler immer wieder bahnt, in die lichte Höhe einer neuen Welt. „Immer wieder steigt der Künstler in die Nacht des Unbewussten, in das Reich der Hel (…) Du erkennst dich...; bestrahlt wieder vom himmlischen Lichte, hast du die Kraft Gottheit gestaltende Einsicht zu erweisen, vorzuleben als ein neuer Ton in der göttlichen Weltensymphonie, zu sein eine göttliche Harmonie“ (66).

 

Auch in späteren Schriften hat Bossard die Fokussierung auf das „nordische Bluterbe“ (161) fortgesetzt, so beispielsweise im „Bericht über eine Studienreise nach Belgien und Frankreich“ (1938, Seitenzahlen dort). Er findet Gemeinsamkeiten mit dem „nordischen Erbe“ (151), verdächtigt gleichwohl niederländische Museen eines „Kulturbolschewismus“, der sich eines „expressionistischen Programms zur Formung ihrer volksschädlichen Schmatzereien“ bediene (152). Er beklagt „Emigranten-Hetzblätter“ in Amsterdam und zitiert einen „Elsässer, den ich auf der Rückreise traf“: „Gegen die Juden könnten wir ja einen Hitler brauchen, aber sonst...“ (153) Und so setzt es sich fort: die „Rassenfrage“ (155) findet Erwähnung wie das „nordische Blut“ (156, 158) und die „Urrasse“ (159f). „Es war uns aufgefallen, dass wir wohl viele Engländer, Amerikaner, auch Schweden und Schweitzer sahen, aber keine Deutschen. Auf der ganzen Reise, weder in Museen noch Restaurants und Geschäften haben wir Landsleute gesehen, häufig dagegen jüdische Emigranten“ (163). Der Bericht ging am 31.12.1938 an die Deutsche Kongress-Zentrale, eine Agentur des Propagandaministeriums zur Ausrichtung von Tagungen oder Auslandsaufenthalten, und ein derartiger Bericht passt sich natürlich an die beim Adressaten vermuteten Erwartungen an. Aber es hat den Anschein, dass Bossard sich nicht sehr anpassen muss – seine Geisteshaltung muss er nicht verbergen. Er ist Nationalist, wo Frankreich zu großen Werken fähig ist, führt Bossard das auf den nordisch-normannischen Einfluss zurück, da haben „Blut und Boden wieder zu sich selber gefunden“ (160).

 

 

Bossards Ideologie – Theosophie und Kolonialismus

 

Was Bossard zu beschreiben versucht, ist mit Worten nur schwer zu fassen, und die schwülstige und beschwörende Sprache mag zu einem wesentlichen Teil diesem schwärmerisch-flüchtigen Charakter seiner Theosophie zuzurechnen sein. Es wird aber geklärt werden müssen, was der Kern dieser Ideen und Ideologien ist und was das für den heutigen Menschen, was das für uns bedeutet.

 

Aus vielen Äußerungen Bossards ist ablesbar, wie er Kind seiner Zeit war. Das Elend des Deutschen Reiches, besiegelt durch die Niederlage des Ersten Weltkriegs und das „Diktat“ von Versailles, bestimmte die Stimmungslage vieler Deutscher zu Beginn der Weimarer Republik. Das Reich, von dem Bossard noch sprach, existierte faktisch (so) nicht mehr – aber es war in den Köpfen der Menschen natürlich nicht von heute auf morgen ausgelöscht. Daneben hatten theosophische Betrachtungen schon seit Jahrzehnten viele Anhänger gefunden, viele von Bossard mitgeteilte Gedanken fanden sich schon in östlicher Färbung bei Helena Blavatsky (1831-1891) oder in germanischer Färbung bei Guido von List (1848-1919). List führte Blavatskys ariosophische Schule der überlegenen Rasse weiter und beschäftigte sich mit den aktuellen Folgerungen für die Überwindung der elenden Gegenwart durch eine neue Rassenherrschaft. Bossard besaß in seiner Bibliothek fünf Bücher von List (Djassemi 2018, S. 44) – angesichts der spärlichen von  Bossard selbst verfassten Texte kann aber nicht präzise ermittelt werden, wie genau er List gelesen und wie weit er ihm gefolgt ist.

 

Die Überlegenheit der weißen, nordischen Rasse stand für Bossard fest, wie seinen eigenen Worten zu entnehmen ist. In einem Brief an seinen Förderer Helmut Wohlthat (Bossard 1933) umreißt er seine Vorstellungen von einer kommunitären Gesellschaft, die sich dem Profitstreben des Kapitalismus entgegenstellt und offen ist für einzelne geistige Inhalte kommunistischer Konzepte, aber ohne ihre internationalistischen Anteile und ohne die bolschewistischen Auswüchse. Man könnte fast sagen, Bossard beschreibt hier Ideen eines überkonfessionellen Urchristentums, aber eben auf nationaler und rassistischer Ebene. Die „Herrschaft der weißen Rasse“ (S.94) steht außer Frage, und es ist die Bestimmung der „nordischen Rasse“ die „bis in die älteste Prähistorie zu verfolgende Mission der Kolonisation“ (1933, S.94) zu vollenden. „Nur aus dem kolonisierenden Blut des Nordens erwächst dem Süden Kraft und Wille zum sich politisch auswirkenden Gegenstrom“ (ebd., 94). Am deutschen bzw. nordischen Wesen muss die Welt genesen, diese Überzeugung äußert Bossard mehr oder weniger ausdrücklich wiederholt. Die Kraft der nordischen Rasse wird in den Süden getragen (zum Beispiel aus Germanien nach Rom, oder aus dem Norden über Frankreich gen Afrika). Von dort kehrt die Kraft dann zurück in den Norden, und so wächst die Kraft der Welt durch das nordische Blut.

 

 

Der Krieger: Bossard und die Archetypen

 

„Die heldische Gesinnung adelt, Heldentum ist die Forderung der Erneuerung. Heldentum überwindet alles“ (64). Der Krieger als Held zieht sich durch die Vorstellungen Bossards und durch seine Kunst. „Kriegersiedlungen“ wünscht er sich (61), in denen Ödland zu Kulturland veredelt wird und der Mensch seiner edelsten Bestimmung nachgeht. Der Krieger ist ein mythologisches Muster, das sowohl auf die griechischen und nordischen Heldengeschichten verweist als auch auf deren psychologische Deutungen im Konzept der „Archetypen“, wie es von C.G. Jung ausgearbeitet und seitdem weiter entwickelt wurde. Jung suchte nach Grundmustern der Vorstellung, die sich Menschen von der Welt machen und wie sie sich darin verstehen und einordnen. Er beschrieb Archetypen als „seit alters vorhandene allgemeine Bilder“ und als „unmittelbare seelische Gegebenheit“ (Jung 1957, S. 12f). Es sind also Urformen des menschlichen Daseins, die durch die Zeiten wirksam bleiben und verschiedene Ebenen betreffen können. Es sind Abschnitte des Lebens (Geburt, Wandlung/Entwicklung, Tod) oder Ebenen der psychischen Verarbeitung und Wahrnehmung (Schatten als teil- oder unbewusste Anteile der Persönlichkeit). Es sind auch Grundformen der Welterscheinung wie das Göttliche oder polare Anteil der Persönlichkeit wie Animus und Anima als das männliche und weibliche Prinzip, gute und böse Mutter bzw. guter und böser Vater usw. Auch der Krieger und der Held sind Unterformen des Archetypischen. Zentral ist bei C.G. Jung und denen, die ihm folgen (vgl. z.B. Neumann 1974) die Vieldimensionalität der Archetypen, sie sind immer positiv und negativ, nährend und zerstörend gleichzeitig, wenn auch in wechselnder Schwerpunktsetzung.

 

Abb. 3: J. Bossard, Fries, um 1908 (Ausschnitt),  Kunststätte Bossard, Archiv

 

 

Bossard scheint mit den Gedanken C.G. Jungs in Berührung gekommen zu sein. In einem Brief setzt er den Begriff „Erdbedingtheit der Psyche“ in Anführungszeichen und spielt mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den ursprünglichen Titel einer Publikation von C.G. Jung an, die 1927 im Kongressbericht zu einer Tagung der Freien Gesellschaft für Philosophie Darmstadt veröffentlicht wurde und in revidierter Form unter dem Titel „Die Struktur der Seele“ in den gesammelten Werken (Band 8) erschien. Auch Fornoff, ein der Kunststätte Bossard verbundener Germanist und Sprachwissenschaftler, sieht Bossards Ideen im Umfeld der „bei vielen expressionistischen Künstlern populäre(n) gnostisch inspirierten Psychoanalyse C.G. Jungs“ (2018, S. 29). Zwar kann man aus den Quellen nicht klar entnehmen, welche Konzeption des Begriffs „Archetyp“ Bossard vorgeschwebt haben mag. Aber in diesem Fall ist der Schritt von der Analyse seiner schriftlichen Äußerungen zur Betrachtung seiner Kunst hilfreich. In den Zeichnungen und Gemälden Bossards ist immer wieder ein Menschen- und vor allem ein Männer-Typus zu sehen, der sehr körperbetont und muskulös dem Bild des Helden oder des Kriegers entspricht (Abb. 1 und 2). Und Bossard nennt den zweiten Raum seines Kunsttempels „Halle des Kampfes“, denn „vor das Hohe ist der Kampf gesetzt“ (Werbeschrift, 1925, S.60) und fordert mehr „Kriegersiedlungen“. Unter dieser Bezeichnung wurden nach dem ersten Weltkrieg Siedlungen für Kriegsversehrte erstellt. Bossard versteht sie nicht als Instrument der Fürsorge, sondern Keimzelle des Tempelbauerordens. Hier sammeln sie sich, die neuen Menschen, und „Marsch und Tanz, Gehorsam, weil er Kraft erzeugt und Frohheit, weil sie Weisheit lehrt, leiten schon den ersten Tag“ (1925, S.63).

 

Es entsteht das Bild einer Gemeinschaft, die sich aus dem nordischen Erbe herleitet, die heldisch und kämpferisch handelt und dem Ziel einer naturanalogen Harmonie entgegenstrebt. Es ist eine im wesentlichen idealistische und idealisierte Vision, mit romantischen Anklängen und völkischer Basis. Aus dem Leiden und der Demütigung, die das Schicksal dem deutschen Volk in der Vergangenheit auferlegt hatte, erwächst nun ein neuer Mensch und soll durch Erziehung und Arbeitsdienst geformt werden. Die Gemeinschaft lebt aus der Abgrenzung und und steht damit dem modernen Begriff der Gesellschaft gegenüber (Münkler 2019), der durch die Notwendigkeit gekennzeichnet ist, unterschiedliche Interessen auszugleichen. Die Forderung der Zeit wäre demnach, die tendenziell antagonistischen Konzepte von Gemeinschaft und Gesellschaft in eine Balance zu bringen. Bossard setzt dem eine einseitige und nicht (wie beispielsweise in der Archetypenlehre) eine dualistische Konzeption entgegen. Das birgt das Risiko einer totalitären Entwicklung.

 

 

Bossard und der Nationalsozialismus

 

Vielfach wurde in der Vergangenheit gefragt, in welchem Verhältnis Bossard zum Nationalsozialismus und den Nazis stand. Mittlerweile steht fest, dass es keine Hinweise auf eine Mitgliedschaft der NSDAP gibt und er sich von Nazi-Organisationen so fern wie möglich gehalten hat. Aber aus den schriftlichen Äußerungen Bossards wird auch deutlich, dass sein Weltbild, seine Geschichtsverzerrung und seine Vision in vielen essenziellen Punkten mit der Nazi-Ideologie oder ihren Vorläufern übereinstimmte. So wird nachvollziehbar, dass Bossard gewisse Synergie-Effekte erhoffte, als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen. Sein Kontakt mit Alfred Rosenberg verlief dann aber sehr viel konflikthafter, als es zu erwarten gewesen wäre. Der Autor des „Mythus des 20. Jahrhunderts“ war dem Vernehmen nach bei seinem Besuch in Bossards Kunsttempel 1934 so abgeschreckt,  dass er als ein möglicher Verbündeter auschied. Möglicherweise erkannte Bossard nach der demütigenden Reaktion Rosenbergs, dass es keine Aussicht auf Anerkennung oder Förderung von seiten der Nationalsozialisten gab. Möglicherweise distanzierte er sich aber auch immer mehr vom herrschenden System, weil er in seiner künstlerischen Identität und seinem Narzissmus so gekränkt war. Hier kann nur spekuliert werden, überlieferte Erklärungen dazu sind nicht bekannt.

 

Bossard zog sich immer mehr auf sein Grundstück in Wiedenhof zurück und absolvierte seine Hochschulpflichten ohne anzuecken. Nur noch einmal wurde er im Dienste des Systems tätig: 1940 wurde Bossard verpflichtet, einen Bildhauerkurs für Großfiguren zu leiten und nahm diese Aufgabe über mehrere Jahre wahr. Ziel war es, geeignete Bildhauer für die von den Nationalsozialisten geplante Großbebauung am Elbufer durch eine Architektengruppe um Konstanty-Gutschow auszubilden. Mehrere Modelle entstanden, wurden aber nicht umgesetzt. Die Ausbildungsgruppe zerstreute sich, die Elbbebauung wurde nicht realisiert. Auch hier bleibt es Spekulation, ob Bossard das bedauert hat oder ob er insgeheim erfreut war, die ungeliebte Beschäftigung los geworden zu sein. Mayr stellt in ihrer Schilderung des Bossardschen Spätwerks in den vierziger Jahren fest: „Die Frage, ob die nordischen Mythen nach dem Missbrauch durch die Nationalsozialisten noch für eine unbefangene bildliche Verwendung taugen, stellte er sich nicht“ (2018d, S.23).

 

Der auch in Hamburg gut bekannte Museumsleiter und Ausstellungsmacher Harald Szeemann hatte anlässlich einer von ihm kuratierten Ausstellung über die „Visionäre Schweiz“ 1991 bezüglich Bossard überlegt, warum dieser in der Kunststätte auf den eigentlich geplanten abschließenden Bauteil der Osterzelle verzichtet habe. „Aus Scheu vor dem Wunder? Aus Scheu vor der Fixierung einer Übermenschvorstellung, die nur im Geiste sein kann? Hier haben wir sie, die Grenze des Gesamtkunstwerks. Man kann in diesem Nichtausgeführten aber auch das Weiterweisende sehen.“ . Und Szeemann setzt fort, das Gesamtkunstwerk sei damit eine „...Verschmelzung einer begehbaren und einer unvorstellbaren Gesamtkunstwerkrealität“ geworden (Szeemann 1991, S. 90). Hat also Bossard spät innegehalten und seinen Gesamtplan infrage gestellt? Niemand weiß das wirklich. Handfeste Anhaltspunkte für eine späte Einsicht gibt es nicht.

 

Festzuhalten bleibt der totalitäre Charakter des Konstrukts „Gesamtkunstwerk“. Die Musikjournalistin Lemke-Matwey schrieb dazu kürzlich, das von Wagner entscheidend geprägte Konzept des Gesamtkunstwerks sei ein totalitäres Konzept, das hierarchisch den Künstler über die Menschheit hebt und damit einen „monströsen Anspruch“ erhebt. Es geht um die „Verschmelzung von Kunst und Leben (…) Der Gesamtkunstwerker, glaubt Wagner, ist der Einzige, der die Welt aus ihren Verstrickungen lösen und erlösen kann: indem er Gemeinschaft verspricht und Distanzen schafft, indem er den historischen Augenblick erkennt und den Mythos beschwört. Dahinter steckt ein wahrhaft monströser Anspruch, der den Künstler als Schöpfer und Welterschaffer begreift, als Weltvernichter und Welterneuerer.“ (Lemke-Matwey 2018, S. 61). Die Parallelen zum Selbstbild Bossards sind unübersehbar,

 

 

Kunst als Ideologie“ – oder „Kunst ist Kunst“?

 

Das Werk Bossards ist durchaus vielschichtig und entzieht sich der einheitlichen Kategorisierung. Neben den heldenhaften und germanischen Männerkörpern und den frühen von Jugendstilelementen beeinflussten Illustrationen und Zeichnungen gibt es expressionistische Gemälde mit teilweise innovativen Techniken (wie in seinem fast abstrakten Gemälde „Dunkles Wasser“, Mayr 2018c, S. 189) wie auch das überwältigende Wirrwarr des Gesamtkunstwerks in Wiedenhof. Der Edda-Saal mit seinen raumhohen Bebilderungen, der eigentliche Kunsttempel wie auch einzelne Großgemälde im Museumsdepot illustrieren nordische Mythen und rätselhafte metaphysische Situationen mit einer sinnlichen Gewalt, der sich der Betrachter schwer entziehen kann. Was hat es mit dem Elefanten auf sich, der durch eine Menschenmenge stampft und dabei eine Blutspur der Zerstörung und Tötung hinter sich lässt? Wer reitet auf ihm – eine hinduistische Gottheit auf dem für diese Götter typischen Reittier? Weist die jesustypische segnende Handhaltung („salvator mundi“) des Reiters auf einen christlichen Zusammenhang? Es gibt keine Dokumente oder Aussagen von Bossard, die hier Klarheit stifte könnten, und wahrscheinlich ist Klarheit gar kein Ziel des Malers. „Auf die Frage, was denn das eine oder andere Bild bedeuten solle, antwortete Bossard, dass man doch das nehmen solle, was das Bild einem selbst gebe“, zitiert O. Fok Jutta Bossard (Fok 1998, S. 53)

 

Es gibt kein Anrecht darauf, dass sich Kunst erklärt oder der Künstler Absichten und Bedeutungen erläutert. Der Betrachter ist dann auf seine eigene Resonanz zurückgeworfen, muss sich selbst seinen Reim auf das Kunstwerk machen. Hier stellt sich eine Assoziation an R.M. Rilke ein, der in den Duineser Elegien (1923, S. 11) schreibt:

 

 

Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

 

 

In diesen Zeilen klingt an, was schon bei der Skizzierung des Archetypen-Konzepts von C.G. Jung immer mitschwang: Es besteht eine Polarität, die dem Schönen das Schreckliche zur Seite stellt, dem Männlichen das Weibliche, dem vernunftgeprägten Tag die unbewusste (Traum-)Nacht. Bei Bossard findet man allerdings keine ausbalancierte Polarität, sondern die einseitige Gewichtung des Kriegers, Helden, des hohen Ziels, des Lichts im nordischen Dunkel. Zusammengesehen mit der Idee des Gesamtkunstwerks wird daraus eine totalitäre Vereinnahmung von Mensch und Welt, die alles in einen Rahmen zwingen will, was wichtig ist. Damit bekommt die Kunst Bossards einen ideologischen Charakter. Es gibt Stimmen, die den Werken Bossards im Kunsttempel vorwerfen, ohne die ideologische Basis hätten sie keinen Halt, keine Stabilität aus sich heraus. Andere (darunter einige Kunsthistoriker) wenden ein, es gebe eine aus sich heraus wirkmächtige künstlerische Aussage vieler Bossard-Werke.

 

Die aktuelle Herausforderung liegt wohl darin, das möglicherweise auch ohne ideologischen Hintergrund tragfähige Werk Bossards zu betrachten, ohne die geistigen Hintergründe zu vernachlässigen. Bossard hat seine totalitären Tendenzen schon vertreten, als es die Nazis so noch gar nicht gab. Er ist insofern ein „Vor-Nazi“. Diesen Konflikt kann man nicht auf die Frage beschränken, ob er Partei-Mitglied war oder nicht. Er war an Nazi-Verbechen nicht direkt beteiligt, aber er hat den Boden dafür mit bereitet und trägt damit eine Mit-Verantwortung. In den Auseinandersetzungen um die SS-Mitgliedschaft von Günther Grass oder den Antisemitismus von Emil Nolde ging es immer auch um die Frage, wie man Gesinnung, Charakter und Kunst voneinander trennen kann. Zu Emil Nolde hieß es nach der enthüllenden Ausstellung im April 2019 in Berlin im Deutschlandfunk: „Viele seiner Bilder haben eine hohe Qualität und hängen völlig zu Recht in Museen. Trotzdem hatte der Maler, der 1956 starb, einen furchtbaren Charakter: Er war überzeugter Nationalsozialist. Mit diesem nicht aufzulösenden Widerspruch muss die Kunstwelt ab sofort leben“ (DLF 2019). Im Bundeskanzleramt wurden trotzdem umgehend mehrere Nolde-Werke abgehängt und anderweitig vergeben.

 

Abb. 4: J. Bossard, Erster Tempelzyklus (Ausschnitt), um 1927, (Museumsdepot der Kunststätte Bossard)

 

Die Geschichte der Auseinandersetzung mit Bossards geistigem Erbe

 

In früheren Publikationen zum Werk Bossards stand das Einzigartige dieses Bau- und Kunstwerks im Mittelpunkt, oft eher ohne eine kritische zeit- und ideengeschichtliche Einordnung vorzunehmen (vgl. z.B. Publikationen von Fok, 1998, 2003). Erst in den letzten Jahren hat sich das geändert, nicht zuletzt durch das Engagement der Leiterin der Kunststätte Bossard, Gudula Mayr. Insofern gibt es vielfältige Parallelen zu anderen Künstlern und Geisteswissenschaftlern, deren Verstrickungen bzw. die Art der Verstrickung in das nationalsozialistische System und seine Gedankenwelt erst heute vorurteilsfrei erkundet und analysiert werden (Emil Nolde, C.G. Jung, Franz Radziwill u.a.).

 

Die Kunststätte Bossard hat in zwei Bänden Originaltexte von Bossard und wissenschaftliche Aufarbeitungen präsentiert (Mayr 2018b und 2018d). Eine Ausstellung und eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus“ haben 2018 stattgefunden. Damit wurde eine Grundlage geschaffen, sich mit den anstehenden Fragen auseinanderzusetzen. Sicher besteht das Risiko, das einige nun meinen, damit sei genug geschehen.

 

 

Die Tagung „Über dem Abgrund des Nichts“ - Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus

 

Dem steht gegenüber, dass die Quellen zwar präsentiert, aber in der Regel nicht differenziert bewertet worden sind. Bewertungen nahmen einige Wissenschaftler auf der Tagung im Dezember 2018 vor, ohne immer zu überzeugen. Der emeritierte Politologie-Professor und ausgewiesene Wagner-Spezialist Prof. Bermbach stellte zum Thema des Gesamtkunstwerks kurzerhand klar, Kunst sei ja eigentlich nie demokratisch, und stellt mit derart konservativem Statement seine Expertise in ein ungünstiges Licht (seine Konklusion ist, antisemitische und rassistische Gedanken seien bei Bossard nicht zu finden). Der Historiker Frank-Lothar Kroll (2019) spricht Bossard frei vom Vorwurf des rassischen Antisemitismus. Es habe zu Beginn des neuen Regimes ein gewisses Wohlwollen gegenüber den Nazis gegeben, aber dann wachsende Reserve und Distanz. „Vielleicht war es ja die für einen durch und durch kunstbesessenen und eher unpolitischen Menschen wie Johann Michael Bossard einzig mögliche Antwort auf die totalitäre Herausforderung von Rechts“, meint er (2019 S.90). Es erscheint aber wichtig, zum einen nicht nur das Verhältnis zum nationalsozialistischen Regimes von 1933 bis 1945 zu betrachten, sondern auch die Vorläufer – Bossard war ja schon lange vor Beginn des Dritten Reichs mit seinem völkischen Gedankengut befasst. Zum anderen sind totalitäre Tendenzen ein wesentliches Kennzeichen des Gesamtkunstwerks, wie verschiedene Referenten auf der Tagung zugestanden haben. Hier bleibt ein Spannungsfeld, dessen Bewertung aussteht1.

 

Auf der Tagung selbst sowie in der Berichterstattung der Lokalpresse darüber konnte man den Eindruck gewinnen, es gehe doch immer wieder hauptsächlich um die Frage der Parteimitgliedschaft Bossards. Ich hatte dem in einem Leserbrief an die örtliche Zeitung entgegentreten wollen – allein er wurde nicht veröffentlicht. Dem Landrat Rempe hatte ich dann den Leserbrief direkt zugestellt, und er antwortet per e-mail. „Ich stimme Ihnen zu: Die Nicht-Mitgliedschaft in der NSDAP kann nicht das entscheidende Kriterium sein für die Bewertung von Bossards Geisteswelt. Daher hat der Landkreis Harburg auch seit vielen Jahren, obwohl wir von der Nicht-Mitgliedschaft wussten, auf eine differenzierte Aufarbeitung des Themas gedrungen.“

 

 

Ausblick: Kunsthalle Lüneburger Heide in Lüllau?

 

In Berlin und im Landkreis Harburg wurden Ende 2019 die Weichen gestellt: Der Ausbau der Kunststätte Bossard zur „Kunsthalle Lüneburger Heide“ soll mit vielen Millionen Euro gefördert werden. Der Drittel-Anteil von Stiftung und Sponsoren steht noch aus. Ob es also zu dem Ausbau kommt, ist nocht nicht endgültig gesichert. Vielleicht springt ja die Sparkasse als Mitglied des Stiftungs-Trägers der Kunststätte ein.

 

Über die Vorgeschichte zu dieser Projektentscheidung ist der Öffentlichkeit nicht viel bekannt geworden. Es existiert eine kurze Vorlage der Verwaltung für den Kreistag und eine Folge von fünfzehn Power-Point-Folien, die sich ausführlich den Entwürfen für ein großes Ausstellungsgebäude und der Frage der Parkplätze zuwendet, aber nicht den gesellschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Einordnungen oder Fragestellungen. Mit der Planung wurde der frühere Geschäftsführer des Freilichtmuseums am Kiekeberg Rolf Wiese beauftragt, er kooperierte mit dem Planungsbüro, das auch schon für die Entwicklung des Kiekeberg-Projekts „Königsberger Straße“ sowie für kleinere Baumaßnahmen an der Kunststätte verantwortlich zeichnete. Ob im Planungsprozess für die in Rede stehende „Kunsthalle Lüneburger Heide“ neben dem Kunststätten-Gelände in Lüllau andere Standorte geprüft wurden, ist unbekannt. Interessant wäre gewesen, beispielsweise ein Objekt wie den zur Sanierung anstehenden Lokschuppen in Buchholz zu untersuchen, der über gute Verkehrsanbindungen (Bahnhofsnähe!) verfügt und für den eine öffentliche Nutzung kulturell wertvoller gewesen wäre als der Umbau zu Eigentumswohnungen.

 

Ob aber der Ausbau der Heide-Kultur ausgerechnet am Ort des Bossardschen Kunsttempels gut angesiedelt ist, muss bezweifelt werden. Wenn man sich mit Bossards Gedankengut befasst, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass seine Welt nationalistisch und rassistisch vergiftet war. Angesichts zunehmender rechtspopulistischer Strömungen ist eine ausdrückliche Abgrenzung von allem Gedankengut, das in diese neurechten Entwicklungen aufgenommen wird, wichtiger denn je. Mit der massiven Investition in ein Projekt, das aktuell eher unter touristischen Aspekten gesehen wird oder dem Profilierungsbestreben einzelner Beteiligter dient, sinkt die Wahrscheinlichkeit der eingeforderten „differenzierten Aufarbeitung des Themas“. Die lobenswerten, aber noch lange nicht abgeschlossenen Schritte der Aufklärung über diesen Künstler, die erst wenige Jahre alt sind, könnten nach den Jahrzehnten der Verharmlosung und des Verschweigens schnell wieder verschüttet werden. Wenn man also vom Werk Bossards retten möchte, was erhaltenswert ist, und es sorgfältig trennt von den Bestandteilen, die man heute ablehnen muss, dann wird das mit dem Großprojekt „Bossard neu denken“ gefährdet. Wer also Bossard retten will, muss gegen das Projekt sein.

 

 

 

 

1 Zumal der Historiker Kroll selbst eine unklare Rolle im politischen Spektrum übernimmt. Vor einigen Jahren bewertete er eine Dissertation mit „gut“, deren Annahme dan von seinem Vorgesetzten zurückgewiesen wurde – wegen rechtsextremer Positionen, die darin eingenommen worden seien. Der Autor zog seine Arbeit daraufhin zurück und veröffentlichte sie im als rechtsextrem eingestuften Regin-Verlag. Kroll nahm außerdem an einer von Alexander Dugin mitveranstalteten nationalistischen Tagung in Russland teil, und auch seine Tätigkeit für zumindest konservative Gruppierungen wie das neu-rechte „Institut für Staatspolitik“ weisen auf eine Positionierung am rechten Rand des politischen Spektrums hin. Wenn man Kroll über Bossard urteilen lässt – macht man dann nicht den Bock zum Gärtner?

 

 

Verwendete Literatur:

 

Bossard, J. (1925): Werbeschrift an meine Freunde. In: Mayr, G. (2018b) S. 59-75

Bossard, J. (1933): Brief an Herrn C.H. In: Mayr (2018b, Hrsg.), S.89-100

Bossard, J. (1938): Bericht über eine Studienreise nach Belgien und Frankreich. In: Mayr (2018b, Hrsg.) S. 151-168

Diekhöner, B.; Hoffmeister, H.; Kreidner, M.; Wiborg, J. (1987): Buchholz 1925-1945. Die verschwiegenen zwanzig Jahre. Selbstverlag, 188 Seiten, 1988²

Djassemi, B. (2018): Werben für das „deutsche Kunstwerk“ - Eine Einführung in Johann Bossards Werbeschrift. In: Mayr (2018b Hrsg.), S. 42-57

Engelmann, I. (2000): Manchmal ein bestimmter Klang. Analytische Musiktherapie in der Gemeindepsychiatrie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 251 Seiten

Engelmann, I. (2019): Der Bogenschütze und der Bildhauer. Über Kunst, Psychotherapie und völkische Untertöne. NAPPO 27, Mitgliederrundbrief der NAPP e.V., S. 11-16 https://napp-info.de/nappo-27-winter-2018-19/ (zuletzt zugegriffen am 2.1.2020)

Fok, O. (2009): Johann Michael Bossard und sein Refugium der Künste in Lüllau. In: Lüllau Thelstorf Wiedenhof. Eine Dorfgeschichte. Hrsg. Jesteburger Arbeitskreis für Heimatpflege e.V. PD-Verlag Heidenau, S. 355-367

Fok, O. (2003a): Jutta Bossard. Ein Leben voller Kunst. Freilichtmuseum am Kiekeberg, Selbstverlag, 65 Seiten

Fok, O. (2003b): Riesenskizze zu einer Zukunftshoffnung - Die Kunststätte Bossard. In: Wiese, G.; R. Wiese (Hrsg.): Ein Museum kommt in die Jahre. Festschift zum 50jährigen Bestehe des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Ehestorf 2003, S. 79-88

Fok, O. (1998): Johann Michael Bossard. Einführung in Leben und Werk. Freilichtmuseum am Kiekeberg, Selbstverlag, 61 Seiten

Fornhoff, R. (2018): „Symbol eines kommenden Größeren“. Johann Bossard und das Gesamtkunstwerk. In: Mayr (Hrsg. 2018b) S. 25-38

Friedell, E. (1927-1931): Kulturgeschichte der Neuzeit. Band 1-3. Zweitausendeins Verlag Frankfurt am Main 2009, 1335 Seiten

Gebser, J. ( 1949/1953): Ursprung und Gegenwart. Band 1- 3. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1986², 699 Seiten (plus Anhang, 247 Seiten)

Jung, C.G. (1957): Über die Archetypen des kollektiven Unbewussten. In: ders. Bewusstes und Unbewusstes, Fischer Taschenbuch Verlag S. 11-53

Klußmeier, G. (2016): Die Ehrenhalle der Nationalsozialisten in Buchholz. Dokumente und Bilder zur Geschichte eines Grundstücks von 1934-1958. PD-Verlag Heidenau

Koldehoff, S. (2019): Ende Legende. Nolde und der Nationalsozialismus. Deutschlandfunk 10.04.2019 https://www.deutschlandfunk.de/nolde-und-der-nationalsozialismus-ende-legende.691.de.html?dram:article_id=445965 (zuletzt zugegriffen am 2.1.2020).

Kroll, F.L. (2019): „Alles in allem ist die Politik doch ein leidiges Kapitel.“ Johann Bossard, das Dritte Reich und die nationalsozialistische Weltanschauung. In: Mayr,G. (2019) (Hrsg.) Über dem Abgrund des Nichts. Ausstellungskatalog, in Vorbereitung, S.81-92

Lemke-Matwey, C. (2018): „Weia!Waga!Woge, du Welle!“ Wagners monströser „Ring des Nibelungen“ provoziert bis heute. ZEIT Geschichte Nr.5/2018, S. 58-62

Mayr, G. (2012): Johann Michael Bossard und sein Gesamtkunstwerk in der Nordheide. Kreiskalender 2012, Jahrbuch für den Landkreis Harburg, Verlag Lühmanndruck, S. 7-22

Mayr, G. (2014): „Bildhauern ist aber überhaupt ausgeschlossen“. Johann Bossard und der Erste Weltkrieg. In: Berger, U.; Mayr, G.; Wiegartz, V. (Hrsg., 2014): Bildhauer sehen den Ersten Weltkrieg. Arbeitsgemeinschaft Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen, S. 58-73

Mayr, G. (2018a): Zur Geschichte der Gartenanlage der Kunststätte Bossard. Kreiskalender 2018, Jahrbuch für den Landkreis Harburg, Förderverein des Freilichtmuseums Kiekeberg e.V., S. 137-156

Mayr, G. (2018b): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Programmatische Schriften und Reiseberichte. Schriften der Bossard Kunststätte Bd. 16

Mayr, G. (Hrsg., 2018c): „Über dem Abgrund des Nichts“. Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus. Schriften der Kunststätte Bossard Bd.17

Mayr, G. (2018d): „Über dem Abgrund des Nichts“ - Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Mayr, G. (Hrsg.) (2018c) Über dem Abgrund des Nichts, S. 12-25

Moosmann, E. (Hrsg.)(1980): Heimat. Sehnsucht nach Identität. Ästhetik & Kommunikation Verlags-GmbH

Münkler, H. (2019): Demokratie gibt es nur ganz oder gar nicht. https://www.zeit.de/2019/01/populismus-demokratie-krise-gemeinschaft-vielfaeltigkeit-politisches-system (zuletzt zugegriffen am 1.1.2020)

Mummenhoff, J. (2011): Achtung Bussard ! Studierende der Klasse Pia Stadtbäumer kommentieren die

Kunststätte Bossard. In: Lerchenfeld Heft 11 / 2011, S.20-21

Rilke, R.M. (1923): Duineser Elegien / Die Sonette an Orpheus. Insel Taschenbuch 1974

Stegemann, D. (2002): Jesteburg in der Nachkriegszeit und in der Bundesrepublik 1945-1972. In: Jesteburg 1202-2002. Vom Bauerndorf zur Großgemeinde. Jesteburger Arbeitskreis für Heimatpflege e.V. (Hrsg.) S. 165-202

Szeemann, H. (Hrsg.) (1991): Visionäre Schweiz. Verlag Sauerländer, 304 Seiten

Weidelener, H. (1955/1961): Die Götter in uns. Lebenserkenntnis durch die Bilder der Mythen. Goldmann Verlag 1987, 1. Auflage

Wohlthat, H. (2012): Erinnerung an Johann Bossard, an Onkel „IB“. Kreiskalender 2012, Jahrbuch für den Landkreis Harburg, Lühmanndruck, S. 23-28

 

 

Sämtliche Fotos zeigen Werke von J. Bossard: Engelmann (2012-2019)

 

 

Der Autor:

 

Ingo Engelmann, geb. 1951, Dr.phil., Diplom-Psychologe, tiefenpsychologischer Psychotherapeut, Musiktherapeut und Supervisor, hat von 1976-1988 in gemeindepsychiatrischen Einrichtungen in Hamburg gearbeitet. Von 1988-2015 war er in der Psychiatrischen Abteilung des Bethesda-Krankenhauses Hamburg-Bergedorf tätig. Er hat zu Themen der psychodynamischen Psychiatrie, Musiktherapie und Psychiatriepolitik publiziert. Zuletzt erschien sein Buch "Wie ich die Holmer Müllerstochter kennenlernte. Psychodynamik einer Begegnung von Kunst und Heimat" (2019). Als Fotograf hat er Bilder in Lüneburg, Lüllau und Buchholz ausgestellt. Ingo Engelmann lebt mit seiner Frau in Buchholz/Nordheide.

 

 

 


 

Drittes  Kapitel:

 

Der Bogenschütze und der Bildhauer. 

Über Kunst, Psychotherapie und völkische Untertöne.

von Ingo Engelmann (2018)

 

 

Manchmal begegnen uns Geschichten, in denen wir kleine Steinchen wie Teile eines Mosaiks erkennen können. Und wenn wir zwei oder drei Steine entdecken, die zusammen passen, werden wir neugierig, wie das Bild aussehen mag.

 

Die erste Geschichte: Karlfried Graf Dürckheim, die Initiatische Therapie und die Nazis

 

Die erste Geschichte beginnt, als ich zehn Jahre in der gemeindepsychiatrischen Arbeit als Psychologe hinter mir hatte und nach Erweiterungen meines Handlungsspielraums suchte. Sollte es eine psychotherapeutische Ausbildung sein? Bei meiner Orientierung über künstlerische Therapien stieß ich auf spirituell beeinflusste Verfahren. Hier traf sich die berufliche Suche mit persönlichen Fragen über die Welt und das Leben. Das interessierte mich. Und so kam ich in den Schwarzwald, nach Todtmoos-Rütte in die dortige Existential-Psychologische Bildungs- und Beratungsstätte. Ich nahm im Januar 1986 an einer einwöchigen Einführung in die Initiatische Therapie mit zwanzig interessierten Menschen teil. Die Gruppe beschrieb ich in meinen Aufzeichnungen so:

 

„Die ehemalige Sannyasin, der sich das Leben vernebelt. Der Psychotherapeut, der nach mehreren Lehranalysen seiner Verletzlichkeit nachgeht. Die Frau, die erschrocken ihre Unerreichbarkeit für den eigenen Mann feststellt und die bei den Blockaden der Friedensbewegung ihren Körper erst wieder realisiert hat. Die Künstlerin, die in der Teppichweberei eine Schaffenskrise erleidet. Die Mutter einer siebenköpfigen Pflegefamilie, die die gelernten Weisheiten von Schule, Uni und Kirche nicht mehr mit ihrem Alltag übereins kriegt. Der Arzt, der nach der Schwingung sucht, die er am Cello früher einige Male erfahren konnte. Der Psychologe, der aus der DDR kam und im sozial-therapeutischen Strafvollzug der BRD als Therapeut in massive Loyalitätskonflikte kam. Zwanzig Menschen auf der Suche. Alle anders. Alle gleich.“

 

Ich erlebte mich im geführten Zeichnen (Zeichenkohle, mit geschlossenen Augen und beiden Händen gleichzeitig), an der Töpferscheibe, bei rituellen Tänzen und Meditationen. Ich erlebte in der Begegnung mit Klang und Körper innere Klangräume im minutenlangen Singen von „ooooh“ (Beckenraum) und „aaaah“ (Brustbein) und notierte: „Hallo, du Körper! Hallo, ich Körper!“.

 

„Bernhard, zuständig für Stimmraum und Improvisation, spielt Handharmonium, ein in Indien weit verbreitetes Instrument, und trägt lange Haare sowie einen riesigen Ohrring. Als er Graf Dürckheim zum erstenmal begegnete, fragte der ihn, ob er gedient habe. Nein, antwortete der junge Bernhard. Schade, erwiderte ihm Dürckheim, dort hätten sie vielleicht einen Mann aus ihm gemacht. Und Bernhard lacht sein dröhnendes Lachen.“

 

Ich focht einen inneren Kampf aus zwischen rationalen Zweifeln, die mich in Rütte nicht loslassen wollten (oder die ich nicht loslassen wollte), und der Anziehungskraft von Weisheit und der ruhigen Kraft von Felsen, die mir dort ebenfalls begegneten.

 

In der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) hatten wir seit Ende der siebziger Jahre die Geschichte der Psychiatrie im Dritten Reich mit ihren furchtbaren Verwicklungen in die Ermordung geistig und psychisch kranker Menschen aufgearbeitet. Die Thematik hatte mich ungemein aufgewühlt, bis zu der Vorführung des erschütternden Filmes „Das Hospital der Verklärung“ nach dem Roman von Stanislaw Lem auf einer DGSP-Tagung in den Bodel-schwinghschen Anstalten in Bethel. Ich erlebte das Dilemma zwischen der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und meiner eigenen Zukunft auch mit einer ganz persönlichen Färbung.

 

„Suchen Sie sich einen Stein, auf dem Sie meditieren können“,

 

hatte mir die Lehrerin aus der „Komplexen Begegnung“ zum Abschied geraten. Ich fand einen Findling nahe bei meinem Wohnort in der Heide.

 

Worum ging es genauer bei den Zweifeln, bei dem Dilemma? Karlfried Graf Dürckheim hatte die Gemeinschaft in Rütte auf der Grundlage jungianischer Psychoanalyse und japanischem Zen gegründet. Jung war bekannt für seine anfängliche Sympathie mit den Nazis, als sie Deutschland übernahmen (wenngleich diese wohl auch nur vorübergehend blieb). In der von Jung vertretenen Archetypen-Lehre geht es unter anderem um Animus-Anima-Konzepte, als deren männliche Verkörperung der Magier, der starke Held oder Krieger und der spirituelle Führer gelten. C.G. Jung sollte in den Vorstellungen von Dürckheim immer eine hervorragende Rolle spielen.

 

Dürckheim hatte in den zwanziger Jahren Psychologie studiert und einige Jahre am Bauhaus in Dessau unterrichtet. Er war habilitiert und befasste sich unter anderem mit transpersonalen Aspekten und mit überkonfessioneller Religionspsychologie. Dann kam 1933 und Jungs erste Euphorie für den Neuen Menschen, den die Nazis versprachen, sowie Jungs Abhandlungen über germanische und jüdische Psychologie. Jung hatte sich später für seine „politische Naivität“ entschuldigt.

 

Was ich erst später nach und nach herausfand: Dürckheim selbst war bis 1945 stärker in die Nazi-Geschichte eingeflochten als Jung. Er gehörte zunächst dem „Büro Ribbentrop“ unter dem späteren Außenminister an. Angeblich aufgrund seiner jüdischen Vorfahren wurde er zwar von Ribbentrop entlassen, ging aber im Dienste des Außenministeriums nach Japan. Im Rahmen der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes in Japan war er an der nationalsozialistischen Propaganda beteiligt (1). Neben seiner wissenschaftlichen und propagandistischen Arbeit dort lernte er Zen-Meditation, Bogenschießen, Ikebana und anderes kennen und schätzte bald die soldatische Orientierung des Zen. Zwischen 1938 und 1945 wurde selbst zum Zen-Meister. Er hielt in Deutschland Vorträge über die Verwandtschaft von Nationalsozialismus und Zen. Nach dem Krieg und seiner Rückkehr nach Deutschland gründete Dürckheim in Rütte sein Ausbildungs- und Therapie-zentrum. Es existiert noch heute.

 

Ich hatte zum Zeitpunkt meines Rütte-Aufenthaltes keine Auseinandersetzung oder gar Distanzierung von Dürckheim oder seinen Schülern bezüglich dieser Vergangenheit gefunden. Am dritten Abend meiner Rütte-Woche hörte ich einen Vortrag von Maria Hippius, später als Gräfin Dürckheim die zweite Ehefrau Dürckheims. Es ging um die Idee (eine zunächst nicht näher ausgeführte Kategorie) und ihre Vereinseitigung in der Ideologie, die sie gesellschaftlich auf der Linken verortete. Hier würde ideologisch verkürzt die Annahme archetypischer Aufgaben verweigert. Insbesonde nannte sie die Grünen, die Atomkraftgegner, die Kriegsdienstverweigerer (alles drei traf auf mich zu), die Drogenabhängigen. Die im Kriege gefallenen deutschen Soldaten seien ihrer archetypischen Berufung in den Stand des Kriegers gefolgt, und heute lege keiner der Verweigerer (s.o.) einen Kranz an den Denkmälern für die Kriegsgefallenen nieder. Sie sagte noch viel mehr, und vieles war klug oder interessant. Aber diese Bemerkungen brannten sich in mein Gedächtnis. Ich hatte sie in meiner verbleibenden Rütte-Zeit nicht fragen können, was sie damit gemeint hatte.

 

War ich in ein mehr oder weniger gut getarntes Faschisten-Nest geraten oder nicht? In den darauffolgenden Tagen konnte ich mit Mitarbeitern der Begegnungsstätte offene und durchaus erhellende Gespräche führen über das Verhältnis von Archetypen wie z.B. dem Krieger und politischen Auseinandersetzungen der achtziger Jahre. Es leuchtete mir ein, dass ein unreflektierter Pazifismus der Abwehr eigener aggresiver Impulse dienen und diesbezüglich kritisch hinterfragt werden könnte. Es war nicht unbedingt meine Haus-nummer, aber ich konnte es dann besser verstehen. Ich reiste nicht vorzeitig ab (wie ich nach zwei, drei Tagen ernsthaft erwogen hatte) und zog nach meiner Rückkehr die Bilanz einer nach wie vor zwiespältigen, aber persönlich doch fruchtbaren, wenn auch unerledigten Arbeit.

 

Zentrale Übungen der Initiatischen Therapie mit Atem, Mitte und Stille hatten mich angesprochen und haben mich auf eine modifizierte Weise weiter begleitet. Vieles von der Lehre der archetypischen Zeichen (Kreis, Schale, Wellenlinie usw.) und ihrer Entwicklung bis hin zur Erleuchtung in der Meditation klang irgendwie geheimnisvoll, aber auch spannend und interessant, und es gab hippe Autoren wie Ken Wilber und Stanislaw Grof, mit denen ich mich eine ganze Zeit beschäftigen konnte. Jean Gebsers „Ursprung und Gegenwart“, ein monumentaler Überblick über die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins aus der archaischen Eindimensionalität der ursprünglichen Jäger und Sammler bis zum vierdimensionalen Bewusstsein der Jetztzeit hat mich seitdem begleitet und mir tatsächlich wichtige Bausteine zu einem psychologischen Weltbild mit auf den Weg gegeben (2). Die Untersuchung archetypischer Klangbilder von Klangschale, Monochord und Gong spielte bei meiner Entscheidung für die Musiktherapie eine große Rolle. Ich lernte Bert Kemming kennen, der lange Jahre Benediktiner-Mönch gewesen war und in den achtziger Jahren nach einer Ausbildung bei Dürckheim dann Kurse in Zen-Meditation gab und Vorträge hielt. In einer Arztpraxis in Wentorf bei Hamburg referierte er über die Tradition des aufgerichteten Kreuzes im Christentum und die aufrechte Haltung im Za-Zen, bei denen spirituelle und körperbezogene Parallelen wirksam werden. An zwei Wochenenden vertiefte ich meine Meditationserfahrungen unter seiner Leitung. Ich lernte ihn als großen Menschen kennen, der mich überaus beeindruckte. Nie hörte ich von ihm andere als tief humanistische Gedanken, kein völkisches Wort. Aber nach einigen Monaten ließ mein Meditationseifer nach, ich besuchte noch ab und zu „meinen“ Findling in der Heide nahe meinem damaligen Wohnort. Ich orientierte mich dann doch mehr an der Psychoanalyse von Winnicott, an D.N. Stern, den Entwicklungspsychologen und Säuglingsforschern. Einige Jahre später gründeten wir dann die Norddeutsche Arbeitsgemeinschaft Psychodynamische Psychiatrie (NAPP), und ich „vergaß“ meinen inneren Aufruhr von Rütte.

 

Die zweite Geschichte: Wie die nordische Rasse die weiße Weltherrschaft sichert

 

Als ich in den neunziger Jahren wieder in Buchholz wohnte, wo ich schon früher Jahrzehnte gelebt hatte, sah ich bei einer Radtour irgendwann ein merkwürdiges Gebäude mitten im Wald am Rand der Lüneburger Heide. Es war aus rotem Klinker, mit Keramikfriesen und dreieckigen Fenstern, insgesamt eine skurrile Erscheinung, die ich nicht einordnen konnte. Ich erfuhr, dass es die Kunststätte Bossard sei, hier habe ein Hamburger Kunstprofessor mit seiner Frau in den zwanziger und dreißiger Jahren einen „Tempel“ errichtet, hörte etwas von „Gesamtkunstwerk“ und war weiterhin irritiert. Erste Fotos in meinem Archiv von 2011 und 2012 dokumentieren so etwas wie eine Annäherung von außen, lange Zeit war ich nicht drinnen im „Edda-Saal“ mit seinen umstrittenen Wandgemälden.

 

2012 gab es einen Fotowettbewerb des Landkreises Harburg, und die ausgewählten Bilder (darunter zwei von mir) wurden in der Kunststätte Bossard ausgestellt. Ich fand das irgendwie eine Ehre, erkundete das Gelände mit meinem Fotoapparat, aber damals begann auch mein Fragen. Wie war das mit Bossard zur Nazi-Zeit? Er war Professor an der staatlichen Kunstschule (heute HfBK), und zwar bis zu seiner Pensionierung 1944. Seine jüdischen oder später auch anderweitig unliebsame Kollegen waren schon kurz nach 1933 geschasst, aber er konnte bleiben. Wie war das möglich? Hatte er die richtigen Beziehungen, warum blieb er unbehelligt? Mittlerweile steht zumindest fest: Bossard war nie Mitglied der NSDAP. Aus dem NS-Lehrerbund war er sogar 1934 wieder ausgetreten. Ungewöhnlich genug, dass er ohne Parteibuch bis zu seiner Pensio-nierung 1944 im Dienst bleiben konnte.

 

Was mir 2012 aber auch aufgefallen war, war die bedeckte Reaktion des Stiftungs-Teams, das die Kunststätte als Museum betrieb, auf meine Fragen nach der Vergangenheit. Das müsse alles erst sorgfältig erforscht werden, man hielt sich da völlig zurück. Versuchte man hier sich dem schwierigen Thema in der gebotenen Vorsicht ganz langsam zu nähern – oder wurde hier gezielt unter den Teppich gekehrt?

 

Kürzlich gab es nun am 1.12.2018 in der Kunststätte eine eintägige Veranstaltung mit Professoren und Kunstwissenschaftlern, in der ausführlich über die Weltanschauung von Bossard, seinen Nazi-Verwicklungen und den Kontext berichtet wurde (3). Der Bildhauer war aus der Schweiz Anfang des 20. Jahrhunderts nach Hamburg gekommen und hatte dort zunächst einige Aufträge an öffentlichen Gebäuden ausführen können, von ihm stammen die Löwen vor dem damals Völkerkundemuseum genannten MARKK (Museum am Rotherbaum für Kulturen und Künste der Welt), zwei Skulpturen am S-Bahnhof Kelling-husenstraße und eine am Tropeninstitut.

 

Kunststätte Bossard, Lüllau-Wiedenhof (Kreis Harburg)

 

Dann wurde er Professor für Bildhauerei an der staatlichen Kunstschule und begann in seiner freien Zeit die Arbeit in Lüllau: ein Gesamtkunstwerk als Ausdruck der mythologischen Gründung und Perspektive des Lebens im deutschen Volk, ein völkisches Projekt, zurückgehend insbesondere auf die Edda und andere germanische Mythen. Künstlerisch schillerte das Ganze zwischen Expressionismus und mystifizierender Bombastik. Bossard hatte sein völkisches Geraune schon in den zwanziger Jahren ausführlicher dargelegt. Wir sollten dem „deutschen Wieland“ (dem Schmied aus der nordischen Edda-Sage) in seinem Flug zum Licht folgen - „das ist unser in Blut geätztes Schicksal“ (O-Ton Bossard). Der Gesamtkünstler träumte von Deutschland als dem wahren „Reich der Mitte“ und strebte dem „ewigen Dreiklang Mensch, Volk, Welt“ zu. Bossard setzte zunächst große Hoffnungen auf den neuen Menschen, der von den Nationalsozialisten versprochen wurde. In einem Brief an seinen Förderer Helmut Wohlthat legte Bossard 1933 seine eigenwilligen Konzepte von Allmende und Arbeitsbeschaffung dar, machte aber auch deutlich, dass er Werte hochhielt wie „tapferen Idealismus und kriegerische Tugend“, Sympathien hegte für den „nationalsozialen Gedanken“ und überzeugt war von der „Herrschaft der weißen Rasse“, und hier speziell der nordischen Rasse. Bossards Überzeugungen waren völkisch, national und überaus rassistisch.

 

Die Zusammenarbeit mit den Nazis klappte nicht so, wie Bossard gehofft hatte. Sein Entwurf für eine Gedenkstätte für die Gefallenen der national-sozialistischen Bewegung, das auf der Moorweide am Hamburger Dammtor errichtet werden sollte, fiel durch. Der Besuch des Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg („Der Mythus des 20. Jahrhunderts“) bei den Bossards in Lüllau endete folgenlos, dem Nazi hatte speziell der Edda-Saal mit seinen nordisch-mythologisch inspirierten Wandgemälden nicht gefallen. Die erhoffte Unterstützung blieb aus. Bossard zog sich zurück und bastelte im Wald weiter an seinem Werk, außerdem unterrichtete er bis 1944 Bildhauerei und war bei den Studierenden dem Vernehmen nach nicht unbeliebt, weil er zurückhaltend und nicht destruktiv war. Er war noch einmal beteiligt an der Vorbereitung der geplanten monströsen Elbufer-Bebauung zu Beginn der vierziger Jahre, aber mehr hat er für die Nazis wohl nicht gemacht. Er verstarb 1950, seine Frau führte sein Werk weiter und es wurde nach ihrem Tod von einer Stiftung weiter betrieben. Im Beirat der Stiftung sind Landkreis (Landrat), Kreistag, Kreissparkasse und Gemeinde Jesteburg vertreten.

 

Bei der Tagung konnte nachgewiesen werden: Eine direkte Nazi-Identität war Bossard nicht anzukreiden. Er war nie Parteimitglied. Er hatte sich wie Wagner und andere mit dem Konzept des Gesamtkunstwerks befasst und war germanischen Mythen gefolgt, wie Richard Wagner auch. Im Pressebericht zur Veranstaltung wurde der Landrat zitiert: “Die Befürchtung einer NS-Belastung Bossards konnte transparent und belastbar ausgeräumt werden“. Früher hieß so etwas: ein Persilschein. Die Lokalpresse hatte die Presseerklärung veröffentlicht. Einen kritischen Leserbrief, in dem mehr Auseinandersetzung eingefordert wurde, veröffentlichte sie in den darauffolgenden Wochen nicht.

 

Wo Graf Dürckheim und der Bossard-Förderer Wohlthat sich begegnet sein könnten

 

Auf der Tagung wurde auch berichtet, welche Förderer Bossard hatte, um sein Projekt in Lüllau überhaupt realisieren zu können. Neben seinem Professorengehalt fand er kaum Zuverdienstmöglichkeiten, also brauchte er Geldgeber. Das waren hauptsächlich drei, ein Schweizer Augenarzt (Emil Hegg) und zwei Deutsche: Theo Offergeld, Malzfabrikant und NSDAP-Mitglied seit 1930 und Helmut Wohlthat, ranghoher Beamter und zeitweise Staatssekretär in der Nazi-Regierung. Offergeld schrieb zur Frage, was ihn mit Bossard verbinde: „Stärker, als Ihre Kunst, kann es vielleicht die durch Ihre Kunst zum Ausdruck gebrachte Philosophie sein“ (4). Bossard-Förderer Wohlthat war im Wirtschaftsministerium für Devisenhandel zuständig und ab 1941 war in Japan als Leiter der dortigen Wirtschaftsdelegation für verschiedene Handels-verträge verantwortlich.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg war Wohlthat zunächst in Japan interniert. Und an dieser Stelle berühren sich die beiden Geschichten ganz zart. Auch Karlfried Graf Dürckheim war nach dem zweiten Weltkrieg 16 Monate in Japan als Kriegsgefangener eingesperrt worden. 1947 wurde er dann zusammen mit ungefähr tausend weiteren belasteten Deutschen „repatriiert“, also nach Deutschland zurückgeschickt. Das Schiff ging von Yokohama nach Bremerhaven, und an Bord befanden sich sowohl Dürckheim als auch Helmut Wohlthat, Gönner von Johann Bossard. Ob sich Dürckheim und Wohlthat kannten (aus der politischen Tätigkeit in Japan, aus der Haft oder vom Schiff), ist nicht belegt. Unwahrscheinlich ist es nicht.

 

Nach der Rückkehr wurde Wohlthat weiter als Wirtschaftsfachmann gefragt. 1954 schlugen ihn Bundesfinanzminister Schäffer und Franz-Josef Strauß als deutschen Exekutivdirektor für die Weltbank vor, er erhielt auch die Mehrheit der Stimmen bei dem Kabinettsentscheid, aber Konrad Adenauer entschied sich anders und Wohlthat hatte das Nachsehen. Er musste sich weiterhin mit zahlreichen Aufsichtsratsmandaten zufrieden geben.

 

Wie gehen wir heute mit diesem Erbe um?

 

Bossard und Dürckheim habe eine ideologische Vergangenheit mit starkem völkisch-nationalem Einschlag. Mit einiger zeitlicher Verzögerung haben sich die Verwalter des Bossard-Erbes daran gemacht, die Geschichte nicht nur seiner künst-lerischen Produktion, sondern auch seiner Weltanschauung zu erhellen. Das geschieht mit zahlreichen Relativierungen und wirkt immer wieder etwas weichgespült, aber es ermöglicht, sich eine eigene Meinung zu bilden.

 

Graf Dürckheim und seine Frau haben über die Nazi-Vergangenheit einen dichten Mantel des Schweigens gebreitet. Vor wenigen Jahren hat der Kasseler Historiker Hans-Joachim Bieber in der mächtigen Monographie „SS und Samurai – Deutsch-japanische Kulturbeziehungen 1933-1945“ auf 1311 Seiten viele Details auch aus der Geschichte Dürckheims aufgearbeitet. Er hat auch darauf hingewiesen, dass sogar biografische Daten (z.B. kompromitierende Veröffentlichungen aus der Nazi-Zeit, die verschwiegen wurden) gefälscht wurden, auch durch Maria Hippius.

 

Dürckheim-Schüler haben daraufhin 2017 eine Tagung mit Bieber durchgeführt, um die Vergangenheit aufzuhellen. Sie haben eine Entschuldigung formuliert, die zwar Jahrzehnte früher hätte erfolgen sollen, aber doch auch nie zu spät kommt :

 

„Die (wissenschaftlichen) Ergebnisse zeigen, wie ausgedehnt Graf Dürckheims Propagandatätigkeit, auch in Japan, war. Leider hat er sich zeit seines Lebens nicht klar und eindeutig von seinen damaligen Vorstellungen und Tätigkeiten distan-ziert. Es wirft bis heute ein Schatten auf das so einzigartige Wirken von Graf Dürckheim nach dem zweiten Weltkrieg in Rütte und weit darüber hinaus.

 

Das Rütte-Forum-Team bedauert dieses Schweigen und distanziert sich - wie schon immer - mit Nachdruck von jedwelchem braunen Gedanken-gut, antidemokratischen und faschistischen Tendenzen.“ (5)

 

Solch klare Position fehlt meines Wissens auf Seiten der Bossard-Gemeinde bis heute. Auf der wissenschaftlichen Bossard-Tagung stach die Bemerkung eines der Referenten hervor, eines emeritierten Politologie-Professors: Kunst sei doch sowieso nie wirklich demokratisch. Nein?

 

*

 

Bei der erforderlichen Aufarbeitung der Nazigeschichte gibt es verschiedene Ebenen. Historiker müssen aufklären, was tatsächlich passierte, wer NSDAP-Mitglied war und wer nicht, wer wie verstrickt war und welche authentischen Äußerungen der betreffenden Personen es gibt. Auf diesem Sektor ist seit Jahrzehnten viel beleuchtet worden und die Arbeit ist nicht beendet.

 

Die Kunstwissenschaften müssen das Verhältnis zwischen Werk und Künstler erörtern, Bedeutungen erkunden und kunstgeschichtlich einordnen. Darüberhinaus sollten sie den Kontext gesellschaftlicher und zeitgeschichtlicher Prozesse reflektieren und die Wechselwirkungen zwischen Kunst und dem übrigen Leben – damals und heute. Damit tun sich Wissenschaftler oft schwer.

 

Religionswissenschaft und Ethik sind gleichfalls gefragt. Dürckheim und Bossard haben ihre spirituellen Praktiken und Ideen nicht direkt mit der Kirche und dem Christentum verknüpft. Sie stehen in einer theosophischen bzw. ariosophen Tradition, die auch von vielen Nazis hochgehalten wurde. Den Nazis waren christliche Traditionen hoch suspekt, und sie versuchten beispielsweise Jul und die Sonnenwende an die Stelle von Weihnachten und Christi Geburt zu setzen. Weihnachtslieder wurden vom christlichen Vokabular gereinigt. Aber das reicht kaum, um jede überkonfessionelle Spiritualität in die Nähe der Nazis zu rücken. Das ist alles sehr kompliziert...

 

Traditionen wahren oder ersetzen?

 

Vor allem aber sind Öffentlichkeit, also Bürger und Politiker, Medien und Behördenvertreter in der Pflicht, die eigene Position zu bestimmen und sich mit den weltanschaulichen Verirrungen zu befassen. Einen „Persilschein“ für einen völkischen Ideologen wie Bossard darf es nicht geben. Aber Verurteilung und Abgrenzung sind nicht die wichtigsten Ziele. Es geht vielmehr darum, die Zwiespältigkeit zu untersuchen: Mein Interesse an dem Tempelbau von Bossard ist durch das Wissen um den ideologischen Hintergrund vorsichtiger geworden, aber nicht aus der Welt. Die jungianische Archetypenlehre ist in manchen neo-nationalsozialistischen Gedankengang eingeflossen. Sie entstammt aber einer tiefgründigen Auseinan-dersetzung mit der Kultur- und Sozialgeschichte, die durch nationalsozialistischen Missbrauch nicht falsch wird. Rassismus, Antisemitismus und anti-demokratische Haltungen hingegen finden keinerlei Toleranz, sie sind in keiner Weise zu akzeptieren. Viele Elemente der Geschichte müssen auch heute und morgen weiter differenziert und mutig reflektiert werden. Das ist auch heute noch schwerer, als viele meinen.

 

Es bleibt wichtig, die Geschichten zu erzählen, darüber zu reden und nachzudenken. In welcher Reihenfolge auch immer.

 

Literatur:

 

 

Bieber, H.J. (2014): SS und Samurai. Deutsch-japanische Kulturbeziehungen 1933-1945. Iudicium Verlag, 1311 Seiten, € 148.- (im Internet auszugsweise verfügbar unter https://books.google.de/books?isbn=3862050432

 

Gebser, J. (1949) Ursprung und Gegenwart. Band 1- 3. München 1973: Deutscher Taschenbuch Verlag

 

Mayr, G. (2018): Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass. Programmatische Schriften und Reiseberichte. Schriften der Bossard Kunststätte Bd. 16

 

https://www.bossard.de/bossard-84/kunstwerk-des-monats/kunstwerk-des-monats-leser/johann-bossard.html

 

http://www.ruette-forum.de/Licht-und-Schatten-der-Meister

 

 

 

 

 

Viertes Kapitel

 

Presse-Echo April/Mai 2020 zur Auseinandersetzung um die Kunststätte Bossard und ihre Erweiterung

 

-   SPIEGEL vom 17.4.2020: https://www.spiegel.de/kultur/museum-fuer-johann-bossard-in-jesteburg-steuergeld-fuers-hakenkreuz-a-00000000-0002-0001-0000-000170518615 (bezahlpflichtig)

 

-   Deutsche Welle vom 22.4.2020: https://www.dw.com/de/umstrittenes-museum-anwohner-f%C3%BCrchten-rechte-pilgerst%C3%A4tte/a-53208497

 

-   Nordheide Wochenblatt vom 24.4.2020: https://www.kreiszeitung-wochenblatt.de/jesteburg/c-panorama/spiegel-kritisiert-millionen-foerderung-fuer-kunststaette-war-bossard-nur-ein-beleidigter-nazi_a165542?ref=curate

 

-   NDR Kultur vom 28.04.2020: https://www.ndr.de/kultur/kunst/Kunststaette-Bossard-Streit-um-NS-Verstrickung,kunststaettebossard106.html

-   N3 Fernsehen, Kulturjournal vom 4.5.2020: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/kulturjournal/Museumsbau-fuer-Nazi-Sympathisanten,kulturjournal7454.html

 

-   Nordheide Wochenblatt vom 9.5.2020 zur Aussetzung des Projekts "Bossard neu denken": https://services.kreiszeitung-wochenblatt.de/uploads/blaetterkatalog/ausgabe/sa/nh/09052020/index.html#page_24

 

 

 

 

Leserbriefe (z.T. nicht veröffentlicht) und mails zum Thema

 

 

 

Erster Leserbrief Engelmann Nr. 1 vom 5.12.2018 (nicht veröffentlicht)

 

zur Berichterstattung über das Kolloquium "Über dem Abgrund des Nichts - Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus" (Kunststätte Bossard, 2.12.2018) im Nordheide Wochenblatt

 

"Der Landrat Rempe erweckt den Eindruck, es sei lediglich darum gegangen, ob Johann Bossard NSDAP-Mitglied war oder nicht. Es ist zwar in der Tat hilfreich, dass die von der Kunststätte Bossard angestoßene Forschung erwiesen hat, dass er diese Mitgliedschaft nie innehatte. Aber das heißt nur: Die Wissenschaftler haben einen Beitrag geleistet, nun sind wir gefordert. Die Bürger, die Politiker, die Künstler, die Lehrer, wir alle müssen einen Umgang mit dem völkisch-nationalen Geraune des Herrn Bossard finden. Denn seine Äußerungen gewinnen heute wieder Bedeutung – hören wir doch ähnliche Töne aus rechtspopulistischen Kreisen, von der AfD, der Identitären Bewegung oder den Reichsbürgern. Wir haben da ein als Gesamtkunstwerk geplantes Gebäude mit umstrittenen Wandmalereien, das architektonisch viele beeindruckt und als kunsthistorisch wertvoll eingestuft wird, andere stößt es ab. Und wir haben Texte des Künstlers, die heute absolut ungenießbar sind mit seinen Ankündigungen, wir hätten dem „deutschen Wieland“ (dem Schmied aus der nordischen Edda-Sage) in seinem Flug zum Licht zu folgen - „das ist unser in Blut geätztes Schicksal“ (O-Ton Bossard). Er träumt von Deutschland als dem wahren „Reich der Mitte“ uns strebt dem „ewigen Dreiklang Mensch, Volk, Welt“ zu. Dieses Gedankengut ist schwer erträglich, und es stellt sich weiterhin die Frage, ob es Kunst auf der Basis eines solchen sumpfigen Gedankengrundes geben kann. Wir müssen klären, ob wir tolerieren wollen, dass sich ein Künstler mit Nazi-Emblemen und in Nazi-Ästhetik an Wettbewerben z.B. für ein „Mahnmal für die Gefallenen der nationalsozialistischen Bewegung“ (1934) beteiligte und den Schulterschluss mit dem Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg suchte. Reicht es zur Entlastung, dass die Nazis seinen Entwurf nicht wollten und es Rosenberg bei seinem Besuch in Lüllau nicht gefallen hat? Herr Rempe behauptet, die befürchtete Nazi-Belastung Bossards sei „ausgeräumt“. Nichts ist ausgeräumt, nur der Super-Gau einer NSDAP-Mitgliedschaft konnte ausgeschlossen werden. Jetzt muss die inhaltliche Auseinandersetzung weiter betrieben werden.

 

Dr. Ingo Engelmann

Buchholz"

 

Auf Nachfrage, warum der Leserbrief über vier Wochen später noch nicht veröffentlicht sei:

Am 16.01.2019 Anruf der Redaktionsassistentin Nordheide Wochenblatt:

Der Leserbrief sei aus ihnen nicht erklärlichen Gründen nicht abgedruckt worden, keiner der Beteiligten könne sich daran erinnern. Es seien keine inhaltlichen Erwägungen im Spiel gewesen, zurückgewiesene Leserbriefe würden inkl. Begründung abgeheftet, dieser aber sei verschwunden.

 

 

Zweitens

Mail Engelmann an den Landrat Rainer Rempe:

 

An: Rempe, Rainer, Landrat

Betreff: Bossard

 

Sehr geehrter Herr Landrat,

leider konnte ich Ihren Beitrag auf der Tagung in der Kunststätte Bossard am 2.12.2018 nicht mehr hören, weil ich die interessante Tagung am Nachmittag verlassen musste. In der Pressemitteilung über diese Veranstaltung wurden Sie dann zitiert mit einer Aussage, der ich mich keinesfalls anschließen könnte. Ich habe daher einen Leserbrief an das Wochenblatt geschrieben, der aber nicht abgedruckt wurde. Eine Begründung habe ich trotz mehrfacher Anläufe leider nicht erhalten.

 

Ich sende daher meinen Leserbrief direkt an Sie, um meiner Kritik Nachdruck zu verleihen: Die Auseinandersetzung mit dem schlimmen Erbe, dass uns Bossard und ähnlich völkisch-national-rassistisch gefärbte Ideologen hinterlassen haben, kann auch 74 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur nicht beendet werden. Es ging nicht ausschließlich darum, ob Bossard NSDAP-Mitglied gewesen ist oder nicht.

Vielleicht haben Sie das gar nicht so gemeint, aber meines Erachtens klang es danach. Über eine klärende Reaktion Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.

 

Über meinen Hintergrund mit der Thematik können Sie, wenn Sie wollen, etwas in dem kleinen Beitrag nachlesen, den ich für den Mitgliederrundbrief der "Norddeutschen Arbeitsgemeinschaft Psychodynamische Psychiatrie" Ausgabe Winter 2018/2019, verfasst habe und der in diesen Tagen erscheint. Ich hänge sowohl den Leserbrief als auch diesen Beitrag an.

 

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ingo Engelmann

 

 

Antwort des Landrats vom 16.01.2019:

 

Sehr geehrter Herr Engelmann,
vielen Dank für Ihre Zuschrift und vor allem für Ihr konstruktiv-kritisches Mitdenken im Sinne unserer demokratischen Grundordnung.
Ich stimme Ihnen zu: Die Nicht-Mitgliedschaft in der NSDAP kann nicht das entscheidende Kriterium sein für die Bewertung von Bossards Geisteswelt. Daher hat der Landkreis Harburg auch seit vielen Jahren, obwohl wir von der Nicht-Mitgliedschaft wussten, auf eine differenzierte Aufarbeitung des Themas gedrungen. Ich bin der Meinung, dass der Anspruch auf Ausführlichkeit und Komplexität auch im Kolloquium deutlich geworden ist.
Im Stiftungsrat der Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard, dessen Vorsitzender ich bin, haben wir mehrfach intensiv über Bossards Weltanschauung diskutiert, bis zur Analyse einzelner Formulierungen und Kunstwerke. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns unsere Meinungsbildung nicht leicht gemacht haben. In der Pressemitteilung hat die Kunststätte Bossard die komplexen Sachverhalte natürlich verkürzt wiedergegeben.
Soweit ich weiß, wird Frau Dr. Mayr Sie zu Ihrem Anliegen noch kontaktieren. Vielleicht können Sie die inhaltliche Diskussion mit ihr noch fortsetzen.

Freundliche Grüße

Rainer Rempe
Landrat

 

 

 

Drittens

Zweiter Leserbrief Engelmann vom 27.12.2019, veröffentlicht im Nordheide Wochenblatt am 8.1.2020

 

Völkischer Tourismus?

(„Ein Zentrum für Kunst“, Kreiszeitung wochenblatt 21.12.2019)

„Wie in einem Märchen, tief im Wald bei Jesteburg versteckt“ - so romantisiert der Landkreis Harburg auf seiner Homepage die Kunststätte Bossard. Sie soll zur Kunsthalle Lüneburger Heide ausgebaut werden. Vergessen die Vorbehalte gegen den völkisch-rassistischen Künstler in der Heide, es bleibt nur die beruhigende Feststellung, Bossard sei nie NSDAP-Mitglied gewesen. Vor einem Jahr hatte der Landrat, Herr Rempe, mir zugestimmt, als ich darauf hinwies, dass es um mehr gehe als nur die Frage „War Bossard Parteimitglied oder nicht?“. Wo ist nun die weitergehende Auseinandersetzung mit dem unseligen Erbe des Germanen-Ideologen Johann Bossard geblieben? Als der Kreistag am 18.12.2019 das Bossard-Projekt durchgewunken hat, kam es erneut zu der Feststellung über die fehlende Parteimitgliedschaft, diesmal durch Frau Mayr von der Kunststätte. Aber wes Geistes Kind war denn Bossard? Nehmen wir nur seinen Bericht über eine Frankreichreise mit Studenten im Jahr 1938. Er beschwört das „nordische Erbe“ und beklagt „Kulturbolschewismus“ und “Emigranten-Hetzblätter“, „Nachdenklichkeit zur Rassenfrage“ bewegt ihn wie auch die „Dynamik des nordischen Blutes“ und das „nordische Bluterbe“. „Rasse“ und „nordisches Blut“ entfalten sich zur Sinnenhaftigkeit. Es gibt noch deutlich gruseligere Äußerungen Bosshards. Seine Sprache spiegelt eine Geisteshaltung, die den Sumpf bewässert, aus dem auch der Faschismus hervorging. Er ist damit nicht identisch – aber er ist Wegbereiter. Und diesen Künstler wollen wir wegen des „erheblichen touristischen Potenzials“ (Landrat Rempe) ehren und auf diesem Sumpf eine Halle für die Kunst- und Kulturgeschichte der Lüneburger Heide errichten? Das ist der denkbar gefährlichste Ort dafür! Die Kunststätte soll ihr begonnenes Werk der Sicherung des architektonischen Kunstwerks sowie ihre geistes- und kunstgeschichtliche Forschung fortsetzen, die im letzten Jahr begonnen wurde. Frau Mayr hat sich mit ihrem Team da wirklich verdient gemacht – nun droht das Ganze aber aus dem Ruder zu laufen. Der Kreistag wäre gut beraten, hier nicht in eine fatale Richtung zu irrlichtern.

 

Rolf Wiese, der Kiekeberg-Gigant und Konzeptentwickler für die Kunsthalle bei Bossards, sieht die Chance, „die Kunststätte Bossard zu einem Museum mit nationalem Anspruch zu entwickeln.“ Das hätte Bossard gefallen. Nationaler Anspruch...

 

Dr. Ingo Engelmann

Buchholz